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Retten oder heulen?

von René Zeyer

In Lausanne traf sich die Jugend zum Klimagipfel (persoenlich.com berichtete). So könnte man das mit aller gebotenen Objektivität zusammenfassen. Schauen wir mal, wie das Schweizer Medien auf der Suche nach Wahrhaftigkeit darstellen.

Die «Republik», überraschungsfrei, liefert unter dem etwas gequälten Titel «Schweizer Jugend forsch» eine Jubelarie ab. Die Erfolge der Klimajugend seien «beispielslos», er zeige sich auch an den harschen Reaktionen der Gegner, die sich unter dem Schlagwort «Klimahysterie» versammelten. «Watson» gründelt mit einer «Analyse»: «Greta will keine Ikone mehr sein – warum das der Klimabewegung schaden könnte».

Der «Tages-Anzeiger» mitsamt seinen gesammelten Kopfblättern bringt eine tiefschürfende Abhandlung über die «Klimakonferenz», kann es aber nicht lassen, unter Sexismusverdacht zu geraten, weil er auf Greta Thunberg fokussiert: «Ein Lächeln bringt sie selten über die Lippen. Und doch mag man dieses zerbrechlich wirkende Mädchen.» Lieber Herr Läubli, Sie müssen dringend an einen Sensibilisierungskurs. Mädchen mag man nur, wenn sie häufig lächeln, also wirklich.

«Greta gibt Gas», behauptet die Tagespresse aus dem Hause CH Media. Auf dem Altar der Alliteration opfert sie ein, nun, etwas gewagtes Sprachbild. Denn Gas gibt man doch wohl im Auto. Auch hier wäre ein sprachlicher Sensibilisierungskurs anzuraten. Rettungslos fies wird Peter Rothenbühler in seiner Kolumne in der «Schweizer Illustrierte». Obwohl der Kongress «Smile for Future» heisst, schaue Greta Thunberg wie einst Buster Keaton aus der Wäsche. Für Klimajugendliche: Das war ein Stummfilmstar, der trotz brüllend komischem Slapstick immer ein ernstes, unbewegtes Gesicht machte.

Nach kurzer Lobhudelei, dass Thunberg das Thema auf die Agenda gesetzt habe, geht Rothenbühler dann zur Hinrichtung über: «Warum nicht zugeben, dass Sie von PR-Profis wie Ingmar Rentzhog gecoacht werden, dem Präsidenten eines Thinktanks mit direktem Draht zum Davoser WEF?» Den Todesstoss setzt Rothenbühler mit der Schlussbemerkung, dass sie nun mit der Yacht von Casiraghi den Atlantik überquere, damit Werbung für Monaco mache, «diesen Fluchtort von Milliardären, die keine Steuern zahlen und mit ihren Yachten die Meere verschmutzen.»

Während die NZZ verhalten wie fast immer über den «Hype, den sie gar nicht will» berichtet, dabei aber «fast Mitleid» mit «Greta» hat, die wohl deswegen kumpelhaft mit dem Vornamen angeredet wird, geht der «Blick» überhaupt nicht pfleglich mit der Klimajugend um: «Streit, Schweiz-Gemotze und Heulkrämpfe» hat er in Lausanne beobachtet, und überhaupt, es habe «Riesen-Zoff unter Greta-Jüngern» gegeben. Warum? Nun, «die einen wollen arbeiten, die anderen über Gefühle reden». Erstaunlich neutral macht hingegen die «Weltwoche» den schwedischen Star zur «Ikone der Woche». Kurz, knapp und fast hämefrei berichtet das Blatt eines der Kämpfer gegen Klimahysterie über Thunberg in Lausanne, ihren Appell und ihre Wirkung.

Nach dieser Revue der Resonanzen muss man sich die Frage stellen: Wurde da wirklich vom gleichen Ereignis berichtet? Haben sich in Lausanne Jugendliche aus aller Herren Länder getroffen, um die nächsten Schritte, die Zielsetzungen ihrer Bewegung zu diskutieren und zu definieren? Welche Rolle spielte Greta Thunberg dabei? Eilt diese Bewegung beispielslos von Erfolg zu Erfolg, oder gab es Zoff und Tränen und Uneinigkeit? Warum kann man eigentlich nur die Kolumne in der «Weltwoche» als valable Zusammenfassung gelten lassen? Warum gelingt es nur der NZZ, in erster Linie zu referieren, nicht gleich zu kommentieren?

Das ist nicht lustig, sondern erschreckend. Es ist erschreckend, weil nicht nur die grosse «New York Times» einen Trump-Titel abändert, weil der ihrer Leserschaft zwar als inhaltlich korrekt, aber zu Trump-freundlich sauer aufstiess. Weil nicht nur das grosse deutsche Wochenblatt «Die Zeit» zurückkrebst und sich entschuldigt, nachdem es gewagt hatte, die Sinnhaftigkeit der Rettungsaktionen im Mittelmeer in Frage zu stellen.

Sondern weil auch in der Schweiz zunehmend die Medien ihre Klientel bedienen, ihnen nach dem Mund reden. Auseinandersetzung, Debatte, ein sachlicher Bericht über den Klimagipfel der Jugendlichen, dann der Kommentar eines enthusiastischen Befürworters, der Kommentar eines reserviert Zweifelnden, und dann «bild dir deine Meinung», wie das deutsche Boulevardblatt «Bild» so schön wirbt? Das nebenbei differenzierter über die Reaktion Trumps auf die jüngsten Massaker in den USA berichtete als die meisten anderen deutschen Medien, von «Spiegel», «Die Zeit» und ZDF abwärts.

Das böse Wort von der Filterblase, in der unter Luft- und Realitätsabschluss nur das wie in einer Echokammer hin und her gesprochen wird, das den Vorurteilen und vorgefassten Meinungen der in ihr Eingeschlossenen entspricht, trifft leider die Realität der veröffentlichten Meinung. Organe, die sich der linksgrünen Schickeria in den Schweizer Grossstädten verpflichtet fühlen, würden kritisch oder ironisch über Lausanne berichten? Niemals, und wenn sie es täten, wäre ihnen der Shitstorm ihrer Leser gewiss, immer begleitet von der ultimativen Drohung einer Abbestellung des Abonnements.

In einer immer unübersichtlicher werdenden, multipolaren Welt wird diese Buntheit, Kompliziertheit immer weniger als interessante Herausforderung begriffen, wird immer mehr nach repetitiver Bestätigung der eigenen Vorurteile gesucht. Medien, die diesem Wunsch ihrer Leser nachgeben, sind zum Tode verurteilt. Denn wer die Welt retten will, und auch genau weiss, wie, der kennt keine Gnade mit Andersdenkenden. Vor allem nicht in seinem Leibblatt. Aber damit wird die Welt wieder schwarzweiss, obwohl sie kunterbunt ist.



René Zeyer ist Inhaber von Zeyer Kommunikation in Zürich. Er ist Publizist (BaZ, «SonntagsZeitung», «Weltwoche», NZZ) und Bestsellerautor.

Der Autor vertritt seine eigene Meinung. Sie deckt sich nicht in jedem Fall mit derjenigen der Redaktion.

 


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