22.01.2025

Zattoo

«Wir verstehen uns als Content-Aggregator»

Roger Elsener ist seit 100 Tagen CEO bei Zattoo. Der ehemalige CH-Media-Manager will das Streamingunternehmen mit technologischer Expertise und frischem Blick neu ausrichten – mit einer Strategie, die über klassisches Fernsehen hinausgeht und auf neue Partnerschaften setzt.
Zattoo: «Wir verstehen uns als Content-Aggregator»
«Wir wachsen in allen Produktbereichen zweistellig», so Roger Elsener, seit 1. Oktober CEO von Zattoo. (Bild: Zattoo)

Roger Elsener, vom TV-Haus zum Streamingpionier – was war Ihr erster grosser Kulturschock?
Überrascht war ich über die Firmensprache: Englisch, obwohl wir ein Schweizer Unternehmen sind und die meisten Mitarbeitenden in Deutschland und der Schweiz arbeiten. Das hat aber seinen Grund: Wir sind ein Team aus 49 Nationen. Wir sind ein Melting Pot der Welt – es gibt kaum ein Land, das bei uns nicht vertreten ist. Gleichzeitig habe ich in einem Unternehmen noch nie so einen guten Zusammenhalt unter den Mitarbeitenden erlebt.

Also ist Zattoo ein sehr internationales Unternehmen …
Genau. Wenn wir in die Weihnachtsferien gehen, kann ich nicht allen frohe Weihnachten wünschen, weil nicht alle Weihnachten feiern. Oder wenn ein neues Jahr anbricht: Es gibt das Chinese New Year, das an einem anderen Tag ist als unser Neujahr. Wenn internationale Konflikte ausbrechen, ist es nicht immer so eindeutig, auf welcher Seite man sich gerade fühlt – in der Regel haben wir immer von beiden Lagern Mitarbeitende bei uns. Darum ist es wichtig, dass man sehr sensitiv mit diesen Themen umgeht. Ein weiterer grosser Unterschied sind die Arbeitsbedingungen bei Zattoo – sie lassen viel mehr Flexibilität zu als zuletzt bei CH Media.

Inwiefern?
Es wird viel mehr Selbstautonomie zugeschrieben. Es gibt mehr Homeoffice, es gibt mehr Workation-Möglichkeiten – also die Option, von jedem beliebigen Ort aus zu arbeiten. Man verlässt sich darauf, dass für das Team umso mehr alles gegeben wird und mehr geleistet wird.

Man sagt, neue Chefs sollten sofort etwas verändern. Damals bei TeleZüri war es das Logo. Was haben Sie bei Zattoo verändert?
Ich habe zunächst unser Managementteam neu aufgestellt. Wir konnten Paul Fournier für unser Strategy Department gewinnen und Klaus Nadler für unser Sales Department. Das heisst, ich konnte mein Team gezielt formen. Auch neben den neuen Kräften darf ich auf ein sehr erfahrenes und talentiertes Team zählen. Ab Januar haben wir zudem eine etwas grössere Officepräsenz eingeführt, damit wir das kollaborative Element und das Sich-Näher-Sein wieder stärken können. Das hilft mir auch, weil ich neu bin, um alle zusammen besser kennenzulernen.

Ihnen fiel auf, dass man bei Zattoo flexibler arbeiten kann – und nun wollen Sie genau das abschaffen?
Nein, natürlich nicht. Ich will es nicht abschaffen, sondern die Präsenz vor Ort punktuell wieder stärken. Workshops oder Company Meetings sollen beispielsweise vermehrt wieder direkt im Büro stattfinden. Es war an der Zeit, gemeinsam mit dem Managementteam gewisse Regelungen aus der Coronazeit zu überdenken. Die neuen Regeln sind immer noch sehr mitarbeiterfreundlich.

Sie haben Paul Fournier erwähnt. Bei CH Media war er der Architekt von Oneplus, während Sie das Projekt lanciert haben. Welche Impulse erwarten Sie von ihm?
Paul Fournier leitet bei uns das Strategiedepartement. Einen Strategieprozess einzuführen war eine meiner ersten Massnahmen. Bereits wenige Wochen nach meinem Start haben wir damit begonnen, gemeinsam mit dem neuen Team die strategische Ausrichtung für die nächsten fünf Jahre zu definieren. In diesem Prozess hat er eine zentrale und prägende Rolle.

Sie haben ihn von CH Media geholt …
Das stimmt so nicht ganz – Paul hat selbst entschieden zu gehen. Er hatte auch andere Angebote auf dem Tisch. Ich bin glücklich, dass er sich für uns entschieden hat. Er ist eine grosse Verstärkung für Zattoo. Es ist kein «Rausholen» und ich werde auch künftig keine CH-Media-Mitarbeitende abwerben. Ich bin dankbar für meine CH-Media-Zeit und wünsche dem Unternehmen nur das Beste.

