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Der Balanceakt wird anspruchsvoller

von Colin Fernando

Roger Federer öffnet mir eigentlich immer das Herz, wenn ich ihn sehe. Bei Pressekonferenzen überzeugt er mit seiner ungemein sympathischen, galanten Art. Beim Tennis – und es gibt ja unzählige Best-of-Sammlungen – verzaubert die kraftvolle, aber zugleich elegante einhändige Rückhand.

Trotzdem sage ich «eigentlich». Denn ein kleiner Wermutstropfen bleibt bei King Roger – und der ist natürlich mit meiner Perspektive als Markenstratege verbunden.

Aus Sponsoren- und Testimonial-Sicht könnte man bei ihm fast von einem Unicorn sprechen: Er pulverisierte reihenweise Rekorde und ist einer der grössten Tennisspieler aller Zeiten. Zudem – und das wurde auch bei den unzähligen Würdigungen dieses Wochenende deutlich – ist er der perfekte Sympathieträger, der es besser als die allermeisten anderen Sportler:innen versteht, seinen Ehrgeiz und seine Ambition in nette Gesten und Botschaften zu verpacken. Das Ganze stets mehrsprachig – ein Mann von Weltformat.

Ecken und Kanten besitzt er keine – abgesehen von der gefürchteten einhändigen Rückhand. Keine Skandale, keine Fehltritte. Nie irgendwas. Der erste Botschafter der Nation. Ideal für die in Sicherheit denkenden Sponsoren. Sie standen Schlange bei ihm. Und er nahm sie zwar nicht alle an, die grossen Sponsoring-Deals, aber schon sehr viele. Für manche zu viele. Der grösste Kritikpunkt war und ist die die immense Ausdehnung seiner Sponsoring-Engagements. Über die typischen Sportdeals und Luxusengagements wie Rolex kamen Nudeln, Schokolade und Kaffeemaschinen, Banken und Telekommunikation hinzu.

Immer wieder fragten mich Studierende bei meiner Vorlesung an der Hochschule Luzern, ob Federer es denn nicht übertreiben würde und die Vielzahl an Deals seiner Glaubwürdigkeit schadeten. Antwort: Bisher nicht – und das hat viel mit seinem Charisma zu tun.

Nach seinem Rücktritt wird der Balanceakt nun noch anspruchsvoller, denn die Präsenz auf den Tennis Courts dieser Welt entfällt. Wie viel Kommerzialisierung verträgt so ein Leben als Alt-Champion, als globale Sportlegende? Meine These: weniger als früher. Denn es steht ausser Diskussion, dass er keine zusätzlichen Einkünfte mehr braucht, um seinen Lebensabend zu sichern. Und ein Image als insgeheim gieriger «Profit-Maximierer» wäre auf lange Sicht kein Erfolgsrezept.

Als wegweisend erachte ich deshalb sein Engagement bei On, wo er auch unternehmerisch Verantwortung übernimmt und sich entsprechend einbringen kann. Ich habe das Engagement damals kritisiert – und wurde eines Besseren belehrt. So möchte ich King Roger in Zukunft verstärkt sehen, und nicht bloss als perfekt lächelndes Testimonial-Gesicht, hinter dem man die Tausenderscheine im Expresstempo durchrattern hört.

Alles Gute, Roger! Ich werde deine Rückhand für immer vermissen.



Colin Fernando ist Partner bei der Managementberatung BrandTrust.

Unsere Kolumnistinnen und Kolumnisten vertreten ihre eigene Meinung. Sie deckt sich nicht in jedem Fall mit derjenigen der Redaktion.

                                               


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