08.01.2016

Webrepublic

"Ich kenne nur wenige Firmen, die ihre Daten im Griff haben"

Werbung im fundamentalen Wandel: Während klassische Agenturen immer digitaler werden, bauen Digitalagenturen zunehmend Kreativ-Kompetenz auf. So zum Beispiel Webrepublic. Was Tobias Zehnder 2009 mit seinem Partner Tom Hanan als Suchmaschinenmarketing-Firma startete, ist heute zu einer der bedeutendsten Online-Marketing-Agenturen der Schweiz angewachsen. persoenlich.com hat den Digital-Experten getroffen. Ein Gespräch über das Google-Adwords-Geschäft und die Bedeutung von Kundendaten im modernen Marketing.
Webrepublic: "Ich kenne nur wenige Firmen, die ihre Daten im Griff haben"

Herr Zehnder, Sie sind passionierter Bierbrauer. Was gärt momentan in Ihrem Keller?
Ich trinke gerne Bier und interessierte mich darum für die Produktion, genau so wie mich Details und Hintergründe auch in beruflichen Fragen interessieren. Ich möchte verstehen, wie die Produkte und Dienstleistungen, die ich nutze, funktionieren. Nach diesem Motto habe ich angefangen, Bier zu machen – mit einem Bierbrau-Set, um ehrlich zu sein.

... und welche Ideen gären im Geschäft?
Vieles, was lange gärte, konnten wir 2015 umsetzen. Vor sechs Jahren starteten wir als fokussierte SEA-Agentur. Wir haben damals in erster Linie AdWords für unsere Kunden geschaltet und mit Hilfe eines Software-Ingenieurs nach Wegen gesucht, mehr aus AdWords herauszuholen. Wir waren Spezialisten mit einem einzigartigen Know-how. Seither ist vieles passiert. Digitales Marketing ist keine Nische mehr, sondern hat einen festen Platz im Marketingmix. Dieser ist aber nicht mehr klar umrissen, denn hier spielen Video-Werbung hinein, PR, Content Marketing, Markenführung oder Branding. All diese – früher strikt getrennten – Disziplinen konvergieren immer stärker, auch in unserer Agentur.

Wie andere Digital-Agenturen entwickelt sich also auch Webrepublic immer weiter Richtung Kreation.
AdWords zu entwickeln ist im Grunde Kreation, Text und Mediaplanung in einem: Ich denke mir Suchabsichten aus, kreiere passende Anzeigen-Texte, die das Produkt auf extrem kleinen Platz, möglichst ansprechend und kreativ beschreiben; und ich lege fest, wie ich mein Budget einsetzen will. Das heisst, wir haben im Kleinen eigentlich schon seit jeher gemacht, was heute in unserer Agentur, die mittlerweile 85 Mitarbeitende umfasst, immer wichtiger wird: Kreation.

Wie holen Sie sich die Kreativ-Kompetenz ins Haus?
Bei uns wird es nie einen "Head of Content Marketing" geben, der dann aber auch schon der einzige ist, der Content "kreiert". Unsere Leute arbeiten in verschiedenen Disziplinen und sollen jeweils dort kreativ sein. Wichtig ist Freiraum. Die Mitarbeiter müssen Zeit haben, sich in die Kunden hineinzudenken, um für sie die beste Lösung zu finden. Wir wachsen organisch. So haben wir dieses Jahr die Abteilung Display, wo digitale Werbemittel produziert werden, verdoppelt – mittlerweile sind es vier Mitarbeitende. Und bei uns arbeiten neu auch Spezialisten für Frontend-Entwicklung oder Grafikdesign und natürlich Berater, die die Projekte koordinieren.

Welchen Anteil am Gesamtumsatz macht das Geschäft mit Google Adwords bei Webrepublic heute noch aus?
Noch ist dieser Geschäftsbereich Hauptumsatztreiber. Wir denken aber weiter und überlegen uns, wie wir den Geschäftserfolg des Kunden positiv beeinflussen können. Wenn ein Kunde zum Beispiel mit Google-Adwords an eine Grenze kommt, dürfen wir nicht einfach denken: Okay, das war jetzt Pech. Wir sind ehrgeizig und ambitioniert und finden immer wieder andere Strategien und Lösungen.

Wo gibt es Grenzen bei Adwords?
Es gibt zwei Grenzen. Die erste: sobald das zur Verfügung stehende Budget erschöpft ist, obwohl noch eine Nachfrage besteht. Die zweite: Irgendwann hat ein Unternehmen alle Leute erreicht, die nach seinem Produkt suchen. Der nächste Schritt ist es dann, Leute zum Produkt zu bringen, die nicht aktiv danach suchen, es jedoch interessant finden könnten. Dann geht es nicht mehr einfach nur um Suchmaschinenwerbung, sondern um digitales Branding oder Markenbekanntheit.

Google Adwords sind in gewissen Branchen extrem teuer geworden.
Hier spielt Angebot und Nachfrage. Im Buchmarkt werden Adwords nie teurer sein als 40 bis 50 Rappen, denn die Margen sind tief in dieser Branche. Niemand würde für einen einzigen Klick 30 Franken zahlen, im Gegensatz etwa zur Finanz- oder Versicherungsbranche. Dort kann es sich unter Umständen lohnen, 50 Franken für einen einzigen Klick zu zahlen, weil aus der Anfrage eine langjährige Kundenbeziehung entstehen kann, die mehrere tausend Franken umsetzt.

