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SRF inszeniert Arbeitslose

von Regula Stämpfli

Christoph Schlingensief (1960-2010) brüllte 1998: «Ist verordnete Arbeitslosigkeit nicht schon verordneter Massenmord? Sind das nicht sechs Millionen Leichen, die wir da rumlaufen haben?» «Homo laborans» nennt Hannah Arendt entrechtete Menschen, die ihren Status von der Arbeit ableiten müssen. Daraus eine Show, eine Kunstaktion, ein Theater zu machen, war bei Schlingensiefs Interventionen noch höchst umstritten. Über zwanzig Jahre später sieht alles anders aus: Unterschichten-Probleme für relaxte Wohlstandsverwahrloste, brave Rentnerinnen, gelangweilte Millennials u.a. sollen bei SRF nun für fette Quoten sorgen.

In der neuen Serie von «SRF bi de Lüt – Hotel zum Glück» werden «fünf arbeitslose Frauen und Männer» dabei gefilmt, wie sie «während zwei Monaten den Winterbetrieb eines Hotels in Bever im Oberengadin übernehmen». Die öffentlich-rechtliche Sendeanstalt testet vor laufender Kamera also Arbeitslose – und keiner schreit «Aua».

Laut SRF sollen sich die «Menschen, die sich nicht kennen» als «Gruppe beweisen» müssen. Ob die fünf neuen Hoteliers die Chesa Salis weiterführen dürfen, «entscheiden am Schluss der Dreharbeiten im Januar die Hotelbesitzer Sibylla und Jürg Degiacomi» – selbstverständlich vor laufender Kamera. SRF hält fest, dass in der Sendung «mit unseren Mitwirkenden respektvoll» umgegangen werden soll und die Arbeitslosigkeit sowie die «Thematisierung von persönlichen Daten» nur von den «Protagonisten» selber angesprochen werden dürfen. Die Arbeitslosen vor laufender Kamera haben nach Angaben von SRF einen gültigen Arbeitsvertrag mit allen Modalitäten abgeschlossen und sind selbstverständlich freiwillig in der Sendung. Na dann, dann ist ja alles in Ordnung, nicht wahr?

Jan Hauser von der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung nannte die Inszenierung von Arbeitslosigkeit im Fernsehen «Geschäftsmodell Hartz IV» (19. Mai 2018). Es waren die Privatsender wie RTL II, die das Leben von Langzeitarbeitslosen zum Quotenhit umfunktionierten. Nun ist also SRF dran mit einem TV-Credit-System, das Arbeitslose «freiwillig» vor laufender Kamera bewerben lässt und dabei zuguckt, wie die Probezeit abläuft.

Tja. Manchmal möchte man tatsächlich die Menschen vor sich selber beschützen.



Regula Stämpfli ist Historikerin, Politikwissenschaftlerin und Medienexpertin.

Unsere Kolumnisten vertreten ihre eigene Meinung. Sie deckt sich nicht in jedem Fall mit derjenigen der Redaktion.


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