19.11.2024

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Zwischen den Zeilen lesen

Wie jedes Jahr bringt der ADC Switzerland auch 2024 wieder das Jahrbuch mit allen Award Winners heraus. Wir haben das Beste vom Besten als Anlass genommen, um mit dem ADC Präsidenten darüber zu sprechen, warum menschliche Kreativität relevant bleibt.
Ausgabe 11/2024: Zwischen den Zeilen lesen
Das Beste vom Besten auf 142 Seiten verewigt.

Interview: Sherin Kneifl Bilder: Nathan Beck, Ralph Halder, Marvin Hugentobler

Herr Wildberger, auf welcher Seite haben Sie das ADC Jahrbuch als Erstes aufgeschlagen?

Ich habe es komplett durchgeblättert, um zu schauen, ob alles da und am richtigen Ort ist. Dabei ist mir direkt wieder aufgefallen, wie wertvoll ein solches Buch ist. Es hat relativ gesehen wenig Inhalt, aber der ist von Seite 1 bis 142 ausgezeichnet und widerspiegelt nur einen ganz kleinen Teil der Werbung, die in der Schweiz in einem Jahr produziert wird. Aber es ist eben der entscheidende Teil, nämlich der, den wir als gut erachten. Es ist faszinierend wie auch ein wenig frustrierend zu sehen, wie wenig am Ende übrigbleibt. Umso wertvoller erscheint dieses Wenige, was in dem Jahrbuch steht.

Wertvoll für wen?

Für jeden, der es liest. Das sind vornehmlich diejenigen, die für die Arbeiten verantwortlich sind: Kreative, Kunden und Umsetzer. Mindestens das Gleiche gilt für jene, die jetzt keine eigene Arbeit in dem Buch wiederfinden. Es muss in ihnen den Wunsch auslösen, auch mal oder erneut Teil einer solchen Zusammenfassung zu sein, die schlichtweg das Beste zeigt. Darauf kann man nichts anderes als stolz sein. Wir stehen ja jeden Tag morgens auf, um zu versuchen, solche Qualität zu erreichen. Abgesehen von der Inspiration, die das Buch bietet, und der Orientierung für den Nachwuchs, muss jede kreative Person davon gekitzelt werden und es anstreben, zu diesem Kreis zu gehören. Man könnte fast davon sprechen, dass es süchtig macht. Früher ging bei uns Werbern der Blick zuerst hinten in den Index, um den eigenen Namen zu suchen und die Seitenzahlen daneben, was gleichbedeutend war mit der Anzahl an Arbeiten, bei denen man in den Credits vorkam. Schon von weitem konnte man sehen, dass gewisse Namen mit mehreren Zeilen vertreten waren, wer zu den Top-Kreativen zählte und zu welcher Agentur man aufschaute und dort gerne arbeiten wollte. 

Viele unken, die Branche hätte ihre Strahlkraft verloren, der Nachwuchs bliebe aus. Wollen die Jungen nicht mehr in den Agenturen arbeiten?

Ich glaube, dass sich das gerade wieder ändert. Es gab eine Phase, wo die Werbe- und Kommunikationsbranche an Attraktivität verloren hat. Das liegt eindeutig an den Kanälen, die neu dazugekommen sind. Die Agenturen haben eine Weile gebraucht, um sie zu verstehen. Deswegen sind die Talente dorthin, wo man schon weiter war, etwa zu den Tech-Konzernen. Mittlerweile haben die Agenturen aufgeholt, befassen sich stark mit digitalen Angeboten und bieten neue Berufsprofile; sie ziehen den Nachwuchs abermals an. Demnächst könnte sich der Kreis also schliessen. 

Sie geben vor, was kreative Werbung, was gut und schlecht ist. Warum glaubt man Ihnen? 

Der ADC war schon immer die Vereinigung der führenden Kreativen, und einer muss ja definieren, was gut und schlecht ist, und das tun logischerweise die, die tagtäglich zeigen, wie’s geht, und das über Monate, Jahre oder sogar Dekaden hinweg. Bei diesen Leuten handelt es sich um die Handvoll, in unserem Fall rund 200, die das bereits bewiesen haben. 

Der ADC war früher mehr im Gespräch. Täuscht der Relevanzverlust oder steuern
Sie dagegen?