Wie viel kosten die teuersten Klicks?
In den USA sind Anfragen für Juristen besonders teuer. Denn die Anwälte arbeiten dort erfolgsbasiert und sind auf lukrative Kunden angewiesen. In Deutschland ist die Keyword-Verbindung "Wirtschaftsdetektei Frankfurt" eine der teuersten.

Sie sind bei Webrepublic zuständig für die Geschäftsentwicklung. Wenn Sie auf 2016 blicken: Welches sind die Themen der Zukunft? Virtual Reality oder Content Marketing?
Aus meiner Sicht wird es im nächsten Jahr vor allem wichtig sein, bestehende Trends zu erkennen und die entsprechenden Themen richtig anzugehen. Virtual Reality hat grosses Potential, vor allem für Autobauer oder Immobilienanbieter. Die meisten Marken sollten jedoch jetzt nicht wild Virtual-Reality-Videos produzieren, sondern zuerst ihre Instagram- oder YouTube-Strategie auf Vordermann bringen.

Und was ist mit Big Data?
Wichtig ist für die Unternehmen, dass sie Messbarkeit und Datenanalyse professionalisieren. Ich kenne nur wenige Firmen, die ihre Daten wirklich im Griff haben und zu nutzen wissen. "Big Data" ist zwar ein tolles Schlagwort, doch aus den Daten tatsächlich einen Mehrwert zu generieren und auch die Grenzen der Messbarkeit zu erkennen, ist gar nicht so einfach.

Was heisst das?
Auch wenn wir im Jahr 2015 sind, können wir als Digital-Marketing-Agentur nicht immer sagen, ob die Person, die jetzt gerade mit ihrem iPad diesen neuen Turnschuh kauft, ein und dieselbe ist, die gestern auf dem Smartphone das Pre-Roll-Ad auf YouTube angeschaut und am Tag zuvor auf dem PC im Geschäft den passenden Banner gesehen hat. User nutzen verschiedene Geräte , das macht das Tracking sehr anspruchsvoll. Unternehmen wie Google arbeiten intensiv daran, diese Herausforderung zu meistern und ich bin sicher, dass sie erfolgreich sein werden.

Wie sicherheitsbedacht sind Sie selber wenn Sie privat im Internet surfen; resp. nutzen Sie Gmail und Direktnachrichten von Facebook?
Diesbezüglich bin ich nicht besonders vorsichtig. "I eat my own dog food", sozusagen. Ich nutze keine Adblocker, logge mich nicht über VPN ein oder surfe mit dem Tor-Browser, denn ich sehe auch, welche Grenzen die Analyse von Konsumdaten hat. Im Gegenteil: Ich erwarte sogar, dass ein Unternehmen mein Surfverhalten analysiert und weiss, wann ich ein Produkt gekauft oder meine Ferien gebucht habe, sodass ich nicht wochenlang nach dem Kauf mit Werbung zu einem bestimmten Produkt bombardiert werde.

Wird es irgendwann möglich sein, einem Kunden nach einem offline Kauf keine Online-Werbung mehr für das entsprechende Produkt zu präsentieren?
Klar. Hotelplan ist da zum Beispiel sehr innovativ. Der Reiseanbieter nimmt User auf eine Remarketingliste, wenn sie sich auf seinen Seiten über Reisen informiert haben. Bucht ein solcher User in einer Filiale, erhält er eine Buchungsbestätigung per Mail. Öffnet er diese, registriert das der Anbieter und entfernt den User aus den einschlägigen Remarketing-Listen. Das ist ein smarter und verantwortungsvoller Umgang mit Nutzerdaten. Ich kann mir auch vorstellen, dass wir Einkaufsdaten, die über Bezahllösungen für Smartphones erhoben werden, nutzen werden, um online noch relevantere Werbung ausspielen zu können. Ich fänd's cool, wenn mir Werbung für Biergläser oder ein Brezel-Backset angezeigt würde, nachdem ich im Coop ein Bierbrauset gekauft und mit Google Wallet bezahlt habe.

Welches sind die Trends bezüglich dem Einsatz von Nutzerdaten für das digitale Marketing? 
Der verantwortungsvolle Einsatz von Nutzerdaten wird dazu beitragen, dass in drei Jahren Werbung von den Nutzern als relevanter wahrgenommen und geschätzt werden wird.

Warum?
Ich bin überzeugt, dass die Nutzer immer besser verstehen werden, welche Daten über sie erhoben werden und wie sie das gezielt und ganz pragmatisch beeinflussen können. Damit entsteht ein wertvoller Feedbackloop für uns. Für mich heisst das, dass ich verantwortungsvoll mit den Daten umgehen muss, die ein User über sich preisgibt. Gehe ich zu weit, werde ich ganz schnell abgestraft. Wenn ich aber als Marketer Daten nutze, um einem Nutzer das Leben zu vereinfachen, ihm Angebote unterbreite, die ihn tatsächlich interessieren, wird er meine Anzeigen schätzen.

Interview: Edith Hollenstein; Bild: zVg


Als Innovationschef ist Tobias Zehnder für die strategische Entwicklung der Agentur verantwortlich. Bevor er 2009 Webrepublic mitgründete, hat er unter anderem bei Google in Zürich gearbeitet und an der Universität Zürich Publizistikwissenschaft und Linguistik studiert.



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