persoenlich
.com

Das Online-Magazin der Schweizer Kommunikationswirtschaft
persönlich Verlags AG
Birmensdorferstr. 198
8003 Zürich

Tel.: +41 (0) 43 960 79 00
Email: info@persoenlich.com

Leistung ist Purpose

von Oliver Errichiello

Marketingprofis und Werber versehen ihre Kommunikation immer stärker mit dem Label «Purpose». Die Branche feiert sich lautstark selbst dafür. Endlich wird die ganze Welt gerettet. Werbung entledigt sich des Stigmas blosser «Verkaufe» und wird – nachdem sie sich über zwei Jahrzehnte zur Kunstform erklärt hat – nun auch noch zum missionarischen Erweckungsfeld: Sinn statt Gier. Das mag sehr richtig sein und nicht weiter stören, aber funktioniert es ökonomisch? Denn eine überaus sinnhafte Firma nützt wenig, wenn sie pleite ist.

«Menschen kaufen schon längst keine Produkte mehr, sondern nur noch ein Image …» Im zeitgenössischen Marketing gilt die Auffassung, dass Produkte und Dienstleistungen leistungsspezifisch kaum noch unterscheidbar wären. Deshalb läge der Wert einer Marke nicht mehr in ihrer Leistung, sondern vor allem an gefühlten Werten und Zuschreibungen – Image und Destinktion machten Marken. Diese Zuschreibung, auch als «added value» bezeichnet, bedingt, dass nicht mehr die eigentlichen Leistungen im Zentrum der Kommunikationsarbeit stehen, sondern «Wohlfühlwerte» oder «Emotionen», die ein Image erzeugen sollten.

Emotionen hatten selten einen derartigen Zuspruch ausserhalb von Psychotherapie, persönlichen Krisengesprächen und Selbsterfahrungskursen wie mit der Vorstellung eines sogenannten «Conscious Capitalism», der Mitte der 2000er-Jahre entstand. Grundlegende Idee: Erfolgreiche Unternehmen kennzeichne, vor dem Hintergrund von Nachhaltigkeits- und Ökologie-Orientierung breiter (meist konsumstarker) Bevölkerungsschichten, dass sie über dem Profitstreben hinaus, visionäre Vorstellungen und Überzeugungen einer «besseren Welt» teilten – einen Umstand, der zunächst als «Higher Purpose», heute als «Collective Purpose» zusammengefasst wird. Unternehmen würde langfristig nur bestehen können, wenn sie übergreifende, am globalen Gemeinwohl ausgerichtete Ziele in den Fokus rücken würden. Unter dem Begriff des «Purpose» sollten Unternehmen vornehmlich dazu beitragen, die grossen Herausforderungen der Zeit (Umweltschutz, Rassismus, Gendergerechtigkeit) zu lösen. Pepsi machte Peace-Kampagnen, Gillette thematisierte den neuen Mann, Coca-Cola sponsert Christopher Street Days, um nur einige grosse Akteure aufzuführen. In der Schweiz erwärmen der Anti-Einsamkeits-Migros-Weihnachtsspot «Einfach gut leben: Sturmfrei» ebenso das Herz wie der zeitgleich und massiv beworbene Coop-Spot «Nevi – Das Schneemonster».


Mit der Integration des Purposes war der Weg frei, um alles zu thematisieren, ausser den zahlenden werblichen Gegenstand selbst. Gefühle wurden zum Gradmesser des Erfolges – und nicht kalte Absatzzahlen (kann man damit eigentlich Mitarbeiter bezahlen)? Umso grösser war das Lob, wenn traditionsreiche Unternehmen, ihre «alten Zöpfe» abschnitten und geradezu revolutionär auf der kommunikativen Oberfläche auftraten, indem sie Themen aufgriffen, die für Progressivität und Aufbruch standen. Nichts demonstriert schneller Aktivität, als eine neue Werbekampagne. Nichts ist ebenso austauschbar.

Die «Sinn-Strategie» ist nicht ganz neu: In den 1980er-Jahren sorgte der italienische Werber Oliviero Toscani für den ersten resonanzstarken Purpose: In seiner Benetton-Kampagne thematisierte Toscani Kinderarbeit, Umweltverschmutzung oder Aids als Werbemotive für Pullis. Das war so ehrenhaft, dass die Marke dem Untergang geweiht war, an den Folgen laboriert sie bis heute. Dove wurde für seinen Einsatz authentischer Models gefeiert, ökonomisch betrachtet, war diese Kampagne ein Fiasko. Inzwischen ist die Ursprungsstrategie bis zur Unkenntlichkeit verwischt.

Die markensoziologische Position hinsichtlich des «Purpose» ist kritisch. Eine Begründung:

1. Purposes sind austauschbar – Markendifferenzierung wird zerstört: Es ist offenkundig, dass nach einer Phase der «Emotionalisierung» der Marke beziehungsweise der Imageorientierung nun die Anziehungskraft einer Marke vor allem in ihrer «Sinnfunktion» vermutet wird, analysiert der Markenexperte Karsten Kilian sehr richtig. Zwar übernimmt auch in der markensoziologischen Forschung die Marke über ihre Leistungsfunktion hinaus die Rolle eines individuellen Identitätsstifters, jedoch nur, wenn die Inhalte über lange Zeit in selbstähnlicher und originärer Weise reproduziert wurden und zur Konstituierung eines positiven Vorurteils geführt haben. Ein generalisierendes «Sinnprinzip» vor dem Hintergrund sozial erwünschter Haltungen, Einstellungen und Bewegungen (beispielsweise Umweltschutz, Minderheitenrechte) ist nicht geeignet, unverwechselbare positive Vorurteile und damit Resonanzperspektiven in einem unüberschaubaren Gewirr von segmentierten Kommunikationskanälen zu setzen.

