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Google und der Werberubel

von René Zeyer

Die Schweizer Medien sind blöd. Warum? Sie überlassen rund 80 Prozent des Schweizer Online-Werbekuchens den beiden Riesen Google und Facebook. Kein Trost: alle Medienhäuser der Welt sind blöd. Sonst wären die beiden nicht die Umsatzgiganten, die sie sind.

Facebook versucht, sich aus dem Skandal um den Missbrauch von Nutzerdaten herauszuarbeiten und will mit einer neuen Weltwährung wieder gut Wetter machen. Bei Google schlummern die Probleme noch, die sich zu einem ähnlichen Skandal ausweiten können.

Die Rede ist natürlich von Google Ads. Von Anfang an die Gewinnmaschine des Konzerns; nur Naivlinge meinen, dass der seine Suchmaschine menschenfreundlich und gratis zur Verfügung stelle.

Google bietet Webseitenbetreibern einen tollen Service: Sie müssen sich nicht oder nur eingeschränkt selber um Werbung bemühen, sondern bekommen sie freundlicherweise von Google draufgespült. Sozusagen win-win-win. Der Werbetreibende kann Keywords aussuchen und festlegen, in deren Zusammenhang seine Werbung erscheinen soll. Also bei der Suche nach Esstischen poppt das Einrichtungshaus auf. Der Webseitenbetreiber hat mit der ganzen Abwicklung der Werbung nichts zu tun und kann einfach Geld zählen. Und Google verdient natürlich als Middle Man, als Vermittler.

Soweit die märchenhafte Theorie. Die Praxis sieht etwas anders aus. Die Praxis sieht so aus, dass vor allem Google und auf jeden Fall verdient, happig. Der Werbetreibende, das ist einerseits das Genial-Neue bei Google Ads gewesen, kann im Vornherein festlegen, wie viel Geld ihm die Werbung wert ist, und wie viel ein Klick auf seine Werbung. Während weder das Zeitungsinserat im Print noch das Werbeplakat genaue Messungen zulässt, wer sich das angeschaut hat, ist «pay per click» natürlich gnadenlos genau. Ausser, ein lieber Konkurrent bastelt einen Bot, ein kleines Programm, das unablässig das Netz nach einer bestimmten Werbung absucht und dann ständig draufklickt. Bis das Budget alle ist.

Aber das ist nur eines von einigen Problemen. Während in der realen Welt der Zahler eines Inserats immerhin ein Belegexemplar bekommt und sicher sein kann, dass es auch erschienen ist, muss sich der Nutzer von Google Ads darauf verlassen, dass sein Inserat nicht nur nachts um drei auf abgelegenen Webseiten erschien und schnell von Bots zu Tode geklickt wurde.

Auch das ist nur die Spitze des Eisbergs an Problemen. Fake-Inserate sind der Eisberg. Aktuell macht die Welle, dass Prominente wie Roger Schawinski, Roger Federer, Dieter Bohlen, Kurt Aeschbacher und andere dazu missbraucht werden, Leser auf eine Abzockseite zu locken, Schlagzeilen. Weil es ein besonders unverfrorener und cleverer Fake ist und das die als clickbaite, also als Klickköder verwendeten Promis natürlich überhaupt nicht komisch finden.

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Aber: Obwohl diese Fake-Werbung im «Spiegel», in «Die Zeit», im «Blick» und auch bei Tamedia erscheint, kriegen all diese grossen Verlagshäuser mit ihren IT-Abteilungen diesen Schrott nicht weg. Stattdessen warnen sie ihre Leser davor und geben Tipps, wie man Fake-Werbung erkennen könne. Muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Medien warnen ihre Leser vor ihren Inseraten.

Und Google, die Quelle des Übels? Google sagt das, was man als Weltkonzern halt so sagt: Man habe letztes Jahr über «2,3 Milliarden Anzeigen gelöscht und fast eine Million betrügerischer Konten». Das belegt allerdings nicht, dass Google das Problem im Griff hätte. Sondern die Grösse des Problems. Denn neben diesen Promi-Fakes tummeln sich unzählige weitere Bauernfänger-Inserate auf allen Webseiten der Welt, die Google Ads verwenden.

Und richten entsprechenden Schaden an. Zunächst bei denen, die darauf reinfallen und ihr Geld verrösten. Dann aber auch an der Reputation der Plattform. Wenn zum Beispiel ein «Blick»-Leser auf eine ziemlich clever als redaktionelles Interview getarntes Abzock-Inserat reinfällt, das nur oben rechts und klein als «Promo» ausgezeichnet ist, dann kann er sich darüber beschweren, dass er schliesslich dem Boulevardblatt vertraut habe.

Natürlich verdienen Google und die Plattform auch an diesen Fake-Inseraten, so nebenbei. Behaupten aber tapfer, dass man alles Mögliche dagegen tue, jedoch machtlos sei. Die grösste und mächtigste Suchmaschine der Welt mit Tausenden von Spezialisten, mit dem weltgrössten Ableger ausserhalb der USA in Zürich? Konzerne wie Ringier oder Tamedia?

Und wer Missbrauch und Betrug bei Google Ads für ein nicht so wichtiges Problem hält, den dürften ein paar Zahlen vom Gegenteil überzeugen: Die Webseite clickguardian.co.uk geht davon aus, dass der durch Klick-Betrug angerichtete Schaden von 2016 bis 2018 um 227 Prozent zunahm. Von 7,2 Milliarden auf geschätzte 27,2 Milliarden Dollar weltweit. So stammte jeder fünfte Klick auf ein Inserat von einem Bot.

Offensichtlich braucht es hier zwei Ereignisse, dass wirklich etwas passiert. Zunächst dieses: Nehmen wir an, Coop inseriert im «Blick»: «Grillbratwürste! Halber Preis! Nur kurze Zeit!» Und dann bekommt Coop von besorgten «Blick»-Lesern die Rückmeldung, dass die ein Fake-Inserat enttarnt hätten, halber Preis für Bratwürste, Unsinn, komme aber täuschend ähnlich wie ein Coop-Inserat daher, man wolle das nur zur Kenntnis bringen.

Und dann noch: Das erste Opfer, und auch in der Schweiz gibt es natürlich schon welche, sieht ein, dass er vom Abzocker sein Geld sicher nicht zurück kriegt – und fordert deshalb Schadenersatz von Google und/oder der Plattform, auf der er reingefallen ist. Soll ihm dann geantwortet werden: Selber blöd, wer vertraut schon Inseraten von uns? Wäre wohl etwas suboptimal. Und rechtlich, Mitschuld, Beteiligung, zumindest ein heikles Thema.



René Zeyer ist Inhaber von Zeyer Kommunikation in Zürich. Er ist Publizist (BaZ, «SonntagsZeitung», «Weltwoche», NZZ) und Bestsellerautor.

Der Autor vertritt seine eigene Meinung. Sie deckt sich nicht in jedem Fall mit derjenigen der Redaktion.


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