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Jetzt kriegt Adidas die Rechnung serviert

von Colin Fernando

Fast könnte einem Adidas ein wenig Leid tun. Letzte Woche verkündete der Sportartikelhersteller eine erneute Gewinnwarnung, begründet durch die Vielzahl der exogenen und unvorhersehbaren Faktoren in diesem Jahr – von Krieg über Corona bis zur Inflation. Und nun kommt mit dem Kanye-West-Fiasko gemäss eigenen Angaben ein 250-Millionen-Loch dazu, und das alles kurz vor seinem Abschied beim Sportartikler. Kanye West scheint dabei ähnlich schwer beherrschbar wie der Ukrainekrieg oder die Energiekrise.

Einziger, aber gewichtiger Unterschied: Das Problem mit West, oder aktuell Ye genannt, ist hausgemacht, die Problematik hat sich seit Längerem abgezeichnet. Welche Schlüsse lassen sich für die Markenführung daraus ziehen?

1. Positioniere dich oder du wirst positioniert.

Wir leben in einer ultratransparenten Welt. Noch nie zuvor waren Unternehmen so gläsern wie heute, das macht sie extrem verwundbar. Jede Aktion wird beobachtet, Fehlverhalten entlarvt, kritisiert und in Sekundenschnelle verbreitet. Shitstorms und Boykottaufrufe sind die Folge. Es war ein klarer Fehler von Adidas, sich nicht rechtzeitig selbst zu positionieren. Sprich: eine klare Haltung zu zeigen gegenüber Kanye West, was drin liegt und was nicht. Die Folge: Adidas wurde positioniert von den Menschen in den Kommentarspalten – leider auf unschöne Weise. Das Problem ist jetzt, dass das aktuelle Bekenntnis von Adidas für Werte wie Vielfalt und Inklusion zu spät kommt, das Bild des profitgetriebenen Konzerns, der sich erst auf massiven äusseren Druck äussert, ist bereits in den Köpfen.

Dass es auch anders geht, zeigt etwa Konkurrent Nike, der durch die Colin Kaepernick-Kampagne ein klares Profil markierte. Oder Schalke 04. Der Fussballclub beendet nach Kriegsbeginn in der Ukraine ungeachtet jeglicher finanziellen Folgen oder vertraglichen Pflichten das Sponsoringverhältnis mit Gazprom.

2. Authentische und proaktive Krisenkommunikation und Moderation

Adidas liess nicht nur Haltung vermissen, es mangelte auch an einer authentischen und proaktiven Krisenkommunikation und Moderation. Social-Media-Abteilungen der Konzerne rühmen sich für ihre Dialogfähigkeit und faseln etwas vom Umbruch zur zweiseitigen Kommunikation. Belanglose Diskussionen auf Twitter & Co. werden geführt, wenn es aber wirklich kritisch wird, werden emotionslose, rechtssichere Pressemitteilungen lanciert, nur um bloss nicht angreifbar machen.

Haltung zeigen kann aber auch bedeuten, seine Verletzbarkeit zu zeigen, Versäumnisse zuzugeben und seiner Community echte Gedanken preiszugeben. Patagonia hat nach dem Tod von George Floyd eine Art Brief an sich selbst verfasst, in dem das Unternehmen in mitfühlenden, echt wirkenden Worten sich selbst angeklagt hat, zum Thema Rassismus nicht genug Haltung bewiesen zu haben. Ritter Sport glänzte im Frühjahr rund um den Verbleib der Marke in Russland offiziell auch nur mit pflichtgemässen Pressemitteilungen. In den sozialen Medien allerdings nahmen die Geschäftsführer und Führungskräfte eine spürbar moderierende Rolle ein und machten das Dilemma der Marke (Arbeitsplätze vs. Verbleib in Russland) deutlich.

In dem schwelenden Konflikt liess Adidas sowohl Moderation wie auch authentische Kommunikation vermissen. Dass in der offiziellen Kommunikation darüber hinaus auch die finanzielle Auswirkung – Adidas rechnet mit einem weiteren Verlust von 250 Millionen Euro – betont wurde, statt Herz und Haltung zu zeigen, verstärkt das Bild eindeutig.

3. Keine Kooperation ohne Markenfit

Der Deal war für beide Seiten finanziell erfolgreich. Yeezy hat sich exzellent verkauft. Doch was will man mit einer Kooperation darüber hinaus erreichen? Für Markenmanager sollte das Fiasko von Adidas einmal mehr eine Erinnerung sein, Kooperationen unbedingt auf den Marken- und Wertefit und natürlich auf potenzielle Risiken zu überprüfen. Die Frage, wie sehr sich das Unternehmen mit der mangelnden Identifikation Wests mit der Marke Adidas auseinandergesetzt, steht im Raum.

Vielleicht ist der Skandal um Adidas ein Warnsignal zur rechten Zeit. Mich beschleicht das Gefühl, dass Marken in den letzten Jahren vermehrt den vermeintlich einfachen, aber gefährlichen Weg über Kooperationen gehen, um Kunden zu begeistern, anstatt systematische, nachhaltige Markenführung zu betreiben.

Übrigens: Es wäre keine gute Idee von Adidas, diese Versäumnisse nun mit einer grossartigen «Haltungskampagne» im Rahmen der nahenden Fussball-WM in Katar nachholen zu wollen. Denn die Vergleiche zum Aussitzen des Kanye-Skandals werden dann noch zu prominent sein.


Colin Fernando ist Partner bei der Managementberatung BrandTrust.

Unsere Kolumnistinnen und Kolumnisten vertreten ihre eigene Meinung. Sie deckt sich nicht in jedem Fall mit derjenigen der Redaktion.


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