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Ankläger gegen Richter

von René Zeyer

Ein Bundesanwalt untersucht, dann klagt er vor dem Bundesstrafgericht an. Und der Richter richtet. So ist die Idee. Was ist aber, wenn der Richter über den Bundesanwalt richtet und der ihn dafür einklagt? Das ist nicht lustiger Nonsense. Sondern traurige Realität.

Die Schweizerische Bundesanwaltschaft hat sich seit ihrer Wiedergeburt als reine Strafverfolgungsbehörde nicht wirklich mit Ruhm bekleckert. Die sich als grosse Mafia-Jägerin aufspielende Carla Del Ponte hinterliess nichts als happige Entschädigungszahlungen an zu Unrecht Beschuldigte, Existenzvernichtung wie im Fall Zemp, und wurde ans Kriegsverbrechertribunal in Den Haag weggelobt. Wo sie auch keine einzige Verurteilung hinkriegte.

Dann gab es Bundesanwälte, die Lockspitzel einsetzten (Skandalfall Holenweger), sich selbst Drohfaxe schickten, und als die Bundesversammlung zum ersten Mal das Recht bekam, über den Bundesanwalt zu entscheiden, wählte es gleich den Amtsinhaber ab.

Aber mit Michael Lauber sollte wieder alles anders werden. Neu, dynamisch, effizient, erfolgreich. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger kommuniziert Lauber gut in der Öffentlichkeit. Es stellte sich aber heraus, dass er damit die unselige Tradition von Del Ponte weiterführt.

Schnell geriet auch Lauber ins Gestrüpp. Der Fifa-Skandal wurde zur Lauber-Affäre. Die Untersuchung über Schmiergeldzahlungen bei der Vergabe der Fussball-WM an Deutschland droht an Verjährung zu scheitern. Viele Fälle liegen noch länger unerledigt rum als bei den Vorgängern. Gewaltige Milliardensummen sind von der BA beschlagnahmt, oftmals seit Jahren. So kämpft beispielsweise die Tochter des usbekischen Ex-Diktators seit vielen Jahren um die Rückgabe einer runden Milliarde. Wie sie sich die im Unrechtsstaat Usbekistan angeeignet hat, ist nicht das Thema. Aber wie sie ihr im Rechtsstaat Schweiz jahrelang vorenthalten wird, schon.

Und nun auch noch Befangenheit. Der Schweizer Vertreter von Gulnara Karimova, der Genfer Anwalt Gregoire Mangeat, hat es kürzlich geschafft, den für diesen Fall zuständigen Bundesanwalt durch das Bundesstrafgericht wegen Befangenheit ablehnen zu lassen. Zusammen mit Lauber hatte dieser Staatsanwalt Usbekistan besucht, dort hatten die beiden «ausserhalb der Prozessordnung» Gespräche geführt. Dieses hemdsärmelige Verhalten wurde Lauber selbst im prestigeträchtigen Fifa-Verfahren zum Verhängnis: abgesetzt wegen Befangenheit.

Auch in der riesigen Korruptionsaffäre um den brasilianischen Ölkonzern Petrobras soll es zu kostspieligen Reisen nach Brasilien zwecks informellen Treffen gekommen sein. Also ein weiterer Bundesanwalt versinkt in Affären, riskiert seine Wiederwahl durch die Vereinigte Bundesversammlung im Herbst. Aber Lauber betritt auch Neuland.

Es ist in der Rechtsgeschichte wohl einmalig, dass der oberste Strafverfolger der Eidgenossenschaft das für ihn zuständige oberste Gericht, den Bundesstrafgerichtshof in Bellinzona, einklagt. Genauer: einen Richter wegen Befangenheit in seinem Fall ablehnen möchte. Nach der sonst eher im Kindergarten gerne verwendeten Methode: ätsch, machst du meine Sandburg kaputt, mache ich deine kaputt. Haust du mir Befangenheit rein, haue ich dir Befangenheit rein. Juristischer ausgedrückt handelt es sich wirklich um «eine institutionelle Krise», wie Lauber zur eigenen Verteidigung an einer Medienkonferenz sagte.

