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Lockdown oder Shutdown?

von Edith Hollenstein

Der Bundesrat hat zwar gestern keine neuen schweizweiten Massnahmen verkündet. Doch nehmen wir an, das mutierte Virus verbreitet sich rasch, der Bundesrat muss in zwei Wochen die Notbremse ziehen und auch noch landesweit die Schulen, Skigebiete und Hotels schliessen. Aus dem Haus darf nur noch, wer dringend zum Einkaufen oder in die Apotheke muss. Wie werden die Schweizer Medien dann titeln? «Bundesrat verhängt den Lockdown!» oder «Die Schweiz geht in den Lockdown»? Kaum. Diese Titel sind bereits verwendet worden, letzte Woche als der Bundesrat die verschärften Corona-Massnahmen ankündigte (siehe Frontseiten vom 14.1. unten). Was aber bleibt den Redaktionen zu schreiben, wenn der Bundesrat tatsächlich eine Ausgangssperre verhängen sollte?

Ausgangssperre heisst auf Englisch Lockdown. Das trifft also für die aktuelle Situation nicht zu. Sprachlich korrekt wäre jetzt für das Herunterfahren nämlich «Shutdown». SRF verwendet diesen Begriff ziemlich konsequent. Nachdem schon im Frühling in der Schweiz vielfach vom «Lockdown» die Rede war, will es Leutschenbach dieses Mal richtig machen.

NZZ, Tamedia und Blick hingegen nicht. Sie nennen es «Lockdown» oder schreiben vom «zweiten Lockdown». «Das Wissen um die unterschiedliche Bedeutung dieser beiden Begriffe ist sicher nicht sehr verbreitet, viele sehen beide Ausdrücke als Synonym an oder sprechen nur von Lockdown», erklärt Christa Dürscheid, Professorin für Deutsche Sprache an der Universität Zürich. Auf jeden Fall aber sei Lockdown das Wort, das populärer sei als Shutdown. Es wäre in Deutschland fast zum Wort des Jahres 2020 gekürt worden.

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Liegen nun NZZ, Tamedia und der Blick daneben? Nein, sagt die Sprachwissenschaftlerin. «Das Wort wird nicht falsch verwendet, es hat in den letzten Monaten eine Bedeutungserweiterung erfahren.» Nun trete es schon in verschiedenen Kombinationen auf, etwa als «sanfter Lockdown» oder «Teil-Lockdown». Dieses Phänomen beobachtet die Sprachwissenschaft oft, wenn Wörter häufig in Gebrauch sind. «Ihr Radius dehnt sich aus», so Dürscheid.

Die Pandemie ist also auch für Wörter und ihre Erforscherinnen eine dynamische Zeit. Fast täglich erweitert oder verändert sich der Wortschatz. Und wenn in den nächsten Wochen – ich hoffe es zwar nicht – der Bundesrat die Corona-Massnahmen weiter verschärfen sollte, müssen sich die Redaktionen eben etwas einfallen lassen und ein neues Wort kreieren. Oder vielleicht machen sie das Naheliegende und titeln: «Bundesrat verhängt Ausgangssperre». Die Menschen im Land dürften verstehen, dass es sich um eine weitere Stufe handelt. Auf Deutsch klingt vieles drastischer als die jeweilige englische Übersetzung.



Edith Hollenstein ist Redaktionsleiterin von persoenlich.com


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