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Wenn Personalisierung am Content scheitert

von Thomas Ruck

Die Zeit der klassischen Werbung ist vorbei und das traditionelle Kampagnendenken gehört der Vergangenheit an. Heute verlangen die Menschen einen 24/7-Strom von Inhalten und Empfehlungen in ihren Streams auf einer ständig wachsenden Zahl von Kanälen – und das bitte massgeschneidert auf ihre Interessen und Bedürfnisse. Personalisierung ist zum A und O im Marketing geworden und gehört in manchen Branchen sogar schon zum Selbstverständnis, wie Lorenzo Bertelli, der CMO der Prada Gruppe, einmal so schön sagte: «Es gibt keinen Luxus ohne Personalisierung.»

Und Unternehmen haben Berge versetzt, um dieses Ziel zu erreichen. Sie haben viel in teure Technologie und Advanced Analytics investiert, um immer feinere Mikrosegmente zu finden und automatisiert ansprechen zu können.

Nichts zu sagen haben

Für viele gibt es jedoch noch ein letztes Hindernis für die Personalisierung in grossem Massstab: die Produktion von personalisiertem Content. Dieser dritte Faktor in der Personalisierungs-Gleichung ist ebenso wichtig wie die ersten beiden Faktoren: Technologie und Daten. Ohne eine schier unerschöpfliche Quelle an kreativem Content, der für jedes Kundensegment personalisiert und in jedem Format bereitgestellt werden kann, scheitert die Personalisierungs-Gleichung. Denn dann wissen Sie zwar, wem Sie wann was sagen möchten (Daten), und könnten die Botschaft sogar automatisiert auf dem passendsten Kanal aussteuern (Technologie), aber es fehlen Ihnen die Inhalte. Sie haben schlicht nichts zu sagen.

Warum ist das so schwierig?

Bis weit nach der Jahrtausendwende wurde Werbung im «TV-first»-Paradigma gedacht und gelebt. Eine kreative Idee endete in einer TV Hero-Kampagne. Der 45-Sekünder wurde aufwendig für die beste Performance «im grossen Kino» produziert. Erst im Nachgang wurden Verschnitte davon bestmöglich für den Cut-Down und für die zunehmend aufkommenden digitalen Kanäle und Formate wiederverwertet – oftmals mit der ärgerlichen Feststellung, dass das vorhandene Material dafür nicht wirklich passte; schlimmstenfalls sogar mit der Konsequenz, dass weitere Shootings notwendig wurden.

Bald kam die Erkenntnis, dass nicht mehr für TV, sondern für die immer dominanter werdenden digitalen Kanäle gedacht und produziert werden muss: «Digital-first» und oftmals «Social-first» waren geboren. Dies verbesserte zwar den Fit von Inhalten für die neu priorisierten Kanäle, löste das grundlegende Problem aber nur bedingt: Rückwärts-Adaptionen für die klassischen Kanäle und der Versuch, für Display oder Facebook produzierte Inhalte auch in Instagram zu nutzen, bedeuteten weitere aufwendige Überarbeitungen der neuen Master-Assets. Wirklich besser wurde es nicht – weder in der Produktion noch im Ergebnis: Das Potenzial der verschiedenen Kanäle wurde selten in vollem Masse ausgeschöpft, da die meisten Assets nicht für diesen Kanal konzipiert waren. Zudem stiegen mit jedem dieser Schritte die Time-to-Market, die Produktionskosten und die Fehleranfälligkeit.

Einmal produzieren, überall gebrauchen

Daraus lernen wir zwei Dinge: Die traditionellen Modelle für die Konzeption und Produktion von Content sind nicht mit der Vielfalt an Formaten und der Geschwindigkeit vereinbar, die für den heutigen dynamischen, schnelllebigen und erlebnisorientierten Marktkontext erforderlich sind. Und: Inkrementelle Verbesserungen der heutigen Content-Produktionsmodelle reichen nicht aus. Im Gegenteil: Es ist ein Paradigmenwechsel erforderlich, um die exponentielle Nachfrage nach kreativen Assets zu befriedigen: von «TV-first» über «Digital- und Social-first» zu «Production-first».

Was ist anders bei «Production-first»?

