25.05.2021

Zivilprozessordnung

Medienallianz sieht Journalismus in Gefahr

In der Sommersession könnte die Hürde gesenkt werden, damit Richter Medienberichte vorsorglich stoppen können. Eine historisch breite Allianz aus verschiedensten Medienakteuren will das verhindern und appelliert an den Ständerat.
Zivilprozessordnung: Medienallianz sieht Journalismus in Gefahr
Wird die Medienfreiheit eingeschränkt? Darüber entscheidet der Ständerat in der Sommersession. (Bild: Keystone/Peter Klaunzer)

Im Hinblick auf die Debatte zur Änderung der Zivilprozessordnung in der Sommersession hat sich eine breite Allianz von Medienverbänden, Medienunternehmen, Verbänden und Gewerkschaften von Medienschaffenden sowie weiteren Akteuren zusammengetan, um auf eine drohende Gefährdung der Medienfreiheit hinzuweisen.

Die Kommission für Rechtsfragen des Ständerates (RK-S) hat an ihrer Sitzung vom April «einen für den unabhängigen, kritischen Qualitätsjournalismus in der Schweiz folgenschweren Antrag» beschlossen, heisst es in einer gemeinsamen Mitteilung. Sie schlägt im Geschäft 20.026 bei Art. 266 («Massnahmen gegen Medien») vor, die Hürde für vorsorgliche Massnahmen gegenüber von Medienberichten massiv zu senken. Die RK-S beantragt dem Ständerat, dass eine Rechtverletzung durch redaktionelle Berichterstattung nicht mehr «einen besonders schweren Nachteil», sondern nur noch «einen schweren Nachteil» verursachen müsste, um richterliche Massnahmen gegen eine Veröffentlichung zu ermöglichen.

Das Streichen des Wortes «besonders» hätte laut Mitteilung «einen enormen Einfluss auf die Gerichtspraxis und damit schwerwiegende negative Konsequenzen für die verfassungsmässig gewährleistete Medienfreiheit in der Schweiz». Die Allianz fordert daher den Ständerat in einem Brief auf, bei Art. 266, lit. a. der Minderheit und damit dem Bundesrat zu folgen.

Einschränkung trotz bewährtem Status quo

Heute kann jede Person vor Gericht eine Nicht-Veröffentlichung von redaktionellen Beiträgen verlangen, wenn sie davon direkt betroffen ist. Dazu bedarf es eines qualifizierten Nachteils, damit die Gerichte eine superprovisorische Massnahme aussprechen. Der bestehende Wortlaut ist in der aktuellen, funktionierenden Gesetzgebung bewusst gewählt, um die journalistische Berichterstattung vor übermässigen und unverhältnismässigen Eingriffen zu schützen.

Neu wären solche Massnahmen durch die Gerichte einfach zu erwirken. Die Änderung würde demnach «Tür und Tor öffnen für das vorschnelle Stoppen missliebiger, kritischer Recherchen», heisst es in der Mitteilung weiter. Das würde alle Medienschaffenden in der Schweiz betreffen. Diese Gefährdung der Medienfreiheit sei «hoch problematisch und hat auch Folgen für die freie Meinungsbildung und Meinungsäusserung» – auch anerkannt von der Europäischen Menschenrechtskonvention in Artikel 10 – als Grundpfeiler der Schweizer Demokratie.

Der Änderungsvorschlag der Kommission bricht laut Mitteilung ein Gleichgewicht, das seinerzeit von zwei aufeinanderfolgenden Expertengruppen sehr sorgfältig ausgearbeitet wurde – «und sie tut dies ohne jegliche Prüfung durch die Verwaltung oder durch Expertinnen und Experten». Dabei gebe es mit Blick auf die herrschende Berichterstattung in der Schweiz keinen Grund, eine solche Einschränkung der Medienfreiheit zu fordern: «Medienberichten sind durch die bestehenden gesetzlichen Grundlagen bereits heute klare Grenzen gesetzt, Betroffene werden geschützt und können sich wehren.» Die Medienbranche kennt zudem funktionierende Selbstregulierungsmechanismen – etwa den Schweizer Presserat oder die «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» – und Journalistinnen und Journalisten wägen die beteiligten Interessen (Recht der Öffentlichkeit auf Information, Schutz der Privatsphäre) in ihrer täglichen Arbeit sorgfältig ab.

Aufwendige Gerichtsverfahren drohen

Die von der RK-S vorgeschlagene Änderung des Wortlautes hat gemäss juristischen Einschätzungen «einen enormen Einfluss auf die gängige Gerichtspraxis und würde zu Massen an Verfahren führen, die gerade für kleine oder lokale Medientitel nicht zu bewältigen wären». Gerichtsverfahren sind oft kostspielig und ressourcenintensiv, heisst es weiter. Das könne schnell zu einem Ungleichgewicht zwischen Kläger und Beklagtem führen.

Gerade für kleine Titel würden solche Verfahren oft einen zu grossen Aufwand bedeuten. «Selbst wenn Journalistinnen und Journalisten vor Gericht Recht bekommen, wirken die Verfahren ermüdend und abschreckend. Zudem ist ein redaktioneller Beitrag, der für Monate oder gar Jahre gesperrt wird, bei Wiederveröffentlichung oft kaum mehr aktuell oder relevant.»

Version des Bundesrates unterstützen

«Investigativer und freier Journalismus ist mit seiner Wächterfunktion unabdingbar in einer Demokratie, erst recht in einer direkten wie der unseren. Die Allianz bittet den Ständerat sehr, den Medienschaffenden in der Schweiz nicht unnötige Hürden in ihrer für die Demokratie zentralen Arbeit aufzustellen», heisst es im Communiqué.

Mit einer weiteren Änderung sei die Allianz demgegenüber einverstanden: Im Unterschied zum bestehenden Recht will der Bundesrat Artikel 266 insofern ändern, als nicht nur wie bis anhin eine drohende, sondern neu auch eine bestehende Rechtsverletzung dem Gesuchsteller oder der Gesuchstellerin einen besonders schweren Nachteil verursachen kann. Damit werde eine seit Jahren bestehende Gerichtspraxis ins Gesetz geschrieben.

Unterzeichnet ist das Schreiben vom Verlegerverband Schweizer Medien, der SRG, Ringier, Impressum, Syndicom, Verband Medien mit Zukunft, Telesuisse, Media Forti, Öffentlichkeitsgesetz.ch, Medien für alle, Reporter ohne Grenzen Schweiz, Investigativ.ch, Junge Journalistinnen & Journalisten Schweiz, Radio Régionales Romandes, MAZ, Lobbywatch.ch, Gotham City, SSM, Schweizer Presserat und Verband Schweizer Online-Medien. (pd/cbe)



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Kommentare

  • René Lüchinger, 21.05.2021 16:01 Uhr
    Wenn Juristen im Journalismus das Zepter übernehmen stirbt die Demokratie und die Zeitungen und Zeitschriften werden kotzlangweilig. Wer, zum Teufel, kann dies im nüchternen Zustand wirklich wollen?
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