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Franziska Roth und die Mediendemokratie

von Regula Stämpfli

Eine Männerpartei entschuldigt sich für die Nomination einer Parteikollegin. «Hoffnungslos», meinte die SVP Schweiz, sei ihre einst gefeierte Regierungsrätin Franziska Roth. Zwei Jahre im Amt und die Partei stellt erst im Nachhinein fest, dass es der Exekutivpolitikerin an «Willen, Interesse und Talent» mangele.
 
Ziemlich schräg, nicht?
 
Die SVP und ihre Regierungsleute teilen gerne unter der Gürtellinie aus: Mit Vorliebe gegen die sogenannten «Freunde». Der «Freude herrscht»-Glanzbundesrat Adolf Ogi wurde von der SVP so ruppig behandelt, dass er schon längst auf Distanz zur Partei ist. Bundesrat Samuel Schmid beschimpften die Parteioberen sogar als «halben Bundesrat». Und die verdiente SVP-Parteipolitikerin Eveline Widmer-Schlumpf mutierte nach ihrer Wahl in den Bundesrat zur gemeinen Verräterin und wurde sofort aus der SVP ausgeschlossen.
 
Kadavergehorsam ist eben immer ein wichtiges Kennzeichen stark ideologisch motivierter Parteien.
 
Dies gilt nicht nur für die SVP, sondern auch für die SP. Beide Parteien zeichnen sich intern durch spektakuläre Kämpfe und persönliche Abrechnungen aus. Die Kurzzeitgedächtnisse der Journalisten verdrängen derartige Geschichten viel zu oft: Dabei böten parteiinterne Mobbingkampagnen grossen Stoff à Shakespeare – man müsste halt nur wirklich recherchieren wollen.
 
Franziska Roth ist nun der aktuellste Fall. Erstaunlich daran ist: Erst nach einem Jahr im Amt wunderten sich alle, wann die ehemalige Präsidentin des Bezirksgerichts endlich zur Regierungsrätin mutieren und eventuell in ihren Dossiers ankommen würde. Erst kürzlich erfuhr das staunende Publikum, dass regierungsratsintern nun sogar eine externe Stelle untersuchen solle, was alles in Roths Departement denn nicht funktioniere. Ein bisher unbekannter Vorgang in der Aargauer Regierung und dann der nächste Knall: Der Parteiaustritt der Regierungsrätin Roth aus der SVP.
 
Dass die Restschweiz überhaupt vom partei- und regierungsrätlichen Zerwürfnis erfuhr und dies zu einem Zeitpunkt als der Karren schon in den Mist gefahren war, ist nur dem persönlichen und parteiischen Spektakel der Akteure zu verdanken. Von selbst wurden die demokratischen Misstände, die im Kanton Aargau schon länger schwelen, nicht wirklich von den Medien recherchiert. Dies macht den Fall Roth auch zu einem Fall Qualitätsmedien in der Schweiz.
 
Wäre Franziska Roth im Kanton Zürich nominiert worden, sie hätte wohl nie auch nur den Hauch einer Chance gehabt, gewählt zu werden. Denn in Zürich gelten andere Regeln: Da kämpft jeder gegen jeden, meist um die mediale Aufmerksamkeit. Zürich gilt als Nabel der Schweiz, Zürcher Politisierende, Zürcher Experten und Zürcher Journalisten füllen die Zeitungen, die von Zürich aus nun auch die Regionen bedienen. Selbst die SRF-Regionalbüros sollen nun zum «TeleZüri am Leutschenbach» wechseln. Kein Wunder interessierten sich Aargauer Journalisten nur am Rande für die Vorgänge grad vor der Haustür. Denn eine journalistische Karriere macht man heutzutage nicht durch guten Recherchejournalismus, sondern mithilfe von Züri-Selfies: Züri-Events, Spektakel und Berufskollegen stehen dabei in der ganzen Schweiz im Mittelpunkt. Die Hysterie um Roger Schawinski und eine Edelnutte, die nur dank Zürcher Connections überhaupt ins mediale Scheinwerferlicht rücken konnte, ist das neuste, peinlichste und aussagekräftigste Beispiel für diese Mechanismen.
 
Der Fall Franziska Roth ist also dreierlei: Ein riesiges Frauenproblem in der Politik (darüber mehr ein andermal), zweitens ein riesiges Manko der über die Kantonsgrenzen hinaus reichenden politischen Berichterstattung der wichtigsten Züri-Medien (inklusive SRF) und drittens der Wandel der Parteienkultur. Alles relevantere Themen als ein neuer Züri-Aufreger. Doch wie meinte schon Friedrich Dürrenmatt: «Es gibt zu viele Wichtigtuer, die nichts Wichtiges tun.»


Die Autorin vertritt ihre eigene Meinung. Sie deckt sich nicht in jedem Fall mit derjenigen der Redaktion.


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