«Einmal produzieren, überall gebrauchen», heisst das Motto. Und so geht es:


Kreativität: von Magie zu Logik.
Traditionelle Kampagnen sind tot – aber Kreativität ist es nicht. Doch: Wir müssen die Art und Weise, wie wir denken und Kampagnen entwickeln, verändern und eine neue Art von Kreativität entwickeln. Kreative Ideen werden nicht «top-down» durch einen Geniestreich entwickelt, sondern «bottom-up». Eine Idee funktioniert für jeden avisierten Touchpoint nämlich anders. Deshalb müssen wir eine ganzheitliche kreative Kernidee entwickeln, die sich nicht nur für alle angedachten Kanäle irgendwie «zurechtbiegen» lässt, sondern auf jedem Kanal ihr volles Potenzial entfalten kann.


Produktionsansatz: von Endprodukten zu Atomen.
Wir müssen uns verabschieden vom Denkmodell, dass wir ein monolithisches Creative Asset als Endprodukt produzieren: die finale Kampagne. Der Kern des neuen Produktionsprozesses ist stattdessen die Produktion von «Atomen», die zu verschiedenen Assets zusammengesetzt werden können. Atome können zum Beispiel Vorder- und Hintergründe, Schauspieler vor Greenscreens oder am Drehort, verschiedene Musiken, Texte oder Grafiken, Calls-to-Action oder auch rechtliche Hinweise sein. Assets werden so in die kleinsten nützlichen Komponenten unterteilt, die so oft wie möglich in anderen Assets wiederverwendet werden können.


Produktionsplanung: vom Hero zum Kollektiv.
«Start with the end in mind» ist hier das Prinzip: Die Voraussetzung für die kollektive Produktion aller Atome ist eine ganzheitliche Kommunikationsstrategie für alle Aktivierungsmassnahmen – und nicht nur für die gefeierte Hero-Kampagne. Darauf aufbauend wird der gesamte Bedarf an Assets gebündelt und durch die kollektive Produktion von Atomen erzeugt, um eine maximale Effizienz zu erreichen. Alle Content produzierenden Einheiten – von der Kreativagentur bis zur Rechtsabteilung – müssen entsprechend ausgerichtet und gesteuert werden. Für jedes Atom wird sorgfältig abgewogen, ob es in CGI oder per Kamera produziert, als Stock-Footage eingekauft oder gar durch generative KI erstellt wird. Synergien, Wiederverwendbarkeit, Produktionslogistik und Kosten werden berücksichtigt. Eine intelligente Asset-Produktion plant im Voraus, welche Formate und Auflösungen benötigt werden. Dadurch wird Wiederverwendung von Elementen aus früheren Produktionen ermöglicht und die Verfügbarkeit der Assets für spätere Kommunikationen sichergestellt.


Inventarisierung: von der Bilderdatenbank zu «Atom-Pool» und Templates.
Eine Grundvoraussetzung für die spätere Automatisierung der Personalisierung ist die systematische Katalogisierung aller Atome, der zugehörigen Assets und aller relevanten Daten sowie intelligenten Designregeln. Veröffentlicht werden diese in einem zentralen «Atom-Pool», der von Teams, Partnern und Produzenten gemeinsam genutzt wird. Kanalspezifische Templates bestimmen dann, in welcher Kombination Atome als finale Assets in den verschiedenen Touchpoints ausgespielt werden können. Auf diese Weise wird Konsistenz zur Realität.


Ausspielung: vom Monolith zur dynamischen Fertigstellung.
Im letzten Schritt wird das finale Kommunikations-Asset aufbereitet. Moderne Dynamic Creative Optimization-Lösungen erlauben es, basierend auf den Content-Atomen und Asset-Templates abertausende von personalisierten Versionen hoch automatisiert zu erstellen und in die bespielten Kanäle zu verteilen. Gewonnene Erkenntnisse über die Effektivität der verschiedenen Versionen von Assets fliessen darüber kontinuierlich in die zentralen Reporting- und Produktionsprozesse zurück, um diese laufend zu optimieren.

Marketing Executives werden nur dann von den Investitionen in Personalisierungsfähigkeiten profitieren, wenn sie zu einem «Production-first»-Ansatz für Content übergehen. Damit wird es ihnen nicht nur gelingen, die schiere Masse an individualisierten Inhalten zu vertretbaren Kosten und in der oftmals knappen Zeitleiste zu erstellen, sondern damit gleichzeitig auch Relevanz, Qualität und Konsistenz in ihrer Marketingkommunikation zu erzielen sowie dank nicht mehr notwendiger Zusatzschleifen in der Produktion nachhaltiger zu produzieren.

Mehr als Grund genug, sich dieses Jahr damit zu beschäftigen.



Thomas Ruck ist Managing Director bei Accenture Song.

Unsere Kolumnistinnen und Kolumnisten vertreten ihre eigene Meinung. Sie deckt sich nicht in jedem Fall mit derjenigen der Redaktion.

 


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