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Journalisten sind in der Regel keine Richter

von Matthias Ackeret

Vergangene Woche wurde im Pressezentrum des Bundeshauses der Swiss Press Award der «Fondation Reinhardt von Graffenried» verliehen, zweifelsohne der wichtigste Medienpreis des Landes. Die Freude war gross, sogar eine Bundesrätin, Frau Keller-Sutter, machte ihre Aufwartung. Für die vierte Macht des Staates gibt es nichts Schöneres, als wenn ihr die erste Macht die staatliche Legitimation ihrer Wichtigkeit gibt. «Demokratierelevant» nennt man dies.

Als «Journalisten des Jahres» wurden Sylvia Revello, Boris Busslinger und Célia Héron von «Le Temps» für ihre Enthüllungen über sexuelle Belästigungen beim welschen Radio und Fernsehen RTS ausgezeichnet. Im Visier stand dabei der welsche Starmoderator Darius Rochebin, dem die Zeitung Übergriffe und Machtmissbrauch übelster Art vorwarf. Das Dumme nur, die von der SRG eingesetzten unabhängigen Sachverständigen kamen kurz davor zum Schluss, dass sich Rochebin keiner sexuellen Belästigung oder des Mobbings schuldig gemacht habe. Der Starjournalist, mittlerweile nach Frankreich entflogen, moderiert bereits wieder seine Talksendung beim französischen Nachrichtensender LCI. Eine – ehrlich gesagt – kaum erwartete Rehabilitation ersten Grades.

Dass nun ausgerechnet diese Story, die sich zumindest im Fall von Rochebin als falsch erwiesen hat, mit dem höchsten Schweizer Journalistenpreis ausgezeichnet wird, mutet eigenwillig an. Zumal es sich nicht um einen Literaturpreis handelt und die hochdotierte Jury unter dem Vorsitz von Fredy Gsteiger bereits vor der Preisverleihung von Rochebins «Freispruch» wusste. Da kann sie noch lange auf ihrer Homepage schreiben: «Die Recherche geht auch auf den Fall von Darius Rochebin ein, Starmoderator des TV-Senders, der seinen Einfluss missbrauchte, um sexuelle Gefälligkeiten zu erhalten.»

Nun kann man – als mildernde Umstände – einwenden, dass die RTS-Story die aufsehenerregendste des vergangenen Jahres war. Ja, das stimmt. Doch Lautstärke und Wahrheit sind nicht immer deckungsgleich. Die ganze Preisverleihung – und das anschliessende Schweigen der anderen Medien – hinterlässt jedenfalls ein flaues Gefühl. Sogar, wenn die Jury mit ihrer Preisvergabe eine Protestnote an die unabhängigen Sachverständigen senden wollte.

Doch dies würde von einem gar sonderbaren Rechtsverständnis zeugen: Journalisten sind meist nicht Richter, sondern – wie der Fall Rochebin zeigt – die Henker. Für die «Fondation Reinhardt von Graffenried» jedenfalls ist diese Preisvergabe im Jahr zwei nach Relotius kein Ruhmesblatt. Ausser die Jury nimmt nicht mehr das mittlerweile abgedroschene Bonmot von Spiegel-Gründer Rudolf Augstein «Schreiben, was ist» als Leitlinie, sondern deren angepasste Version: «Schreiben, was sein müsste.»



Matthias Ackeret ist Verleger und Chefredaktor von persönlich und persoenlich.com.


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