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Erneuern – aus Respekt vor dem Pfauen

von David Schärer

Lieber Matthias

Dein flammender Blogbeitrag und dein unerschrockenes Engagement gegen die Modernisierungspläne des Schauspielhaus verdienen Widerspruch. Ich gehöre zu den Erstunterzeichnern des Appells «Pfauen mit Zukunft: Für eine Diskussion ohne Denkverbote». Von deinem befürchteten Kulturstreit um den Pfauen erhoffe ich mir, dass er tatsächlich eintreffen wird. Es wäre höchste Zeit. Denn genau diese Reibung ist es, welche die Institution Theater ausmacht, um beim Publikum wichtig zu bleiben.

Diese Erfahrung durfte ich machen, als ich vor bald 23 Jahren als Grünschnabel meinen allerersten Job in der Pressestelle des Theaters Basel antrat. Damals, es war die erste Spielzeit der legendären Ära von Schauspieldirektor Stefan Bachmann und seinem kongenialen Chefdramaturgen Lars-Ole Walburg (damals begann das Pejorativ «Unterhosentheater» um sich zu greifen, was ich allerdings als Qualitätssiegel begriff), durfte ich bei der denkwürdigen Pressekonferenz dabei sein, als 13 Frauen, streng anonym und unter dem Namen «Ladies First» bekanntgaben, der Stadt ein neues Schauspielhaus zu stiften, das die altehrwürdige, aber etwas aus der Zeit geratenen Komödie ersetzen sollte. Es ging ein Ruck durch die Stadt, und der bedeutete Aufbruch.

Du und ich, Matthias, teilen die Liebe zum Theater. Und gerade deshalb halte ich es mit dem Aphorismus aus Tomasi di Lampedusas «Der Leopard», der in Sizilien in der Zeit des aufstrebenden Bürgertums (!) spielt: «Wenn wir wollen, dass alles so bleibt, wie es ist, müssen wir zulassen, dass sich alles verändert.» Das Schauspielhaus Zürich ist von unschätzbarem Wert für diese Stadt, und wir dürfen zu Recht stolz darauf sein, in dieser kleinen Stadt ein Schauspiel zu haben, das weit über die Region, nämlich in den ganzen deutschsprachigen Raum hinausstrahlt. Genau deshalb gehöre ich zu den Erstunterzeichnern des Appells an den Gemeinderat für die Modernisierung des Pfauentheaters.

Das Intendantenduo Benjamin von Blomberg und Nicolas Stemann hat uns in seiner kurzen Amtszeit vor Covid-19 mit seiner grossartigen Truppe gezeigt, wie Theater in den Zwanzigerjahren dieses Jahrhunderts auch sein kann – oder sogar sein muss: Ein junges, super-diverses Ensemble in Inszenierungen von klassischen und neueren Stoffen, die auch mithilfe von Technologie endlich die Sehgewohnheiten und die Ästhetik einer Darstellungsform verändern, die immer ein bisschen das Risiko läuft, aus der Zeit zu fallen. Ich habe den Appell unterzeichnet, weil ich überzeugt davon bin, dass ein Haus von Weltruf einerseits diesen künstlerischen Anspruch haben muss, andererseits aber auch mit den Möglichkeiten ausgestattet sein sollte, die Grenzen des Machbaren anzukratzen, um gut und wichtig zu bleiben.

Ein Theater von internationalem Renomée verliert seinen Glanz, wenn es zu einer denkmalgeschützten Klamottenkiste verkommt. Wir brauchen kein Theater, das vergangene Erfolge verwaltet; sondern ein Theater, das uns herausfordert, das uns daran hindert, provinziell zu werden und das es vermag, eine Sogwirkung auf die Stadt herzustellen. Darum freue ich mich auf ein altes, neues Sprechtheater, das mit den Möglichkeiten ausgestattet ist, eben eine solche Kunst anzubieten. Lieber Matthias, ich fürchte du liegst ausnahmsweise falsch. Gerade aus Respekt vor der Geschichte dieses grossartigen Hauses müssen wir es erneuern. Dürrenmatt und Frisch sähen es genauso, da bin ich mir ganz sicher.

PS: Affaire à suivre. Am liebsten in der Kronenhalle nach einem gemeinsamen Theaterbesuch, wenn man denn wieder darf und es epidemiologisch zu verantworten ist.



David Schärer ist Mitgründer von Rod Kommunikation und gehört zu den Erstunterzeichnern des Appells «Zukunft des Pfauentheaters: Für eine Diskussion ohne Denkverbote» und veröffentlicht hier seine private Meinung. Er unterhält keine geschäftlichen Beziehungen mit dem Verwaltungsrat der Schauspielhaus AG.


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