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Haltungsfrage oder Haltungsfalle für Brands?

von Colin Fernando

Einer von Tausenden von Kommentaren zur Ermordung von George Floyd durch einen weissen Polizisten: «Wenn Sport-Brands weitaus mehr präsidentielle Leadership an den Tag legen als der Präsident selbst, wo sind wir da gelandet?» Der Tweet zeigt, dass die USA uns weit voraus sind – im negativen Sinn. Wenn Staatsoberhäupter Konflikte anheizen, statt ihre moralische Pflicht wahrzunehmen und für die ganze Gesellschaft zu sorgen, sind neue Instanzen gefragt. Diese Rolle übernehmen immer öfter Marken (persoenlich.com berichtete). Sie reagieren damit auf ein klares Bedürfnis der Konsumenten, die von Firmen mehr erwarten als nur gute Produkte, auch bei uns. Das war auch in der Coronakrise stark spürbar.

Doch aufgepasst. Die Haltungsfrage wird schnell zur Haltungsfalle für Brands. Zu transparent ist die Welt heute, sodass jeder Fehltritt oder auch gegenteilige Handlungen, sofort entdeckt und hervorgekehrt werden. Auch Nike, ein Vorzeige-Brand in Sache Haltung nicht erst seit der Kaepernick-Affäre, ist nicht gefeit vor Kritik. Zu einfach ist die Kommunikation durch Social Media, sodass aus einem einzelnen Kommentar im Nu ein Shitstorm entsteht. Zu viele Möglichkeiten bieten die Technologien heute den Unternehmen, schnell und vermeintlich unverfänglich eine (womöglich nicht mal die eigene) Haltung kund zu tun. Zu hoch erscheint der Druck von innen, ob Mitarbeitende oder Führung, und aussen (Konsumenten, Branche, Konkurrenten), zu allem bitte etwas zu sagen.

Also am besten nichts sagen? Auch das ist keine Option, dafür sind viele Themen gesellschaftlich zu relevant, die Forderung der Stakeholder und Markenexperten nach Haltung zu gross und Markenführung eine zu zentrale Aufgabe der Unternehmen. Hier sind vier mögliche Vorgehensweisen.

1. Wenn deine Handlungen und Statements bisher eher eine gegenteilige Haltung zeigten, sag am besten gar nichts dazu. Dies wäre etwa für Amazon angebracht gewesen. Der Bezos-Konzern glaubte jedoch, Stellung beziehen zu müssen und erntete einen Shitstorm dafür. Zuerst solle der Konzern doch mal faire Löhne (an die vielen schwarzen Mitarbeitenden) und Steuern bezahlen, forderten unzählige User.

2. Wenn Du unbedingt etwas sagen willst, obwohl das Thema nicht zu dir passt, dann lebe mit den Konsequenzen die irgendwo zwischen «es interessiert niemanden» bis hin zu einem Shitstorm reichen werden.

3. Wenn Du bisher nichts zu dem Thema zu sagen hattest, es aber keine grundsätzlichen Widersprüche zur Marken-DNA gibt und eventuell deine Branche affin ist für das Thema, tue gerne etwas (insbesondere, wenn du Macht und Einfluss hast), aber bleib bei der Kommunikation subtil. Adidas hat das prima gelöst, indem sie einfach das Video von Haltungs-Primus Nike geteilt haben. Oder auch der aufstrebende Schweizer Laufbrand On, der das Statement mit einer passenden NGO-Spende verbunden hat.

4. Wenn es Dein innerster Anspruch, Wille und Teil der Marken-DNA ist und Du daher seit jeher Haltung zu diesem Thema bewiesen hat, unterstreiche es mit Statements und Handlungen, siehe Nike. Wobei Nike diesen Weg dann auch weiter gehen muss. Das Unternehmen wird nicht darum herumkommen, sich weiter umzupositionieren, wie sie es bereits getan haben. Noch immer schwingt eine Spur Skepsis mit, weil die Diskussionen um Frauen auf Führungsebenen und illegalen Klauseln für Frauen fortbestehen. Auf Twitter fragte ein Userin auch, wieviele schwarze Führungskräfte das Unternehmen habe, nachdem das Video veröffentlicht wurde.

Grundsätzlich müssen bei Haltungsfragen alle Brands damit leben, dass sie es nicht allen Recht machen können. Am Ende ist die eigene DNA der verlässlichste Kompass. Das bedeutet manchmal auch, über der Kritik zu stehen, wenn es die Sache wert ist und dem innersten Anspruch der Marke entspricht. Das ist dann auch die authentischste Form, um Haltung zu beweisen.

Spannend übrigens, wie Sport Brands das Thema Rassismus besetzen. Dies hat wohl damit zu tun, dass viele dieser Marken schwarze Sportler zu eigenen Brands aufgebaut und damit Heldenstorys geschrieben haben. Der Gleichstellung haben sie damit einen direkten Dienst erwiesen. Von diesen Marken ist man es also seit Jahrzehnten gewohnt, aktiv gegen Rassismus vorzugehen.



Colin Fernando ist Partner bei der Managementberatung BrandTrust.

Unsere Kolumnisten vertreten ihre eigene Meinung. Sie deckt sich nicht in jedem Fall mit derjenigen der Redaktion.


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