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Begeistert haben mich die vielen Begegnungen

von Florian Raz

Ich bin sehr froh, dass ich fast eine ganze Woche vor dem ersten Spiel der Schweizer Nationalmannschaft in Doha angekommen bin. Meine eigene Welt verengt sich extrem, sobald jenes Team jeden dritten Tag spielt, über das ich zu berichten habe. 

So aber hatte ich die Chance, mich wenigstens zu Beginn von Katar verwirren zu lassen. Von diesem Land, in dem es ein Quartier mit klimatisierten Plätzen und Strassen gibt. Erstellt von Menschen, die selbst bei über 50 Grad noch auf die Baustelle mussten.

Wer durch Katars Glitzerwelt wandelt, vergisst schnell, dass ganz viel von diesem architektonischen Bombast errichtet worden ist, bevor ab 2019 langsam Reformen im Arbeitsrecht eingeführt wurden. Denn natürlich ist während der WM alles schön, alles nett und wunderbar glatt gestrichen.

Wirklich begeistert haben mich die Begegnungen, die ich machen durfte. Vor allem in den ersten Tagen des Turniers wurde ich andauernd angesprochen. Auf der Strasse, in der Metro, im Restaurant – alle wollten wissen, woher ich komme. Und alle haben mir ihre Geschichten erzählt. 

Der Mann, der sich mit seinem katarischen Lohn in Sri Lanka eine Kokosnussfarm gekauft hat. Und derjenige mit derselben Arbeit, der in Katar eine Frau kennengelernt und Kinder bekommen hat. Der Lohn, mit dem er früher die Menschen in seiner Heimat unterstützt hat, reicht nun gerade noch für den täglichen Bedarf. Wohnung und Essen sind mit einer eigenen Familie in Doha so viel teurer geworden. 

Jetzt ist er in einer Art Zwischenwelt gefangen. Das Leben ist zwar besser als in Bangladesch. Aber dafür ohne eigentliche Zukunft, weil eine Einbürgerung unmöglich scheint. Und weil er oder seine Frau jederzeit zurückgeschickt werden können. «Was wird mit unseren Kindern?», fragt er. Und: «Katar ist ein Land für Singles.» 

Für jede Geschichte gibt es eine Gegengeschichte. Wie bei den Frauen. Von Spaghettiträgern bis Nikab gibt es alles auf den Strassen. Frauen sind laut katarischem Gesetz keine mündigen Bürger, treten aber trotzdem sehr selbstbewusst auf.

Oder wie im Restaurant, wo die gebürtige Katarerin von ihrer letzten Reise nach St. Moritz erzählt. Geld spielt keine Rolle. Und wo die Bedienung von den Philippinen am Ende kein Trinkgeld annehmen darf: «Der Boss hat es verboten.»

Katar hat mit der WM die Hochglanzbilder in die Welt geschickt, die es sich gewünscht hat. Mit jedem Turniertag ist es mehr um den Fussball gegangen und weniger um Menschenrechte.

Aber ob Katar selber eine genaue Vorstellung hat, wohin die eigene Reise nach diesem PR-Coup gehen soll, das weiss ich nach drei Wochen in Doha nicht.



In der vierteiligen Serie «Postkarte aus Katar» teilen verschiedene Medienschaffende ihre Eindrücke und Erlebnisse von der Fussball-WM 2022 in Katar. Florian Raz ist Sportredaktor bei Tamedia.

Bereits erschienen sind die Beiträge von Etienne Wuilleminstv. Sport-Ressortleiter von CH Media, von Andreas Bönistellvertretender Sportchefredaktor der Blick-Gruppe, und von Stefan Osterhaus, Sportredaktor der NZZ und NZZ am Sonntag. 


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