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Tiktok-Verbot als Chance

von Regula Stämpfli

«Nur weil die Falschen das Richtige sagen, wird das Richtige dadurch nicht falsch.» Dies war mein Slogan für den Verlegerverband Schweizer Medien #SagesderSchweiz.

Der Satz gilt selbst dann, wenn damit der us-amerikanische Präsident Donald Trump gemeint ist. Dessen aggressives Twittern gegen China und Tiktok birgt unangenehme Wahrheiten. Kai Strittmatter, langjähriger China-Korrespondent hat mit seinem Buch «Die Neuerfindung der Diktatur. Wie China den digitalen Überwachungsstaat aufbaut und uns damit herausfordert» genügend Dokumente geliefert, die der Neuaufteilung des globalen Netzes inklusive Zurückbindung der VR China-Dienste, hundertprozentig rechtgeben. Auch Amy Webb zeigt in ihrem Buch «Die grossen Neun» wie gefährlich die chinesischen Tech-Titanen für alle westlichen Demokratien sind.

Die meisten europäischen Datenschützer sorgen sich schon länger wegen Tiktok, aber auch wegen Huawei. In Deutschland hat das Verfassungsschutzamt sogar schon aktiv vor Tiktok gewarnt. Und Netzpolitik.org stellt fest, dass TikTok Videos politischer Proteste und sämtliche Stichworte rund um das Tianamen-Massaker von 1989 systematisch unterdrückt, obwohl der Dienst bestreitet, dass die Inhalte aufgrund der Politik gelöscht würden.

Dass in diesem Zusammenhang ausgerechnet der schweizerische Datanschutzverantwortliche, respektive der Kommunikationsleiter, Hugo Wyler hier überhaupt kein Problem sieht, erstaunt. Gegenüber dem Magazin des Berner Oberländers vom 5. August 2020 gab er zu Protokoll: «Wir haben keine Hinweise über eine datenschutzwidrige Datenbearbeitung der App Tiktok.»

Echt, jetzt? Anhand der Datenschutzerklärung TikToks lassen sich umfassende Persönlichkeitsprofile erstellen und es gibt offene Fragen punkto Kinder- und Jugendschutz. Da ist die Tatsache, dass sich der Hauptsitz von Tiktok in der VR China, einem Staat, der die digitale Überwachungsdiktatur aktiv betreibt, auch für die Schweizer Politik nicht unbedeutend.

Deshalb befremden die negativen Reaktionen auf Trumps Vorgehen gegen die VR China auch im digitalen Raum. Die meisten Medien pflegen den Tenor, dass Trump die Globalisierung verhindere, das freie Netz sowieso und er die globale Vorherrschaft digitaler Dienste unter amerikanischer Führung sichern wolle. Dies mag zutreffen, doch Hand aufs Herz. In welchen Systemen leben demokratische Menschen besser? In der digitalen Überwachungsdiktatur China oder im digitalen Plattformkapitalismus der USA?

Zudem ist der Aufschrei völlig sachfremd. Denn die Nutzung von Apps und Social-Media-Plattformen sind schon längst lokalen Auflagen unterworfen. Die EU hat mit der Europäischen Datanschutzverordnung (DSGVO) begonnen, den Datenverkehr wenigstens ansatzweise mit den geltenden Grundrechten und demokratischen Verfassungen in Einklang zu bringen. Trumps Attacken auf China sind ökonomisch und nicht demokratisch motiviert. Dies bedeutet aber noch lange nicht, dass sie in ihrer Wirkung demokratiefremd sind. Denn die sozialen Kreditpunktesysteme der VR China führen wirklich via Chinanetz zum diktatorischen Überwachungskapitalismus maoistischer Prägung. Die Neuerfindung der digitalen Diktatur ist leider eine Kernkompetenz Chinas geworden.

Selbst in der Schweiz beginnen sich die kritischen Stimmen zu mehren: So hat das Erst-Augustinterview von Aussenminister Ignazio Cassis grosse Wellen geworfen. Dabei lag der FDP-Bundesrat goldrichtig in seiner Einschätzung, dass «Hongkong» und die «Situation der Uiguren» Anlass zur Sorge böten. Die Schweiz gehörte zu den ersten Ländern Europas, die den Weg für Chinas Marsch in den Westen im Jahr 2014 freiräumten: Nach sechs Jahren ist es höchste Zeit, Bilanz zu ziehen.

Früher kämpften Demokratien militärisch gegen Diktaturen. Im 21. Jahrhundert müssen digitale Verteidigungsstrategien greifen. Es ist nicht einzuzsehen, weshalb die Sperren bspw. von Tiktok die Netz-Communities derart empören. Sie müssen spätestens seit der Machtergreifung in Hongkong erkennen, dass Tencent, WeChat, Baidu, Alibaba, Tiktok oder Huawei nicht einfach neutrale und globale Netzunternehmen, sondern sino-nationalstaatliche Überwachungsinstrumente darstellen, deren erster Zweck immer Machtabsicherung und nie Demokratie lautet.   

Trumps Initiative, globale Netzwerkdienste zu zerfasern, so falsch sie auch motiviert sein mag, bietet grosse Chancen. Nicht zuletzt für die gerade in Europa seit langem geforderten Demokratisierung aller sozialen Medien, Apps und globalen Digitaldienstleister. Statt Globish-Monopole wäre dank Trumps Initiative die Zeit für demokratische Netz-Regionalismen gekommen.



Regula Stämpfli ist Politphilosophin und leitet für swissfuture und TA Swiss am 23. September 2020 im Museum für Kommunikation die von ihr ins Leben gerufene Konferenz: Digital. Macht. Demokratie.

Unsere Kolumnistinnen und Kolumnisten vertreten ihre eigene Meinung. Sie deckt sich nicht in jedem Fall mit derjenigen der Redaktion.


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