persoenlich
.com

Das Online-Magazin der Schweizer Kommunikationswirtschaft
persönlich Verlags AG
Birmensdorferstr. 198
8003 Zürich

Tel.: +41 (0) 43 960 79 00
Email: info@persoenlich.com

Digitale Defizite verschärfen die Krise

von Renato Gunc

«In dieser ausserordentlichen Zeit ist auch das permanente Geschnatter über das Potenzial der Digitalisierung abgeklungen», schreibt Benedikt Weibel in seiner Kolumne für persoenlich.com. Er hat recht: Die Diskussionen um die Digitalisierung haben im Moment keine Priorität; im Vordergrund stehen die Gesundheit der Menschen und die Zukunft der Wirtschaft, besonders der KMU.

Benedikt Weibel schreibt weiter: «Eine Frage drängt sich in dem Zusammenhang auf: Welche Instrumente der Digitalisierung helfen uns aus der Krise?» Auf diese Frage allerdings gibt gerade der Corona-Notstand deutliche Antworten, und sie fallen ernüchternd aus.

Tatsächlich hat es die Schweiz in «guten» Zeiten verpasst, eine funktionierende digitale Grundinfrastruktur – inklusive digitales Kommunikationsnetzwerk – aufzubauen. Das rächt sich jetzt, in der schwierigen Periode, in mehrfacher Hinsicht, vor allem auch unter dem Gebot des «Social Distancing», das die physische Präsenz von Menschen massiv einschränkt:

1) Weder Parlament noch Behörden noch Firmen sind in der Lage, flächendeckend digital zu operieren. Wenn Arztpraxen ihre Corona-Fälle im digitalen Zeitalter per Fax an das Bundesamt für Gesundheit BAG liefern müssen, haben wir wirklich etwas verpasst. Anderes Beispiel: Die Zahlen der Erkrankten und Verstorbenen der Kantone stimmen nicht mit denen des Bundes überein, weil es keinen standardisierten, automatischen Informationsfluss zwischen Kantonen und dem Bund gibt. Noch ein anderes Beispiel: In der Volkswirtschaftsdirektion des Kantons Zürich müssen Gesuche um Kurzarbeit manuell abgetippt werden, was zu massiven Verzögerungen führt (siehe Tages-Anzeiger vom 1. April).

2) Es ist nicht möglich, dass Behörden Kontakte mit Bürgern über eine gesicherte Maildresse aufnehmen. Jeder hat eine Wohnadresse, aber bei den E-Mails herrscht Wildwuchs. Eine standardisierte gesicherte Mailadresse würde Abhilfe schaffen. Für die digitale Adresse hat Andreas Dummermuth einen originellen Ansatz vorgeschlagen (Dummermuth ist Präsident der Konferenz der kantonalen Ausgleichskassen und Geschäftsleiter der Ausgleichskasse / IV-Stelle Schwyz). Jede natürliche Person in der Schweiz hat eine individuelle AHV-Nummer. Und jede Person könnte eine digitale Adresse aufgrund dieser Nummer erhalten, beispielsweise AHV-Nummer@ahv.ch. Dies wäre ein «einfacher, billiger und technisch unspektakulärer Weg», findet Dummermuth. Eine Behörde, etwa die Zentrale Ausgleichsstelle ZAS, würde diese Mail-Adresse ausstellen und verwalten. Bliebe noch die Verifizierung von Person und Adresse. Aber das wäre kein unüberwindbares Hindernis; schliesslich gibt es heute schon Methoden zur Verifizierung, wie sie Banken oder auch Online-Händler anwenden.

3) Da es noch immer keine standardisierte, allgemein akzeptierte elektronische Identitätskarte (E-ID) gibt, ist es weiterhin schwierig bis ausgeschlossen, gewisse Verträge digital abzuschliessen.

Es trifft wie gesagt zu, dass die Diskussion um die Digitalisierung im Moment keine Priorität hat. Aber wenn die Normalität zurückkehrt, müssen wir uns mit grösserer Intensität und Dringlichkeit, aber selbstverständlich unter Einhaltung strenger Sicherheitsstandards, darum kümmern, gerade auch als Vorbereitung auf eine nächste mögliche Krise.

Auch dank KI-Technologie könnten Informationsauswertungen präzisiert und plausibilisiert werden und als wertvolle Entscheidungshilfen dienen, im konkreten Fall etwa für das BAG. Eine digitale Infrastruktur würde auch Vertragsabschlüsse erleichtern. Digitale Sitzungen würden effizienter und kürzer ausfallen als physische Zusammenkünfte und trügen erst noch zum Umweltschutz bei, weil man nicht für jedes Treffen nach Bern fahren oder nach New York jetten müsste.



Renato Gunc ist Präsident des Vereins eGov Schweiz und Geschäftsleitungsmitglied der Peax AG.

Unsere Kolumnisten vertreten ihre eigene Meinung. Sie deckt sich nicht in jedem Fall mit derjenigen der Redaktion. 


persönlich Verlags AG · Birmensdorferstr. 198 · 8003 Zürich
Tel.: +41 (0) 43 960 79 00 · Email: info@persoenlich.com