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Ist der Schlamm so schlimm?

von Pierre Rothschild

Nachrichten-Formate, nicht nur im Fernsehen, haben sich über die Jahre sehr verändert. Neben präzisen News, Studio-Sprechern und sachlichen Berichten wollten und sollten auch Reporter eine immer wichtigere optische Rolle spielen.

Dass US-Sender wie Fox oder CNN diesen Trend erst möglich machten, hat mit dem Star-Status in vielen Ländern zu tun, der zum Teil jährlichen Millionen-Saläre für TV-Journalisten wie Anderson Cooper oder Richard Quest rechtfertigen muss. Stars, die in den meisten Fällen von den Sendern selbst aufgebaut wurden, um mehr zu bieten.

So weit sind wir noch nicht. Auch wenn die SRG-Korrespondenten, wie die Kolleginnen weltweit, oft so überaktiv vor der Kamera stehen, als seien sie ein Teil der Story: Stars sind sie deshalb nicht.

Auch nicht die RTL-Journalistin Susanne Ohlen, die gesehen wurde, in einem Flut-zerstörten Ort in Deutschland vor den Aufnahmen etwas Schlamm auf ihrem T-Shirt verteilt zu haben. Das sollte nicht nur Nähe zum Thema vermitteln, sondern den Opfern auch sagen: Ich bin eine von euch.

Ein Passant nahm den Vorgang mit der heute allgegenwärtigen Handy-Kamera auf und löste eine Diskussion aus. Doch was bringt sie?

RTL kommentierte klar: «Das Vorgehen unserer Reporterin widerspricht eindeutig journalistischen Grundsätzen und unseren eigenen Standards. Wir haben sie daher direkt am Montag, nachdem wir davon erfahren haben, beurlaubt.»

Aber ist der Schlamm so schlimm?

Die Journalistin hat ihren Auftritt dramatisiert, aber nicht verfälscht. Der Schlamm kam vom Drehort, hier wurden keine Elemente hinzugefügt, die mit dem Thema nichts zu tun hatten. Und es sind die Redaktionen, die ihre Korrespondenten zu «action» vor den Kameras verpflichten, die vor Jahren undenkbar gewesen wären.

Die Arbeit der Print-Journalisten wurde während Jahrzehnten lediglich mit einem Kürzel signiert, ich war am St. Galler Tagblatt meistens «-ld», denn schon «P.R.» hätte wohl auf einen bezahlten Beitrag hingewiesen. Man war bescheiden und die Worte von Karl Lüönd, einem der allerbesten der Branche, sind stets in meinen Ohren: «Der Fotograf ist nie auf dem Bild.» Doch auch in den Print-Medien wurden die Namen und auch Alibi-Fotos zur Normalität.

Schon lange sind wir alle auf dem Bild, und das kann eben schief gehen. Hier muss man nicht nur über die vielleicht überaktive Susanne Ohlen nachdenken und diskutieren, sondern um einen allgemeinen Trend, der uns im News-Alltag begegnet. Hier die News, da die Reporter. Sachlich und klar. Oder Infotainment?

Die Zuschauer würden es kaum als Verlust empfinden, die vielen Reporter nicht mehr so häufig zu sehen. Die ältere Generation von uns erinnert sich an Gerd Ruge, Peter Scholl-Latour und Werner Baecker. Doch diese preisgekrönte Liga konnte man nie mehr ersetzen. Denn das war nicht Infotainment. Es waren präzise Analysen der Besten.



Pierre Rothschild ist freier Medienunternehmer in Zürich in den Bereichen Filmproduktion und Presse.

Unsere Kolumnistinnen und Kolumnisten vertreten ihre eigene Meinung. Sie deckt sich nicht in jedem Fall mit derjenigen der Redaktion.


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