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Journalismus darf keine Kriegstreiberei sein

von Marlis Prinzing

Was in der Ukraine geschieht, ist eine humanitäre Katastrophe und schwer auszuhalten. Der Angriffskrieg Russlands auf die souveräne Ukraine ist völkerrechtswidrig. Das sei vorangestellt. Und zudem: Meinungsfreiheit ist ein Gut in demokratischen Gesellschaften, das auch Positionen umfasst, die schwer auszuhalten sind. Das ist richtig so. Verantwortungsethisch hingegen höchst fragwürdig ist es, dass Mathias Döpfner, der Springer-Chef und Präsident des Deutschen Verlegerverbands, die Reichweite der Bild-Zeitung nutzt, um in seinem am Freitag erschienenen Kommentar Deutschland und die Nato in den Krieg zu jagen sowie einen dritten Weltkrieg in Kauf zu nehmen. Döpfner stachelt an, notfalls im Alleingang, ohne die Nato vorzupreschen.

Dieser Kriegstreiberjournalismus irritiert. Gerade als Stimme aus einem demokratischen Land heraus und gerade, weil er im Namen der europäischen Werte zu Aggression und Zerstörung auffordert, gerade weil er Verlässlichkeit und Bündnistreue als zweitrangig darstellt: «Wenn Putin Kiew erobert, weil der Westen, also vor allem die Mitglieder der Nato, keinen militärischen Widerstand geleistet haben, ist der Westen geschwächt», schreibt Döpfner. Und weiter: «Die Nato-Mitglieder müssen jetzt handeln. Sie müssen jetzt ihre Truppen und Waffen dahin bewegen, wo unsere Werte und unsere Zukunft noch verteidigt werden. Zur Not ohne Nato.»

Döpfner adressiert neben Deutschland noch Frankreich, England und Amerika. Sie sollten «als Allianz der Freiheit Putins mörderisches Treiben mit ihren Truppen und Waffen in Kiew und mit dem modernsten Cyber-War in Moskau beenden» und weiter: «Wenn das geschieht und nicht schnell gelingt, droht eine Eskalation bis zum dritten Weltkrieg. Wenn es nicht versucht wird, bedeutet das Kapitulation.» Die Freiheit sei dann «eine Phrase», das transatlantische Bündnis «eine Fußnote», die Demokratie «ein Auslaufmodell».

Dieser Kommentar toppt eine Reihe von bei Bild seit Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine erschienenen Kommentaren, er toppt den Aufruf zu einem nahezu patriotischen Journalismus – «Wir gegen Putin», «Wir vereint» – beziehungsweise er entfernt sich nun völlig von dem, was Journalismus im Kern ausmacht und was nicht. Das große Halali ist definitiv nicht Aufgabe von Journalismus.

Ein Blick in die Friedens- und Konfliktforschung: Den Gegner zu provozieren, ihn in die Enge zu treiben, dürfte kaum dazu führen, dass dieser die Waffen streckt. Gewalt führt meist zu Gegenwalt. Gerade bei Gegnern, die zudem Atommächte sind, ist es aussichtlos zu glauben, Konflikte seien durch ein Kräftemessen auf dem Schlachtfeld zu entscheiden. Dauerhafte Konfliktlösung folgt einem Dreisatz: Deeskalation (also Abbau offener Aggression), Kommunikation (also Verhandeln), Interessengegensätze herausarbeiten und Handlungswege entwickeln, also Ursachen anpacken, tatsächliche wie empfundene Unzufriedenheiten, Feindschaften, Empfindungen von Ressourcen.

Warum will ein europäischer Verlegerpräsident die Politik, warum will er Deutschland und andere vor sich hertreiben und die Zerstörung der Welt in Kauf nehmen? Mir bereitet das große Sorgen. In der Politik weiss man zurzeit zum Glück noch, was es hiesse, wenn der Westen sich zu solcher Aggression verleiten liesse: Alles stünde in Flammen. Wir brauchen Waffenruhe und Verhandler, einen internationalen Strafgerichtshof. Wir brauchen einen kritischen Journalismus und Warner, keine Brandstifter.


Marlis Prinzing ist Professorin für Journalistik an der Hochschule Macromedia in Köln, Moderatorin, Kolumnistin («Der Tagesspiegel», «Der Standard»), Buchautorin und Herausgeberin diverser Fachbücher.

Unsere Blog-Autoren vertreten ihre eigene Meinung. Sie deckt sich nicht in jedem Fall mit derjenigen der Redaktion.


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