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Eine Königin ohne Land

von Thomas Ruck

Die Cannes Lions 2021 vor ein paar Wochen haben es uns wieder einmal eindrücklich bewiesen: an kreativen Ideen mangelt es unserer Branche nicht. Grossartige Arbeiten aus vielen Kategorien und Kontinenten wurden eingereicht, prämiert und gefeiert.

Und auch die Analysten der Marktforschungsunternehmen sind sich immer wieder einig: Wenn es um die Effektivität von Werbung geht, dann ist gute Kreation noch immer der Schlüsselfaktor für zusätzliche Verkäufe. Sie soll für stolze 47 Prozent des durch Marketingmassnahmen generierten Sales Uplifts verantwortlich sein. Das lässt nur eine Schlussfolgerung zu: Creative is still king.

Damit Werbung, und damit eben auch die Kreativität ihrer Macherinnen und Macher, aber ihre volle Wirkung entfalten kann, müssen drei Voraussetzungen erfüllt sein:

Herausragende Kreation: Die im Zentrum stehende «Big Idea» einer Marke muss sich durch herausragende Kreativität einerseits «upstream» im Business und Experience Design von neuen Produkten und Dienstleistungen sowie «downstream» in der Marken-Kommunikation sowie im Performance Marketing gegen andere Marken differenzieren. So weit, so gut – wie in den vielen Prämierungen in Cannes eindrücklich bewiesen.

Präzision: In unseren Studien sagen uns 78 Prozent der befragten Konsumenten, dass sie sich nur dann mit Werbebotschaften auseinandersetzen, wenn diese persönlich auf sie zugeschnitten sind. Gleichzeitig gaben nur 38 Prozent der befragten Unternehmen an, dass sie ihre Marketingkommunikation für unterschiedliche Kundengruppen individualisieren. Daraus lässt sich schliessen: ein Grossteil der guten Kreation verpufft, da sie nicht beim Empfänger ankommt. Und es gibt bekanntlich nichts Teureres, als in der Kommunikation irrelevant zu sein.

Skalierbarkeit: Damit Werbemittel effektiv sind, müssen sie aber nicht nur für jedes der vielen Mikrosegmente individualisiert werden, sondern auch für alle digitalen Kanäle und Formate. Und Sprachen. Und Marktregionen mit ihren kulturellen Eigenheiten. Und Positionen eines Empfängers in dessen Evaluations- oder Kaufprozess. Und das alles von Konzeption, Produktion, Speicherung, Ausspielung bis hin zur laufenden Messung und Optimierung der Wirksamkeit. Daraus ergeben sich Komplexitäten, die in herkömmlichen Modellen kaum zu bewältigen sind.

Damit ein kreativer Impuls beim Empfänger seine volle Wirkung entfalten kann, müssen also herausragende Kreation, Präzision und Skalierbarkeit in ein solides Marketing-Modell eingebunden sein.

Wie das richtige Marketing-Modell aussieht

Folgende Bausteine sind neben brillanter Kreation für ein solches Marketing-Betriebsmodell unerlässlich:

  • 1. Industrialisierung: Jegliche Arbeitsschritte nach der Kreativleistung müssen möglichst industrialisiert angegangen werden. Alle dafür notwendigen, hoch spezialisierten Fähigkeiten im digitalen Marketing wie zum Beispiel datenbasierte Mikrosegmentierung, Dynamic Creative Optimization (DCO) oder Conversion Rate Optimization (CRO) werden dabei zentral gehalten und allen Unternehmensbereichen zur Verfügung gestellt. So kriegen alle Einheiten und Märkte Zugang zu Spezialistenwissen, das sie auf sich alleine gestellt nie hätten.

  • 2. Augmentation und Automatisierung: Prozessketten zwischen Marketeers und den verschiedenen Spezialisten in den rückwertigen Teams, die sich um die Marketing Operations kümmern, müssen, wo immer möglich, durch Technologie «augmentiert» oder komplett automatisiert werden. Neuartige, KI-getriebene Lösungen erlauben es heutzutage, dass Marketeers Aufträge, wie zum Beispiel das Aufsetzen einer neuen Landing-Page für ein Produkt, direkt und jederzeit durch virtuelle Assistenten in Auftrag geben können. Das geht sogar so weit, dass diese Aufträge nicht nur voll automatisiert entgegengenommen, sondern auch direkt abgewickelt werden. So werden Effizienzen und skalierbare Abwicklungsfähigkeiten für die Produktion, Aktivierung, Messung und Optimierung von Kampagnen geschaffen. Ein anderes Beispiel ist, dass neuer Content und neue Designs nicht erst nach Live-Schaltung oder in zeitraubenden und kostenintensiven User Tests validiert werden, sondern dank künstlicher Intelligenz bereits zum Zeitpunkt der Erstellung selbst optimiert werden können. Dadurch wird schneller eine höhere Conversion erzielt und das zu markant günstigeren Kosten.

  • 3. Right-Shoring: Trotz des Strebens nach Automatisierung wird nach wie vor viel menschliches Talent mit der richtigen Erfahrung in den hoch spezialisierten Disziplinen des digitalen Marketings benötigt. Dieses ist rar und demnach meist teuer zugleich. Dieser Aspekt wird im richtigen Marketing-Betriebsmodell berücksichtigt, indem Operations- und Produktionsfabriken an Standorten aufgebaut werden, wo das passende Talent reichlich und zu tieferen Kostensätzen verfügbar ist.

  • 4. «Die Kraft des Modells»: Beim richtigen Modell geht es aber nicht nur um den Zugang und die Organisation von rarem und spezialisiertem Talent, um Kampagnen und Content grossflächig und zu vertretbaren Kosten zu produzieren. Es geht um neue Wertschöpfung. Dazu gehört zunächst, dass der Wirkungsgrad von allem, was kreiert und aktiviert wird, exakt gemessen wird. Sichergestellt wird dies durch einen Value Realization-Ansatz, der laufend Optimierungen anstösst. Es handelt sich also nicht um ein «Abwicklungs-Center», sondern um ein Modell welches darauf ausgelegt ist, die Wertschöpfung jedes Marketingfrankens zu verbessern – ein Modell, dessen Wert mehr ist als die Summe der einzelnen Teile.


Was das alles bringt?

Effizienz und damit Geschwindigkeit, Verlässlichkeit und tiefere Betriebskosten. Konsistenz in der Umsetzung und damit ein einheitliches Markenerlebnis über alle Kanäle, Unternehmensbereiche und Märkte. Eine höhere Effektivität der Marketingmassnahmen und einen klaren, messbaren Sales Uplift. Und dazu auch die Möglichkeit, Budgets freizusetzen, welche in Wachstumsmassnahmen wie neue Marketing-Fähigkeiten oder zusätzliche Kampagnen reinvestiert werden können.

Vor allem aber ist es ein Weg, die Kraft der Kreativität freizusetzen und in jedem Kundenkontakt zum Leben zu erwecken. Und zwar so, dass die Kreation keine Königin ohne Land mehr ist.



Thomas Ruck ist Managing Director bei Accenture Interactive.

Unsere Kolumnistinnen und Kolumnisten vertreten ihre eigene Meinung. Sie deckt sich nicht in jedem Fall mit derjenigen der Redaktion.


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