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Selenskyjs Rhetorik überzeugt US-Kongress

von Marcus Knill

Zwei Minuten und 19 Sekunden applaudieren die Abgeordneten beider Parlamentskammern dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj schon vor seiner Rede. Mit dem Satz «Trotz aller Widrigkeiten und Untergangsszenarien ist die Ukraine nicht gefallen» schlägt Selenskyj in seiner Rede den ersten Pflock ein. «Die russische Tyrannei hat die Kontrolle über uns verloren.» Seine Kernbotschaft ist unmissverständlich: Die Ukraine braucht mehr Waffen. Es zeichnet sich eine neue Phase im bald einjährigen Kampf gegen die russischen Aggressoren ab.

Der Auftritt war eine Motivationsrede. Da die Gefahr besteht, dass die Unterstützung der Ukraine erlahmt, musste Selenskyj alle Register ziehen, um die Abgeordneten für die Sache der Verteidiger erneut zu gewinnen. Er fasste zuerst kurz zusammen: In den vergangenen zehn Monaten sei es den Streitkräften gelungen, die zuvor übermächtig erscheinende russische Armee nach ihrem Einmarsch zunächst bei Kiew und dann im Osten des Landes zurückzuschlagen. Ohne die Amerikaner wäre dies unmöglich gewesen. Damit liess er die Amerikaner am Erfolg partizipieren.

Die Stärke des Auftrittes lag in der Glaubwürdigkeit und Bescheidenheit des Bittstellers. Er trug wie gewohnt seine Militärbekleidung in Olivgrün. Ohne Orden. Nur mit dem Aufdruck des ukrainischen Dreizacks. Er ist stets unrasiert, aber gepflegt und tritt immer als bescheidener Soldat auf.

Erstaunlich ist, wie Selenskyj die Zuhörer in seinen Bann ziehen kann. Das ist nur möglich, wenn ein Redner an das glaubt, was er sagt. Obschon er schauspielerisches Talent hat, werden seine Aussagen nicht als theatralisch empfunden. Selenskyj hat ein starkes Sendungsbewusstsein.

«Wir kämpfen wirklich für einen gemeinsamen Sieg gegen diese Tyrannei», sagte Selenskyj. «Und wir werden gewinnen.» Es sei für die Welt der Enkelkinder entscheidend, wie dieser Krieg enden würde. Der Kampf sei wegweisend, ob es für die Ukrainer und die Amerikaner eine Demokratie geben werde. Es sei nur eine Frage der Zeit, bis Russland weitere Verbündete angreifen würde, wenn man das Land jetzt nicht stoppen würde. «Wir kämpfen wirklich für einen gemeinsamen Sieg gegen diese Tyrannei», wiederholt er. Die Zuhörer fühlen, dass er das auch glaubt.

Der Krieg hat Selenskyj ins Rampenlicht gestellt. So lange das Medieninteresse an seinen Aussagen gross ist, wird die Bevölkerung seine Auftritte auch künftig weiterverfolgen.

Der ukrainische Präsident hat erkannt und gelernt, Videobotschaften so zu inszenieren, dass sie eindeutig, klar verständlich beim Publikum ankommen. Er ist immer gut vorbereitet. Übrigens liegt es im Interesse der USA, dass es mit Selenskyj einen gewichtigen Gegenspieler Putins gibt.



Marcus Knill ist Experte für Medienrhetorik, Berater und Autor von rhetorik.ch.

Unsere Kolumnistinnen und Kolumnisten vertreten ihre eigene Meinung. Sie deckt sich nicht in jedem Fall mit derjenigen der Redaktion.


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