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Wir müssen uns auf alles gefasst machen

von Roger Schawinski

Die Ende September geführte «No Billag»-­Debatte im Nationalrat bot ein ausuferndes Palaver, bei dem sich möglichst alle Parlamentarier unbedingt zu Wort melden mussten. Doch viel mehr als Schaumschlägerei wurde nicht geboten. Denn das komplexe Thema wurde zu spät angegangen – und zwar um mindestens dreissig Jahre. 1984 wurde mit der «Zürivision» das erste private Schweizer TV­-Experiment lanciert. In einem mehrstündigen Programm sollte während fünf Tagen erstmals bewiesen werden, dass auch bei uns Private Fernsehen machen können. Doch der geglückte Versuch blieb ohne jegliche Folgen. Privates Fernsehen, das mit Werbung finanziert wird, blieb weiterhin verboten.

Dabei war das Timing der Initianten perfekt. 1984 wurden in Deutschland mit RTL und Sat.1 und bald darauf Pro Sieben die ersten Privatsender lanciert, die bald auch in der Schweiz riesige Erfolge erzielten. 1994 startete Tele Züri als Regionalsender, der gemäss dem neuen RTVG in reduziertem Mass Werbung ausstrahlen durfte. Doch die Walpen­-SRG verhinderte in den folgen­ den Jahren alle Versuche, die darauf abzielten, ein sprachregionales Fernsehen zu etablieren. Zwar wurden private Sender nun mit Gebührengeldern unterstützt, aber nur regionale, meist in Bergregionen lancierte Sen­der mit beschränkter Ausstrahlungskraft, die das nationale SRG­-Monopol nicht gefährden konnten.

In Deutschland wurden in jenen Jahren weitere Privatsender gegründet, die aber den Vorsprung der zuvor gegründeten Stationen bis heute nicht aufholen konnten. Sie blieben Sender der zweiten Liga, weil Timing eben mehr als die halbe Miete ist, wie man bald lernte. Im Gesamten erreichen die deutschen Privatsender heute ähnliche Reichweiten wie ARD und ZDF. Die Entwicklung in der Schweiz verlief ganz anders: Neben den dümpelnden, hoch subventionierten Regionalsendern entstanden solche, die sich ganz der platten Unterhaltung verschrieben. Am erfolgreichsten entwickelte sich 3+, das neben eingekauften Serien und Filmen ausschliesslich zuvor im Ausland erfolgreich getestete Reality-­Serien produziert. Mehr ist da nicht. Und so ist «Bauer, ledig, sucht» seit Jahren die meistgesehene Schweizer Privat-­TV­-Sendung.

Es ist schwer vorstellbar, dass unser langjähriger, kulturell engagierter Medienminister Moritz Leuenberger diese Entwicklung im Auge hatte, als er die Weichen für die TV-­Landschaft stellte. Als ich 1998 mit Tele 24 ein täglich mehr­ stündiges journalistisches Angebot lieferte, erhielt ich von nirgends Sukkurs. Mein Hinweis, dass allein mit Werbefinanzierung niemand qualitativ hochstehendes Fernsehen im kleinen Schweizer Markt produzieren könne – nicht einmal Marktführer SRG in der Deutschschweiz –, verhallte folgenlos. Auch die SVP setzte sich nicht für eine journalistische private Konkurrenz ein. Chris­toph Blocher lobte zwar oft meinen unternehmerischen Mut, aber echte Unterstützung bekam ich von ihm und seiner Seite nicht.

Und heute soll nun alles anders sein. Jetzt will man die SRG zurückbinden, um den Privaten Luft zum Leben zu verschaffen, wie es heisst. Das ist nichts als blühender Unsinn. Das «window of opportunity» hat sich längst geschlossen. Die Plätze an der Sonne sind besetzt. Schweizer Regionalstationen haben keine echte «upside», und das bliebe auch bei einer kastrierten SRG so. Und die heimischen TV-­Unterhaltungs-­Klitschen können allein mit Werbeeinnahmen niemals ein konkurrenzfähiges Angebot liefern, mit dem sie durchstarten könnten. Sie werden in einem immer stärker fragmentierten Markt im Gegenteil alles tun müssen, um nicht Marktanteile zu verlieren.

Und deshalb verfolgte ich die Parlamentsdebatte zu «No Billag» mit Grausen. Da äusserten sich vor allem Interessenvertreter und Ideologen ohne jegliche Grundkenntnisse. Das war bestenfalls Stammtischgeplauder über Sendungen, die man verabscheut. Ehrlicher wäre das Fazit gewesen: Die Politik hat in diesem Bereich seit Jahr­zehnten versagt, weil sie dieses Thema zuerst mit Desinteresse, dann mit Scheuklappen behandelte. Und die heute von Politikern präsentierten Schocktherapien haben alle­ samt das Potenzial, die verfahrene Situation noch weiter zu beschädigen. Die ausländischen Stationen, die sich einen überragen­den Marktanteil von über sechzig Prozent gesichert haben, würden sich die Hände reiben.

Und im Gegensatz zu den zahllosen Rednern im Bundeshaus kenne ich als ehe­maliger Geschäftsführer von Sat.1 in Berlin und als VR-­Mitglied von Sat.1 Schweiz die wahren Mechanismen. Deshalb befürchte ich Schlimmstes – etwa ein undifferenziertes Halali auf die SRG, um das aktuelle populistische Nein-­Klima aus politischen Gründen zu nutzen. Denn niemand garantiert, dass man nach den Fehlern der Vergangenheit nicht noch neue begeht, um mit diesen das Kind mit dem Bade aus­ zuschütten. Wir müssen uns auf alles gefasst machen.

Unsere Kolumnisten vertreten ihre eigene Meinung. Sie deckt sich nicht in jedem Fall mit derjenigen der Redaktion.


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