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«Wir wollen unseren Journalismus wiederhaben»

von Kurt W. Zimmermann

Die diesjährige Wahl zum «Journalisten des Jahres» war in einem Punkt besonders bemerkenswert. Es war nicht nur eine Wahl, es war mehr als das. Es war so etwas wie eine Protestdemonstration. Die Schweizer Journalisten protestierten gegen die aktuelle Situation in der Medienbranche.

«Journalist des Jahres» wurde Daniel Ryser von der «Wochenzeitung» für seine brillante Reportage über die «Dschihadisten von Bümpliz». Er arbeitete monatelang daran und sein Blatt druckte sie schliesslich auf 28 Seiten. Eine solch intensive Beschäftigung mit einem Thema leistet sich sonst keine Zeitung mehr.

Chefredaktorin des Jahres wurde Susan Boos von der WoZ. Sie ermöglicht in ihrem Blatt noch grosse, zeitintensive Stücke, nicht nur von Ryser. Wenn die WoZ am Ende des Jahres ein wenig Geld verdient hat, dann steht Susan Boos vor die Redaktion und sagt: «Wir haben etwas Geld übrig. Reicht mir doch bitte ein paar journalistische Projekte ein, die wir damit finanzieren können.»

Wenn Tamedia am Ende des Jahres nicht ein wenig sondern viel Geld verdient hat, ja, was passiert dann? Auf der politisch gegenüberliegenden Strassenseite der Woz ist es interessanterweise ähnlich. Auch die «Weltwoche» investiert noch in Journalismus. Sie schickt beispielsweise den preisgekrönten Reporter Kurt Pelda, einen Vorgänger Rysers, immer wieder in den Nahen Osten und finanziert seine Recherchen vor Ort. Andere Blätter leisten sich solchen Journalismus aus erster Hand schon lange nicht mehr.

Die Woz wie die Wewo sind ideologisch klar positioniert. Ich glaube, das ist kein Zufall. Wer eine politische Überzeugung hat, der hat auch eine journalistische Überzeugung. Er will etwas bewirken. Er will seine Weltsicht darlegen. Das ist nicht zu Discoutpreisen zu haben. Wer keine politische Überzeugung hat, dem ist auch der Journalismus keine Herzenssache.

Die Kritik richtet sich gegen die grossen Medienhäuser wie Tamedia und Ringier. Sie haben keine politische Überzeugung. Eine journalistische Überzeugung ist darum auch immer weniger zu erkennen. Man investiert in Handelsgeschäfte und nicht in Redaktionen.

Es ist kein Widerspruch, dass bei der Wahl zu den Journalisten des Jahres auch drei Journalisten des «Tages-Anzeigers» als Kategoriensieger ausgezeichnet wurden: Michèle Binswanger, Constantin Seibt und Jean-Martin Büttner. Das Trio, wenn man es etwas böse sagen will, ist so etwas wie ein Tamedia-Feigenblatt. Sie können noch jenen Journalismus betreiben, den wir alle wollen. Sie haben Zeit, sie können sich auch mal das Scheitern einer Story leisten, sie können die grossen, vertieften Arbeiten liefern.

Der Grossteil ihrer Kollegen auf der weiter schrumpfenden Redaktion hingegen steckt in der täglichen Stakkato-Maschine der publizistischen Industrieproduktion.

Constantin Seibt hat beim «Tages-Anzeiger» nun gekündigt, weil, wie er sagt, «Tamedia sich zunehmend von der Publizistik verabschiedet». 

Ja, die Wahl war eine Art Protestdemonstration. Die Journalisten haben gesagt. Wir wollen unseren Journalismus wiederhaben.

In dieses Bild passt, dass auffallend viele SRG-Mitarbeiter auf den vorderen Rängen liegen. Die redaktionellen Arbeitsbedingungen bei Radio und Fernsehen sind, weil durch Zwangsgebühren finanziert, inzwischen besser als in der Privatwirtschaft. Die grosse Recherche beispielsweise ist hier noch möglich.

Wahlen, so sagt man, drücken den Volkswillen aus. Der journalistische Volkswille ist unüberhörbar.

 


*Dieser Text stammt aus dem aktuellen «Schweizer Journalist», wo Kurt W. Zimmermann Chefredaktor ist


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