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Klischees zu Onlinejournalismus helfen nicht

von Tristan Brenn

Internet, wie anstrengend! Welche Qual! Es wird gezwitschert und gepostet, was das Zeug hält. Da gibt es Glanzstücke von BloggerInnen, gescheite Zwischenrufe, grandioses ExpertInnenwissen fernab der etablierten Medien. Und ja, fast hätt ich’s vergessen, es wird permanent Schrott gepostet und polemisiert, falsch informiert, oft unwissentlich und noch viel öfters gezielt, es wird gemobbt, geschrien und gehasst. «Social Media» ist die fünfte Gewalt im Staat und prägt immer stärker die Meinungsbildung der Mediennutzenden, die sich ihrerseits immer mehr zersplittert und unberechenbarer wird. Doch wie sieht der professionelle Journalismus auf diesen Plattformen aus? Oder auf seinen eigenen Portalen? Was produzieren die Verlagshäuser und öffentlichen Medien auf ihren Apps, ihren Podcasts, ihren Accounts auf Youtube, Facebook oder Instagram?

Eine simple Vorstellung davon hat Andrea Masüger, langjähriger Journalist, heute im Präsidium des Verlegerverbandes «Schweizer Medien» und Vizepräsident der Schweizer Journalistenschule MAZ. Masüger unterscheidet zwischen «digitalem Kurzfutter» auf den «einschlägigen Internetseiten» und «staatspolitisch relevanten Informationen», im Fall von SRF also bei Radio und Fernsehen. An letzteres soll sich SRF halten, weil sonst «der Informationsauftrag blosser Unterhaltung weicht», wie er in einer Kolumne schrieb. Klingt verstaubt? Es klingt nicht nur so. Das Klischee vom seichten und oberflächlichen Online-Journalismus ist noch immer tief in den Köpfen verwurzelt, selbst bei Medienprofis. Das beleidigt auch die Journalistinnen und Journalisten der privaten Medien. Alles Kurzfutter? Ich sehe täglich hervorragende, aufwändig produzierte und recherchierte Stories im Netz, ob bei Tamedia, bei der NZZ oder CH-Media, ob bei der WOZ oder der Republik. Und dies alles unter massivem ökonomischen Druck.

Klar, Masüger spricht vom Netzangebot des gebührenfinanzierten SRF. Was dieses in der digitalen Welt soll und darf, darüber soll und darf diskutiert werden. Aber bitte nicht mit dem Argument von Qualitätsunterschieden zwischen digitaler und traditioneller Informationsvermittlung. Diesen Unterschied gibt es auch bei SRF nicht. Unsere Instagram- und Facebookposts sind gut aufbereitet und verlinken zu weiterführenden Hintergründen zu den jeweiligen Themen. Und sie liefern auch die «staatspolitisch relevanten Informationen», wie sie Masüger von SRF fordert. Als der iranische General Quasem Soleimani bei einem amerikanischen Anschlag getötet wurde, repostete SRF News ein Erklärstück zu den Beziehungen USA-Iran, das unser Korrespondent Pascal Weber zusammen mit der Video-Redaktion zwei Monate zuvor produziert hatte. Auf Facebook erzielte das rund sechsminütige Video (länger als die meisten 10vor10-Beiträge) über eine Millon Views. Auch ein jüngeres Publikum interessiert sich für solche Inhalte. Und sie haben gemäss Konzession explizit auch ein Anrecht darauf, selbst auf Drittplattformen.

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Dass die Neuausrichtung von SRF, also die Aufbereitung von Inhalten auch für jüngere Zielgruppen, der Konzession widerspricht, wie Masüger schreibt, taugt wenig für eine Debatte. Es ist schlicht ein Irrtum.

 


Tristan Brenn ist Chefredaktor TV beim Schweizer Radio und Fernsehen SRF. 

Unsere Kolumnistinnen und Kolumnisten vertreten ihre eigene Meinung. Sie deckt sich nicht in jedem Fall mit derjenigen der Redaktion. 


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