Wie unterscheidet sich die Führungskultur bei einem Technologieunternehmen von der eines Medienhauses?
Die Unterschiede sind nicht mehr so gross, weil sich Medienhäuser stark in Richtung Technologie entwickeln. Heute ist jedes Medienhaus auch ein Technologiehaus. Der Hauptunterschied: Wir entwickeln Technologie konsequent aus Sicht des Endusers. Was möchte der User? Das versuchen wir, besser als jedes andere Unternehmen umzusetzen. Während Medienhäuser neben den technologischen auch noch den journalistischen und inhaltlichen Aspekt stark gewichten müssen.

«Die Aufenthalte lassen sich gut mit dem Familienleben vereinbaren»

Sie pendeln zwischen Zürich und Berlin. Wie organisieren Sie das?
Ich bin jede Woche zwei, zweieinhalb Tage in Berlin. In Summe ist das dann nicht viel mehr als früher bei CH Media, aber besser planbar – bei CH Media war ich oft länger unterwegs, etwa für die LA Screenings oder die Mipcom in Cannes. Die regelmässigen, aber kürzeren Aufenthalte lassen sich gut mit dem Familienleben vereinbaren.

Den meisten ist Zattoo als Streamingdienst bekannt. Sie verdienen aber auch damit, dass Sie Ihre Technologie als sogenannte White-Label-Lösung verkaufen – also Ihre Technologie unter der Marke anderer Anbieter wie Salt TV. Wie wichtig ist dieses B2B-Geschäft?
Das macht bereits ein Drittel unseres Umsatzes aus, Tendenz steigend. Zusammen mit unserem klassischen Streaminggeschäft wachsen wir stark: Die Anzahl gestreamter Stunden über all unsere Streamingangebote liegt 40 Prozent über dem Vorjahr. Wir wachsen in allen Produktbereichen zweistellig – mit Abonnenten im direkten Kundengeschäft, im Werbegeschäft und eben im White-Label-Bereich.

Was macht Ihre Technologie für Partner so attraktiv?
Wir bieten eine komplette End-to-End-TV-Lösung. Das ist ideal für Internetprovider, die kein eigenes TV-Geschäft aufbauen wollen. Wir betreiben eigene Rechenzentren mit über 1500 Sendern, kümmern uns um das Streaming, die CDN-Technologie, die Middleware und die Benutzeroberfläche. Der Endkunde sieht dabei nur die Marke des Partners – bei Salt TV etwa merkt niemand, dass Zattoo dahintersteckt.

Salt TV, 1&1 oder Sky Switzerland sind gleichzeitig Ihre Technologiepartner und Ihre Konkurrenten. Wie funktioniert das?
Dieses «Coopetition-Modell» bringt beiden Seiten Vorteile. Durch unser direktes Abo-Kundengeschäft wissen wir präzise, was TV-Zuschauer wollen, welche Features sie nutzen und schätzen. Diese Erkenntnisse fliessen direkt in die Entwicklung unserer White-Label-Plattform ein. Das ist ein grosser Vorteil für Partner wie 1&1 in Deutschland und Salt in der Schweiz.

«Wir setzen stark auf den grossen Bildschirm»

Ihre Werbetechnologie wird von Sky Switzerland genutzt. Wird Zattoo zum Schweizer Ad-Tech-Champion?
Das sind wir in gewisser Weise bereits. Unser Ad-Tech-Stack bekommt sogar Komplimente von Google und Amazon. Wir setzen stark auf den grossen Bildschirm – wie klassische TV-Werbung. Das bringt die gleichen Vorteile: exklusives Umfeld, Premium-Content, hohe Nutzungsdauer. Der entscheidende Unterschied: Über CTV, also Connected TV, können wir datenbasierte, personalisierte Werbung ausspielen. Das kann klassische TV-Werbung nicht.

Wie funktioniert das genau?
Unsere Streamingtechnologie ist rückkanalfähig: Wenn jemand einen Sender einschaltet, wissen wir genau, wann geschaut, wann pausiert wird und wann vorgespult wird. Über die Login-Daten erstellen wir Nutzerprofile. So können wir verschiedenen Zuschauern zur gleichen Zeit unterschiedliche und auf sie zugeschnittene Werbung zeigen. Wir personalisieren über soziodemografische Merkmale wie Alter und Geschlecht oder über Kohorten hinsichtlich des Streamingnutzungsverhaltens. Speicherung und Nutzung erfolgen dabei selbstverständlich anonymisiert. Dabei werden rund 85 Prozent unserer Inhalte über Connected TVs gestreamt, was uns zu einem attraktiven Anbieter in einer der wachstumsstärksten Werbeformen im digitalen Werbemarkt und zu einer interessanten Alternative oder Ergänzung zur klassischen TV-Werbung macht.

