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Das schmeckt mir nicht

von Roger Schawinski

Gastrokritiker gehen professionell vor. Wenn sie die Leistung von Restaurants bewerten, dann tun sie dies aufgrund möglichst objektiver Kriterien. Ihre persönlichen Vorlieben dürfen dabei keine Rolle spielen, sonst ist ihre Beurteilung für eine breite Leserschaft wertlos. Auch als Senderchef von Sat.1 musste ich mich von einem solchen Ansatz leiten lassen. Es ging nicht darum, welche Sendungen mir zusagten, sondern ich hatte immer aus der Sicht des potenziellen Publikums zu entscheiden. Dies hatte ich auch für Genres zu tun, die mich als TV-Zuschauer nicht im Geringsten interessierten. Nur so konnte ich ein Programmschema erarbeiten, welches dem optimalen Profil des Senders entsprach. Doch bei Medienkritikern gilt diese Regel oft nicht. Mit schlechtem Beispiel ging unser langjähriger Medienminister voran, der häufig einzelne  Sendungen kritisierte, die ihm nicht zusagten, und andere – vor allem die bei Arte – lobte, die seinem Geschmack entsprachen. Da es sich nicht um die Meinungsäusserung einer Einzelperson handelte, sondern um die Benotung des Chefs des gesamten elektronischen Mediensystems, erhielten diese Äusserungen ein besonderes Gewicht. Doch Moritz Leuenberger ist nicht der Einzige, der seine Funktion und Rolle missbraucht hat, um private Vorlieben zu programmatischen Qualifikationen aufzuwerten. Diese oberflächliche Art, sich zu formulieren, grassiert auch bei den letzten permanenten, den meisten der ad hoc eingesetzten Medienkritikern der Zeitungen. Auch dort wird zwischen dem Versuch einer objektivierbaren Beurteilung und der Darlegung individueller Vorlieben nicht unterschieden. Ein Beispiel für diese locker-flockig hingeworfenen Weisheiten bot sich am letzten Radio Day. Dort fand zum nicht wirklich krönenden Abschluss die für solche Veranstaltungen unerlässliche Podiumsdiskussion über das grosse Thema der Branche statt. Mit dabei war auch Medienkritiker Rainer Stadler von der NZZ. Auf die Frage nach dem Zustand des  Radioangebots kam von ihm keine vertiefte Analyse, wie man es vom Spezialisten des Intelligenzblattes erhofft hätte. Stadler erwähnte, wie schon seit Jahren immer wieder, dass er es bedaure, dass es Radio Tropic nicht mehr gebe. Auch vermisse er ein echtes Jazz-Angebot im Äther. Damit teilte er den Anwesenden seinen persönlichen Musikgeschmack mit – mehr nicht. Neben dem Offenlegen seiner Vorlieben machte er nicht einmal den Versuch, sich dem Thema journalistisch oder wissenschaftlich anzunähern. Dies aber empfand ich etwas gar mager, und zwar sowohl grundsätzlich, als auch für diesen besonderen Fall. So hat mein Sender Radio 1, der die Konzession von Radio Tropic übernommen hat, den Marktanteil gegenüber dem Vorgänger auf das Dreizehnfache (!) gesteigert. Dies würde in einer durch quantitative Daten beherrschten Medienwelt andeuten, dass man die Bedürfnisse des Publikums mit knappen Frequenzen offenbar um einiges besser abdeckt als zuvor, was wohl kaum als wirklich bedauernswerte Entwicklung beurteilt werden kann. Auch bei der NZZ, so nehme ich wenigstens an, gilt der Grundsatz, dass eine grössere Resonanz beim Publikum besser ist als ein permanenter Leserschwund. Was aber bei den Printmedien gilt, sollte beim Radio nicht einfach zur Seite geschoben werden. Und so erhoffe ich mir, dass der Bogen zwischen der universitären Analyse und der praktischen Presseberichterstattung in Zukunft besser geschlagen wird als heute, damit man sich dem Untersuchungsgegenstand endlich auf professionelle Art und Weise nähern kann. Und noch ein Wort direkt an den immer charmanten Rainer Stadler: Tropic Radio gibt es weiterhin im Internet, Rainer. Es wundert mich, dass dies dir als grosser Karibik- Fan und altgedienter Medienprofi offenbar völlig entgangen ist.

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