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Warum ein Nein halb so teuer ist wie ein Ja

von Louis Perron

Während der letzten Jahre war ich bei zahlreichen Abstimmungskampagnen auf nationaler und kantonaler Ebene involviert. Manchmal fand meine Arbeit Jahre vor der eigentlichen Kampagne statt, als es darum ging, mit Hilfe von Fokusgruppen Argumente, Botschafter und Massnahmen auszuloten und zu testen. Denn Abstimmungen finden immer in einem Kontext statt. Diesen objektiv zu analysieren und in einer mittelfristigen Perspektive zu managen, ist bei Abstimmungskämpfen oft die halbe Miete.

Ich brauche in diesem Zusammenhang oft das Bild vom Curling: Man muss den Boden so bearbeiten, dass der Stein sachte dorthin gleitet, wo man ihn will. Man kann zwar auch mit viel Geld und Einsatz versuchen, ein Resultat drei Wochen vor einer Abstimmung hinzubiegen. Aber das ist meistens ein Anzeichen dafür, dass in der oben erwähnten Analyse- und Planungsphase etwas schiefgelaufen ist. Natürlich muss man dabei auch das gegnerische Lager und die Tagesaktualität im Auge behalten. Die Zeiten, in denen man eine Kampagne plant und dann einfach abspult, sind definitiv vorbei. 

Es gibt in der Schweiz mit links-grün, der bürgerlichen Mitte und dem rechts-nationalistischen Pol drei Lager. Abstimmungen gewinnt man dann, wenn zwei der drei Pole mehrheitlich zusammenfinden. Zuerst im Parlament und dann später an der Urne.

Dabei ist es grundsätzlich viel einfacher, für ein Nein zu werben anstatt für ein Ja. Denn Abstimmungskämpfe haben eine ähnliche Dynamik wie ein Prozess vor einem Gericht. Eine Richterin wägt nämlich nicht schuldig gegen unschuldig ab – und wenn etwas mehr für schuldig spricht, wird der Angeklagte verurteilt. Vielmehr schaut eine Richterin, ob es begründete Zweifel an der Schuld des Angeklagten gibt.

Analog dazu muss man bei einer Nein-Kampagne das schwächste Glied in der Argumentationskette identifizieren und in den Mittelpunkt der medialen Aufmerksamkeit rücken. Deshalb ist eine Nein-Kampagne auch halb so teuer wie eine Ja-Kampagne. Wer dazu ein Beispiel braucht, erinnere sich an die Abstimmung über das CO2-Gesetz. Umgekehrt muss man bei einer Ja-Kampagne viel Aufmerksamkeit darin investieren, eben dieses schwächste Glied in der Argumentationskette zu neutralisieren.

Das Muster lief bei der No-Billag-Initiative, beim Referendum über die Sozialdetektive sowie bei demjenigen über das Online-Glücksspielgesetz gleich: In den sozialen Medien gab es einen riesigen Hype. Die Journalistinnen und Journalisten haben es dankbar übernommen. Und wie war am Abstimmungssonntag das Resultat? Mit 71.6% Nein, beziehungsweise 64,7% Ja und 73% Ja ernüchternd eindeutig. Man lerne: Abstimmungen werden in der Schweiz nach wie vor und bis auf absehbare Zeit nicht in den sozialen Medien gewonnen.

Das soll nun aber mal nicht heissen, dass man die Instrumente, die zur Verfügung stehen, nicht nutzen soll. Noch besser aber als sie nur zu nutzen, ist, wenn man auch versteht, wie und wozu man sie in einer politischen Kampagne sinnvollerweise strategisch einsetzt. So können die sozialen Medien in einem Abstimmungskampf helfen, die Medienberichterstattung zu beeinflussen.

Auch können sie nützlich sein, um die eigene Basis zu mobilisieren und zu aktivieren – vor allem auf der linken Seite. Die Kampagne für die Konzernverantwortungs-Initiative war diesbezüglich bahnbrechend, vor allem auch was das Zusammenspiel von Mobilisierung online und offline angeht. Es ändert aber niemand seine Meinung auf den sozialen Medien. Und das Überzeugen von Unentschlossenen spielt bei Abstimmungskämpfen (im Gegensatz zu Wahlkampagnen) häufig eine sehr zentrale Rolle.


Louis Perron ist promovierter Politologe, Politberater und Dozent für politisches Marketing an der Universität Zürich.

Unsere Kolumnistinnen und Kolumnisten vertreten ihre eigene Meinung. Sie deckt sich nicht in jedem Fall mit derjenigen der Redaktion.


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