2. Emotionen entstehen aus Leistungen: Markenarbeit beginnt dort, wo die konkreten Ursachen für die kollektiven Vorurteile einer Gruppe ihren realen Ursprung haben. Das ist Arbeit, keine Philosophie. Grundsätzlich gilt: Auch der Mythos eines emissionsfreien Tesla-Elektrosportwagens entsteht immer noch in einer Werkshalle in Palo Alto oder bald in der Grünheide. Und der ökologische Ziegenkäse schmeckt deshalb besonders, weil bestimmte Ziegen auf einer bestimmten Alm stehen, bestimmtes Gras essen und gut behandelt werden. Das heisst: Markenführung als Kernbereich der gesamten Unternehmenssteuerung setzt immer auf der Ursachenebene an. Dies erfordert eine dezidierte Beschäftigung mit sämtlichen Leistungsebenen und den unbedingten Willen, etwaige Abweichungen vom Markenversprechen sofort abzustellen. Aus dem oftmals mit dem Thema Marke verbundenen Umgang mit «Soft Facts» wird auf diese Weise harte Arbeit mit «Hard Facts».

3. Erziehung, Beeinflussung, Information: Die entscheidende Frage lautet: Will die Öffentlichkeit von einem Unternehmen illustriert  bekommen, wie die Welt ideal auszusehen hätte? Nike musste die Erfahrung machen, dass ihr (nachvollziehbares) Engagement für Colin Kaepernick von einem Teil der Öffentlichkeit goutiert wurde, während ein anderer Teil es vehement ablehnte. An der Verkaufsfront war das Ergebnis eindeutig: Nike verlor Markanteile. Fakt ist, dass es bis heute keine wissenschaftliche Studie gibt, die erhebt, wie hoch der Anteil der Menschen ist, die eine politische Einflussnahme von Unternehmen mittels Werbung positiv wahrnehmen und vor allem: Ihre Käufe danach ausrichten. Ist es nicht eine Anmassung, dass sich Unternehmen für kompetent und sachverständig halten, um ethische Positionen einzunehmen? So wie sich heutzutage jeder als Weltwirtschaftsexperte, Terrorismusspezialist, wahlweise Virologe oder Klimawissenschaftler gerieren darf, so postulieren Unternehmen Haltungen als sensible Weisungen. Das Problem mit Haltungen ist allerdings, dass sie im Kern «Meinungen» sind. Meinungen sind keine Tatsachen – sie als Orientierungen vorzugeben, ist fragwürdig und anscheinend für einige Menschen ärgerlich. Die Fokussierung auf die eigene Leistungsfähigkeit und Kompetenz tritt immer weiter zurück – vielleicht weil es keine mehr gibt?

Je umfassender die Weltrettungsagenda, desto skrupelloser das Tagesgeschäft

Vor einigen Jahren reichte es noch aus mit einem Unternehmen eine so gute Arbeit zu leisten, dass man Mitarbeiter ordentlich bezahlen konnte. Das war gelebte Verantwortung. Heute muss die ganz Welt herhalten. Das Leben in Generalsierungen («Die Welt …») war schon immer einfacher, als die Konfrontation mit der Wirklichkeit («Der Mitarbeiter Herr Müller will mehr Geld …»). Eine vermeintliche Generalhaltung verdeckt, dass die wirtschaftliche Konzeptionen zahlreicher ethisch auftretender Unternehmen wie beispielsweise Apple, Microsoft, Amazon in den unteren Stufen der Wertschöpfungskette darauf beruhen, Errungenschaften der vordigitalen Ära abzuschaffen. Haltung wird zur Attitüde. Am Ende der Wertschöpfungskette wird also emotionalisierte Ethik als «zuträgliche Zutat» kommunikativ beigefügt, was im eigentlichen Produktionsprozess nicht stattfindet und nur die bestätigt und absichert, die nichts weiter zu verlieren haben als ihr schlechtes Gewissen.

Die moderne «Purpose»-Marketingphilosphie setzt an die Stelle des Besonderen, eine übergreifende, abstrakte Idee. Ideen, die aufgrund ihrer Unerreichbarkeit edel und feinsinnig wirken, aber nicht geeignet sind, um Unternehmensleistungen voneinander zu differenzieren. Damit schwächt sie Wirtschaftsakteure ohne Not – gerade, weil alle auf die identischen durchgesetzten Werte abheben. Das ist das wirtschaftliche Resultat eines Zeitgeistes, der konkrete Leistungserbringung zugunsten abstrakter Lifestyle-Ideen als unwesentlich entwertet – obwohl es eben nur diese Leistungen waren, die erst Wohlstand geschaffen haben. Oder wie es der Werbeklassiker Rosse Reeves vor gut 60 Jahren formulierte: «Wenn das Produkt es wert ist, Geld dafür zu bezahlen, dann ist es auch wert, dass ihm Aufmerksamkeit geschenkt wird.»



Oliver Errichiello ist Geschäftsführer des Büro für Markenentwicklung, Professor für Markensoziologie und war Projektleiter am Institut für Markentechnik in Genf. Er ist langjähriger Dozent für Brandmanagement an der Hochschule Luzern.

Unsere Kolumnistinnen und Kolumnisten vertreten ihre eigene Meinung. Sie deckt sich nicht in jedem Fall mit derjenigen der Redaktion.


persönlich Verlags AG · Birmensdorferstr. 198 · 8003 Zürich
Tel.: +41 (0) 43 960 79 00 · Email: info@persoenlich.com