Man muss festhalten, dass der ADC lediglich der Spiegel der Branche ist. Wir sind ein Verein, der die Interessen zusammenhält. Wenn die Agenturen husten, hat der Club die Grippe. Nichtsdestotrotz habe ich es mir gemeinsam mit dem Vorstand zur Aufgabe gemacht, den ADC stärker zu positionieren. Auch die Mitglieder stehen in der Pflicht. Wir haben uns je länger, je mehr der Kreativität verschrieben als einziges Lösungsmittel für Probleme egal welcher Art. In erster Linie im kommunikativen Bereich, aber wir haben uns aus einem Selbstverständnis heraus geöffnet für Berufe jenseits des Texters und des Art Director und tragen in unzähligen Bereichen zur Weiterentwicklung bei. Kreativität ist relevant. Deswegen kann es nicht sein, dass der ADC es nicht mehr sein soll. 

Ist ein Award-Anlass pro Jahr dann nicht ein bisschen wenig?

Der Club ist bereits deutlich aktiver, um nicht nur einmal im Jahr zu sagen, was gute oder schlechte Kommunikation ist, sondern laufend und gezielt zu zeigen, wozu unsere Kreativität in der Lage ist. Es erscheinen Thought Leadership Pieces, wir organisieren unterschiedliche Veranstaltungen, engagieren uns stark in der Nachwuchsförderung, publizieren Artikel, Meinungen, Expertisen. Darauf bauen wir immer weiter auf. Wir nehmen uns der unterschiedlichsten Aufgabenstellungen an.

Wird die grossen Probleme der Welt nicht die KI lösen?

KI bringt die wahre Zeitenwende. Dennoch: Sie rechnet, wir denken. Intelligenz kommt aus dem Lateinischen und bedeutet ursprünglich «zwischen den Zeilen wählen». Das dünkt mich etwas Urmenschliches. Dort, wo eigentlich nichts ist, sind die Geistesblitze versteckt, die Innovationen, demnach Neues hervorbringen oder einfach geniale Werbeideen. Wer auf die setzt, muss auf Menschen setzen. KI dient als Assistentin, die den Guten dabei hilft, besser zu werden, und den Schlechten leider dabei, schlechter zu werden. KI kann Reklame, aber keine «award winning» Werbung.

Sie sind seit 30 Jahren dabei, welches ADC Buch hat einen Ehrenplatz bei Ihnen? 

Das von 1994. Damals wurden die ADC Bücher noch jedes Jahr von einer anderen Agentur oder Person mit sehr viel Aufwand individuell gestaltet, sodass sie an sich schon ein Meisterwerk darstellten. Das rote Samt-Cover von 1994, von Irene Hiltpold gestaltet, ist mein Liebling. Ausserdem war es mein allererstes Jahrbuch, nachdem ich kurz davor als Juniortexter angefangen hatte und mich bereits über ein paar Auszeichnungen freuen durfte. Ich kann das Gefühl noch immer nachvollziehen, seine Arbeit und seinen Namen verewigt zu sehen. Deswegen möchte ich unbedingt betonen, wie wichtig diese Jahrbücher bleiben. 

Sie sehen aber schlichter aus als früher.

Vor einiger Zeit mussten wir mit der aufwändigen Gestaltung aufhören, weil sie nicht mehr finanzierbar war. Dank der Initiative von Matthias Ackeret vom «persönlich» haben wir es gemeinsam geschafft, Kunden wie Roman Reichelt von der Migros zu überzeugen, ein Jahrbuch in etwas erschlankter Form zu unterstützen. Diese Tradition führte Raphael Werner mit Lidl und aktuell mit Denner fort. Ganz herzlichen Dank an alle, die das möglich machen. 

Ganz persönlich: Haben Sie zum Abschluss noch einen anderen Buchtipp für Kreative?

Ich glaube nicht an Sachbücher, die einem erklären wollen, wie man ein besserer Werber wird. Was für mich wirklich inspirierend wirkt, sind Interviews. In nahezu jedem findet sich eine Aussage, die sich irgendwann einmal verwerten lässt. Helmut Schmidt hat einst in einem Interview den BND als Dilettantenverein geschmäht. «Da lese ich lieber gleich die NZZ, als mich von Pullach informieren zu lassen», sagte er. Darin steckt eine ziemlich gute Werbeidee, die ich leider bis heute noch nicht umgesetzt habe und auf die eine KI übrigens in 100 Jahren nicht kommen würde. Ich verschlinge sicher ein oder zwei Interviews pro Tag. Und ich kann nur jedem empfehlen, dieses hier ganz genau zu lesen. 


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