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Mein Tag mit Obama

von Matthias Ackeret

Die Welt sah zu - und ich war dabei. Es ist kurz vor zwölf Uhr, wenige Minuten vor Barack Obamas Inauguration. Im fahlen Winterlicht leuchtet die Spitze des Capitols, auf der linken Seite, hinter unzähligen Toilettenhäuschen versteckt, sind die Umrisse des Weissen Hauses knapp erkennbar. So viel Geschichte macht schwindlig. Um mich Zehntausende von Menschen, die meisten schwarzhäutig. Trotz klirrender Kälte tragen viele Festkleidung. «Auch das Christkind wurde in einer Winternacht geboren», flüstert mir mein Nachbar zu. Selbst Ironie wird in solchen Momenten Wahrheit. Ein leichtes, langsam anhebendes Raunen geht durch die Menge, als der neue Präsident erstmals auf der Grossleinwand erscheint. Den Mantelkragen hochgeschlagen, das Kinn nach vorne gestreckt, die Augen von jenem «Yes, I can»-Gefühl beseelt, das die Welt verändern soll. Leichtfüssig schreitet er die Stufen des Capitols hinunter: eine Quadratur von JFK und Elvis Presley. Ein paar wenige stimmen einen «Obama»-Sprechchor an, der - wohl kältebedingt - bald wieder abflacht. Transparente mit der Aufschrift «From slavery to history» werden geschwenkt. Doch der Messias-Präsident von der Grossleinwand ist nur schwer zu verstehen: Seine Worte klingen abgehackt - und auch zeitverschoben. Man habe, so klärt mich mein deutscher Journalistenkollege Manfred später auf, an der Beschallung gespart. Damit vermeide man den Eindruck amtlicher Geldverschwendung. Kündet sich so das goldene Polit-Zeitalter an? Die Amtsübernahme Obamas ist ein Lehrstück über die Existenz verschiedener Realitäten. Was im Fernseher gigantisch und mit leichter Hand inszeniert wirkt, ist für den Obama-Wegelagerer vor Ort hartes Brot: quälende Sicherheitskontrollen, lange Pussmärsche, unzureichende Signalisation und ein striktes Getränke- und Essverbot innerhalb der Sicherheitszone. Die Polit-Pilgerreise wird zur Tortur. Von den rund zwei Millionen Gästen dürfte nicht einmal ein Prozent den frisch gekürten Präsidenten leibhaftig gesehen haben, der Rest verharrte stundenlang vor den spärlich aufgestellten Leinwänden, um nebenbei als Statist einer gigantischen Fernsehshow zu wirken. Vielleicht erklärt sich damit auch ein Teil der Obamania: selbst einmal Part der Geschichte zu sein. Ging es mir anders? Ehrlich gesagt, nein. Bereits vor Wochen habe ich im Internet das Bahnticket reserviert, das mich am Tag der Vereidigung von New York nach Washington bringen wird. «Einmal Obama sehen», pflichtete mir ein Baselbieter Kleinunternehmer bei, als ich ihm im Swiss-Flug nach Amerika von meinem Trip erzählte. Auch er sei Obamaist - und es ist für ihn das Grösste, dem neuen Präsidenten leibhaftig zu begegnen. Obwohl er weder über Hotelunterkunft noch Bahnticket verfügt, will er mit einem Mietauto zur Inauguration fahren. Ähnliches hat er bereits nach den letzten Bundesratswahlen getan, wo er nach Bern reiste, um dem neuen VBS-Chef Ueli Maurer zu gratulieren. Seine Erkenntnis: Was bei Ueli möglich, sei bei Barack fast schon Pflicht. Als am Ende der Feierlichkeiten die Menge trotz chaotischer Organisation und willkürlich hingestellter Absperrgitter Richtung Ausgänge drängt, gibt es kaum Proteste. Nur einmal, als ein amerikanischer Regierungshelikopter - vermutlich mit den abreisenden Bushs - über der Menge kurvt, ertönt ein gellendes Pfeifkonzert, das sogleich von zaghaften «Obama»-Rufen abgelöst wird. Die anschliessende Parade habe ich mir in einer Bar direkt hinter dem geschichtsträchtigen Watergate-Gebäude auf CNN angeschaut: viel näher, viel emotionaler und weitaus wärmer. Nur einmal wurde ich dabei von einem SMS des Basler Kleinunternehmers unterbrochen. Darin berichtete dieser, dass er nun geschlagene zwölf Stunden für die präsidiale Parade an der Pennsylvania Avenue ausgeharrt habe. Doch das Warten habe sich gelohnt: Vor wenigen Minuten sei Baracks Limousine endlich vorbeigefahren. Näher sei er nur bei Ueli gewesen. (Dieser Beitrag ist in der aktuellen "Schweizer Illustrierten" erschienen)

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