Dass die Schweiz mit der Bundesanwaltschaft und mit dem Bundesstrafgericht ein Problem hat, ist bekannt. Beide Behörden der Rechtspflege haben, höflich ausgedrückt, Luft nach oben. Aber auch im Umfeld dieser Behörden bekleckert sich die Kaste der Juristen nicht gerade mit Ruhm. So ist beispielsweise der Strafrechtsprofessor Daniel Jositsch im Karimova-Fall der Vertreter von Gläubigern, die gegen die Usbekin Forderungen von rund 800 Millionen Franken erheben. Dafür erkämpfte der Strafrechtsprofessor den Status als Privatkläger im Verfahren der Bundesanwaltschaft und damit Akteneinsicht. Jositsch hatte 2013 eine Strafanzeige gegen Karimova wegen ungetreuer Geschäftsbesorgung eingereicht und einen Schaden von über 500 Millionen Franken geltend gemacht. Leider will sich der Sozialdemokrat zu diesem Mandat und seinen Honorarnoten nicht äussern.

Apropos ungetreue Geschäftsbesorgung: Diese Beschuldigung wird auch gegen den ehemaligen Raiffeisen-Boss Pierin Vincenz erhoben. Der hat sich dafür der Dienste eines Staranwalts versichert: Lorenz Erni. Der ist bekannt als der Mann für schwierige Fälle. Als der Milieu-Anwalt Valentin Landmann 1992 strauchelte und um ein Haar sein Anwaltspatent verloren hätte, nahm er sich Erni. Und Landmann blieb Anwalt. Erni vertritt auch den ehemaligen Fifa-Boss Sepp Blatter. Gegen die Bundesanwaltschaft. Und neuerdings vertritt er den Bundesanwalt Lauber. Gegen das Bundesstrafgericht. In all den aktuellen Fällen schwirren Anschuldigungen von Befangenheit hin und her.

Was sagt denn die Anwaltszunft zu diesem möglichen Interessenskonflikt Ernis? Nichts. Der Zürcher Anwaltsverband will weder abstrakt noch konkret dazu Stellung nehmen. Der Berner Anwaltsverband bittet zuerst um Konkretisierung des allgemein geschilderten Falls, um dann zu verkünden: «RA Erni ist nicht Verbandsmitglied und fällt daher nicht unter unsere Kompetenz.» Und der Präsident der Aufsichtskommission über Rechtsanwälte des Kantons Zürich teilt salomonisch mit, dass «in jedem Einzelfall zu prüfen» sei, ob ein Interessenskonflikt vorhanden sei. Der Mitautor des Standardkommentars zu Anwaltsrechten, Gaudenz Zindel, schützt zeitliche Auslastung vor und meint zudem, dass ihm bei der klar als journalistische Anfrage etikettierten Fragestellung «die Verwendung allfälliger Antworten nicht klargestellt» sei.

Offenbar ist hier alles möglich. Ein Staatsanwalt klagt gegen seinen eigenen Richter. Ein SP-Ständerat vertritt Multimillionenforderungen im Korruptionssumpf Usbekistans. Und ein Rechtsanwalt vertritt einen Mandanten gegen die Bundesanwaltschaft und den Chef der Bundesanwaltschaft gleichzeitig. Aber keiner will sich öffentlich dazu äussern. Weder die Betroffenen, noch Anwaltsverbände, noch Aufsichtskommissionen. Ein hässliches Bild, das hier unsere Organe der Rechtspflege abgeben.



René Zeyer ist Inhaber von Zeyer Kommunikation in Zürich. Er ist Publizist (BaZ, «SonntagsZeitung», «Weltwoche», NZZ) und Bestsellerautor.

Der Autor vertritt seine eigene Meinung. Sie deckt sich nicht in jedem Fall mit derjenigen der Redaktion.


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