Zattoo baut auch das Angebot an Free Ad-Supported Streaming Television (FAST) aus. Was sind das für Kanäle?
Wir betreiben bereits fast 100 FAST-Kanäle, allein 2024 kamen 36 neue dazu. Ein typisches Beispiel wäre ein reiner Spielfilmkanal, ähnlich wie 4+. Der entscheidende Unterschied: Statt eines klassischen Broadcast-TV-Signals senden wir jedem Zuschauer einen individualisierten Stream mit individualisierter Werbung, wodurch natürlich auch unser Werbeinventar wächst.

Warum setzen Sie auf lineare Kanäle, wo doch alles Richtung On-demand geht?
Wir setzen natürlich nicht nur auf lineare Kanäle, wir bieten über unsere «Zattoothek» auch über 30'000 On-demand-Inhalte an. Die User sind aber vom riesigen On-demand-Angebot der Streamingdienste teilweise überfordert. Studien zeigen, dass die Suche nach einem Film auf Netflix im Schnitt mehrere Minuten dauert. Das frustriert. Deshalb erleben lineare Kanäle ein Comeback – jetzt eben als personalisierte Streamingvariante. On-demand-Nutzung und Livestreamingnutzung ergänzen sich komplementär.

Sie bieten mittlerweile auch Internet an. Was steckt dahinter?
Wir arbeiten hier mit Init7 zusammen und werden das Angebot bald deutlich verbessern. Unser Ziel ist eine 98-prozentige Abdeckung in der Schweiz. Viele Kunden möchten Internet und TV aus einer Hand – wir bieten ihnen dafür eine attraktive Alternative zu den grossen Telekommunikationsanbietern.

«Wir sehen uns eher als Partner, denn als Konkurrenten von Netflix und Disney+»

Wie positionieren Sie sich gegenüber Netflix und Disney+?
Anders als diese Anbieter produzieren wir keine eigenen Inhalte. Wir verstehen uns als Content-Aggregator – als Plattform, die verschiedene Angebote optimal zugänglich macht. Das erlaubt uns, uns voll auf die technologische Innovation zu konzentrieren. Wir sehen uns folglich eher als Partner, denn als Konkurrenten von Netflix und Disney+.

In allen Bereichen spricht man über künstliche Intelligenz (KI). Wie nutzen Sie diese Technologie?
KI ist bei uns schon fest integriert. Wir nutzen sie für Entwicklung und Tests von Code, aber auch für das zentrale Thema Discovery – also Such- und Empfehlungsfunktionen. Softwareentwickler werden zwar weiterhin unentbehrlich sein, aber KI unterstützt sie bereits jetzt erheblich. Auch im Werbebereich wollen wir auf KI setzen, etwa bei der Kampagnenplanung oder bei automatisierten Reportings.

Wie sieht das TV-Erlebnis in drei Jahren aus?
Die Streamingpattformen werden stärker kooperieren müssen. Aktuell sind die Nutzer von der Fragmentierung überfordert, wir kennen das besonders aus dem Bereich Sport. Wir brauchen eine übergreifende Lösung: Wenn jemand einen Film sucht, sollte die Empfehlungs-Engine auch Vorschläge von anderen Plattformen machen können. Aus Nutzersicht führt hier kein Weg daran vorbei, und letztlich wird sich das Konsumenteninteresse durchsetzen.

Könnte Zattoo diese verbindende Plattform werden – etwa für Schweizer Anbieter wie Oneplus und das künftige PlayNext der SRG?
Das wäre definitiv denkbar. Die SRG müsste ihre Inhalte dabei nicht auf unseren Servern speichern, das lässt sich elegant über Deep Links lösen. Zattoo könnte so als technologische Plattform die verschiedenen Angebote der SRG, Oneplus und weiteren zusammenführen, das wäre ein Win-win für alle.

Welche neuen Geschäftsfelder erschliessen Sie?
Wir fokussieren stark auf den Ausbau des Werbegeschäfts. Neben der exklusiven Vermarktung von Sky Show werden wir ab sofort auch Rakuten TV in der Schweiz vermarkten. Unser Ziel ist es, unsere führende Position im Werbemarkt für Connected-TV-Inventar weiter auszubauen. Gemeinsam mit Partnern können wir so ein breites, nettoreichweitenstarkes Angebot am Werbemarkt platzieren. Zudem wollen wir Teile unserer Streaming- und Ad Stack-Technologie in weitere Länder ausrollen, allenfalls auch über Europa hinaus.



Zattoo ist ein europäischer TV-Streaminganbieter mit mehreren Millionen monatlichen Nutzern. Das Unternehmen betreibt ein direktes Kundengeschäft im DACH-Raum und bietet in zehn Ländern eine White-Label TV-Plattform für über 30 Partner an. Zattoo ist zudem führend im Bereich Connected-TV-Vermarktung (CTV) mit eigener Ad-Tech-Technologie.


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