Ich gebe es zu: Ich bin ein Luxusgeschöpf. Aber einsam. Wie das? Ganz einfach: Ich bin unter anderem als freier Journalist tätig. Na und, mag man da einwenden, wieso soll das in luxuriöser Einsamkeit stattfinden? Aus zwei Gründen.
Erstens nehme ich mir alle nötige Zeit, um einen Artikel oder Kommentar zu recherchieren, zudem zu Themen, die mich interessieren, unabhängig von jeglicher «Aktualität». Dann lasse ich das Ergebnis juristisch prüfen und kümmere mich ohne Druck darum, eine Plattform zur Veröffentlichung zu finden. Diese Kontrolle hat bislang immerhin verhindert, dass ich von den Legal-Departments der Banken und ihren Helfershelfern wie der Kanzlei Wartmann & Merker mit Klagen wegen Geschäftsschädigung oder gar Verleumdung von Finanzdienstleistern ruiniert wurde. Zudem beruhigt das die Medienorgane, die meine Artikel verwenden. Diesen Luxus kann sich kaum einer leisten.
Und zweitens bin ich nicht davon abhängig, welche Honorare ich für die Veröffentlichung meiner Artikel bekomme. 516 Franken ist die Empfehlung für den Arbeitstag eines freien Journalisten. Mir ist keine Schweizer Redaktion bekannt, die in den letzten Jahren mal Recherchekosten für eine Zeitdauer von 10 Tagen bezahlt hätte. Bei nur ein wenig kompliziertem finanztechnischen Gebastel kommt das locker zusammen; wer’s nicht glaubt, kann mal versuchen, das US-Gesetz zur Kontrollkrake Fatca schneller einigermassen zu verstehen. Oder die Jahresbilanz einer beliebigen Grossbank à fond zu lesen und Schlussfolgerungen daraus zu ziehen. Oder einem Anfangsverdacht aufgrund einer zugespielten Information nachzugehen und das notfalls auch zu Tode zu recherchieren. Auch diesen Luxus kann sich kaum einer leisten.
Aber noch wichtiger ist: Ich bin völlig unabhängig, keiner Partei, keinem Auftraggeber, keinen Rücksichten, keiner Arbeitsplatzsicherung verpflichtet, man kann meine Meinung weder mieten noch kaufen. Und wenn die Bedenkenträgerei in den Chefetagen der wenigen verbliebenen grossen Plattformen in der Schweiz zu mühsam wird – und da könnte ich Stücke aus dem Tollhaus erzählen –, sage ich: Dann lasst es halt, und was ich dabei denke, bleibt hier auch ungeschrieben. Aber aus umfangreicher Erfahrung kann ich sagen, dass die einigermassen unbeschädigte Platzierung eines Artikels oft aufwendiger ist als seine Herstellung. Kürzlich kam es doch dem Chefredaktor einer bedeutenden Zeitung in den Sinn, unter anderem Einwände gegen die Verwendung des Adjektivs «unverblümt» zu erheben. Man sei zwar eine pluralistische Plattform, aber so kritisch gehe es dann nicht, auch ein Kommentar müsse da schon «sachlicher» sein.
Gelegentlich schreibe ich auch gratis, so wie hier und wie früher auf Journal21, bis mich dort ein Schreibverbot ereilte. Gelegentlich versuche ich’s in der Sonntagspresse oder im «Tages-Anzeiger», mit durchwachsenem Erfolg. Sichere Werte sind immer die «Basler Zeitung» und die «Weltwoche», die nehmen eigentlich alles ohne Zensur-, pardon, Redigiermassnahmen. Was aber dazu führt, dass ich in den Mainstream-Medien totgeschwiegen werde und sowieso unter den absurden Generalverdacht gerate, ich sei ein Meinungsträger von Blochers Gnaden.
Meine Unabhängigkeit erkaufe ich mir damit, dass ich schon seit vielen Jahren zu den «Verrätern» gehöre, die kommunikative Strategien und Konzepte im Sold von Auftraggebern verfassen, als selbständiger Kleinstunternehmer. Da ich das Privileg habe, mir diese auch nach diesem Kriterium aussuchen zu können, hat es noch nie einen Versuch gegeben, meine journalistische Tätigkeit zu beeinflussen, zu steuern, zu instrumentalisieren. Gelegentlich kümmere ich mich auch um Einzelfälle von Opfern von Bankhäusern, was jeweils Aktenstudium am Laufmeter erfordert und nicht immer seinen publizistischen Niederschlag findet. Und gelegentlich publiziere ich mal ein Buch, das auch gelegentlich zum Bestseller wird.
Es macht ungemein und anhaltend ausnehmend Spass, mir diesen Luxus leisten zu können. Aber meiner Treu, das zunehmende Gefühl der Einsamkeit, die ständigen Abgänge der letzten auf Medienredaktionen verbliebenen Wirtschaftsjournalisten, die copy/paste plus Einholen einer «Expertenmeinung» nicht für das Höchste an journalistischer Kunst halten, das schmerzt. Und die verständliche Sippenhaft, da die Reputation des Journalisten auf unter null gespart wird, letzte Zuckungen wie «Offshore-» oder «Swiss-Leaks» mangels professioneller Beherrschung des Handwerks nach grossem Geschnatter und Gegacker als Flops verröcheln.
Früher konnte man Zeitungspapier wenigstens noch einer zweiten Verwendung zuführen. Zum Fensterputzen, als Abdeck- oder Verpackungsmaterial und bei der Körperhygiene. Mit einem Tablet oder Smartphone geht das schlecht. Nordische Wälder können aufatmen, aber wo soll das noch enden?