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Das Fake-News-Problem der «Weltwoche»

von René Zeyer

Dem «Spiegel» wird allenthalben vorgeworfen, dass der zunehmende Haltungs-Journalismus beförderlich gewesen sei, dass der Reporter Claas Relotius so lange Zeit so viele gefälschte Storys publizieren konnte. Die Bewohner eines kleinen US-Kaffs laufen mit der Knarre herum und schauen sich im Kino immer wieder «American Sniper» an. Während eine verzweifelte Frau mit ihrem Kind auf dem Marsch in die USA ist, halten an der Grenze zu Mexiko bewaffnete Mitglieder einer US-Bürgerwehr nach Eindringlingen Ausschau, die sie auch schon wieder in die Wüste zurückschicken.

Das ist der Sound, den der «Spiegel» gerne hören möchte; das Organ, das seit dem Regierungsantritt von Donald Trump schon das «Ende der Welt» verkündet hat und den US-Präsidenten unbedingt wegschreiben will. Dagegen wird das vermeintlich Gute gesucht, das Böse denunziert. Wenn’s sein muss, auch belegfrei, die Wirklichkeit als Opfer von Wille und Wahn. Wäre das US-Kaff, wie die Nachrecherche ergeben hat, als Ansammlung von vielleicht kauzigen, aber durchaus sympathischen Menschen und nicht als Ansammlung von grimmigen Trump-Wählern, im wahrsten Sinne Hinterwäldlern, die hinter einem erfundenen dunklen Wald zu Hause sind, beschrieben worden, wäre die Story so geschmeidig in den «Spiegel» geflutscht?

Warum war es der grossartigen Dokumentation nicht einmal möglich, die richtige Zahl der Trump-Wähler zu eruieren, oder die Behauptung, am Eingang des Städtchens sei ein Schild «Mexikaner, verpisst euch» gestanden, als Erfindung zu entlarven? Wäre die Flüchtlingsfrau mit Kind als verantwortungslose Mutter, drogenabhängig und begierig darauf, in den USA in den Drogenhandel einzusteigen, dargestellt worden, die Mitglieder der US-Bürgerwehr hingegen als humanistisch motivierte Staatsbürger, die zwar Flüchtlinge von einem illegalen Grenzübertritt abhalten, aber in erster Linie von den Schlepperbanden retten wollen, wäre dieser Artikel im «Spiegel» erschienen? Wohl kaum.

Der «Weltwoche» kann man nun nicht vorwerfen, dass sie parteiisch nur ans Gute und Bessere glaubt und appelliert, sie gehört auch zu den wenigen Organen in deutscher Sprache, die am erratischen und unberechenbaren Verhalten den US-Präsidenten gute Seiten erkennen können. Wie ist es dann möglich, dass Claas Relotius hier insgesamt 29 Artikel veröffentlichen konnte, bevor er fest beim «Spiegel» angestellt wurde? Hat das Blatt und sein Chefredaktor einen Hang zu Fälschern? Schon Tom Kummer, der pathologische Erfinder von Storys und Interviews, bekam in der «Weltwoche» eine zweite Chance, die er natürlich mit einer weiteren Fälschung beendete. Auch ein Ressortleiter der «Weltwoche» wurde schon mehrfach des Plagiats überführt.

Relotius hat nun, ausser einem Nachruf und einer Reportage, nur Interviews in der «Weltwoche» veröffentlicht. Das erste, mit dem «Advokaten des Teufels» Jacques Vergès, erschien 2012, das letzte mit dem deutschen Filmer Werner Herzog im Februar 2016. Auch die meisten übrigen Interviews fanden mit Stars statt, nach denen sich natürlich jede Redaktion die Finger abschleckt. So mit den US-Schauspieler Christian Bale oder Joaquin Phoenix, dem Filmemacher Steve McQueen («Twelve Years a Slave»), mit Christo Brand, dem Gefängnisaufseher Nelson Mandelas, sogar mit einem Cousin des syrischen Machthabers Assad, und so weiter.

Wer wollte solche Gespräche nicht haben? Wer würde da nachrecherchieren, die Aufzeichnung des Gesprächs verlangen, eine Bestätigung des Interviewpartners? Keine Redaktion käme auf die Idee, sich bei Werner Herzog zu melden und zu fragen, ob er wirklich vor Kurzem einem gewissen Relotius ein Interview gegeben habe, und ob das auch von ihm autorisiert sei. Umso weniger, wenn der Reporter langsam einen Ruf bekommt, Preise abräumt und mit seinen Stücken Eingang in die streng bewachten Spalten des «Spiegel» findet. Wo er sich der besonderen Zuneigung des führenden Redaktors Ullrich Fichtner erfreute, der ihn nun schriftlich hingerichtet hat.

Glaubwürdigkeit, Vertrauen, Anstand. Das sind nach wie vor die Grundpfeiler des verantwortungsbewussten Journalismus. Erfindungen, Fälschungen, Lügen untergraben das Vertrauen des Lesers. Das Fatale an Berufsleuten wie Kummer und Relotius ist nicht mal, dass sie aus welchen Gründen auch immer den Namen Journalist mit Jauche überschütten. Das Fatale ist, dass diese Jauche in die Spalten eines «Spiegel», einer «Weltwoche» und noch von ein paar weiteren Organen wie die «NZZ am Sonntag» gegossen wurde. Diesen Geruch wieder wegzukriegen, das wird dauern.



René Zeyer ist Inhaber von Zeyer Kommunikation in Zürich. Er ist Publizist (BaZ, «SonntagsZeitung», «Weltwoche», NZZ) und Bestsellerautor.

Der Autor vertritt seine eigene Meinung. Sie deckt sich nicht in jedem Fall mit derjenigen der Redaktion.


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