12.04.2007

"Meine Motivation war die Hoffnung der Eltern"

Im Revisionsprozess gegen den Kindermörder Werner Ferrari ist der Angeklagte in einem Fall vom Vorwurf des Mordes freigesprochen worden. Zur Wiederaufnahme des Verfahrens trugen die Recherchen von Peter Holenstein für sein Buch über den Kindermörder massgeblich bei. Der Journalist stellt im Gespräch mit "persoenlich.com" aber klar: "Ich habe mich nie in der Rolle des 'Verteidigers' von Werner Ferrari gesehen." Das Interview.
"Meine Motivation war die Hoffnung der Eltern"

Herr Holenstein, Werner Ferrari ist gestern vom Vorwurf freigesprochen worden, 1980 ein 12-jähriges Mädchen in Würenlos getötet zu haben. Dass der Fall noch einmal aufgerollt wurde, basiert auf ihren Recherchen. Wie gross ist Ihre Genugtuung?

Der Freispruch ist weniger eine persönlich Genugtuung als vielmehr ein Beleg dafür, was mit den Mitteln des Recherchier-Journalismus möglich ist. Der Revisionsprozess wurde zwar von meinem Buch über den Kindermörder Werner Ferrari ausgelöst, aber ohne die Unterstützung von Berufskollegen wären die anschliessenden Recherchen nicht möglich gewesen. Urs von Tobel vom Beobachter und Markus Somm von der Weltwoche gehören ebenso dazu wie Viktor Dammann vom Blick, der sich enorm engagiert hat.

Wie kamen Sie darauf, sich für einen der bekanntesten Kindermörder des Landes einzusetzen?

Als ich vor zwölf Jahren über den damaligen Prozess las, fragte ich mich, wie es möglich war, dass ein fünffacher Kindermörder in nur zwei Tagen abgeurteilt werden konnte und weshalb man ihm als Pflichtverteidiger einen strafprozessunerfahrenen Scheidungsanwalt zur Seite stellte. Ich konnte mir auch nicht erklären, weshalb Ferrari vier Morde eingestanden hatte, aber einen fünften vehement bestritt. Hinzu kam, dass Ferrari aus Polizeikreisen alle zehn Kindermorde zugeschrieben wurden, die sich in den 80-er Jahren ereignet hatten. Doch weshalb kamen nur fünf zur Anklage? Um Antworten auf diese Fragen zu finden, ersuchte ich Ferrari um integrale Akteneinsicht, und als ich diese erhielt, liess mich die Sache nicht mehr los.

Fürchten Sie nicht, dass Ihnen nun das Image eines Verteidigers eines Kindermörders anhaften wird?

Ich habe mich nie in der Rolle des "Verteidigers" von Werner Ferrari gesehen; mein Engagement galt vielmehr der Opferseite, nämlich den Eltern von Ruth Steinmann. Diese hatten immer daran gezweifelt, dass sich der Mord an ihrer Tochter so zutrug, wie das 1995 vom Bezirksgericht Baden angenommen worden war. Ohne das Einverständnis der Familie Steinmann hätte ich den Fall nicht mehr weiter verfolgt. Meine Motivation war die Hoffnung der Eltern, vielleicht doch noch zu erfahren, wer ihre Tochter getötet hat.

Gab es negative Reaktionen?

Nur dahingehend, dass es Leute gab, die meinten, es sei doch egal, ob Ferrari vier, fünf oder zehn Kinder umgebracht habe; Hauptsache sei, dass er nie mehr freikomme. Ich sehe das differenzierter: Für alle betroffenen Eltern ist die Ermordung ihres Kindes immer ein Einzelfall, und es gehört zu ihrem Recht, zu erfahren, wer der Täter war. Dieses Wissen ist auch von entscheidender Bedeutung für die persönliche Verarbeitung des schrecklichen Geschehens.

Wie begegnete Ihnen Werner Ferrari? Hat er sich für Ihre Recherchearbeit bedankt, oder ist ihm ihr Einsatz gleichgültig?

Solche Reaktionen kann und darf man nicht von ihm erwarten. Seine schizoide Persönlichkeitsstörung verhindert es, dass man sich mit ihm wie mit einem normal denkenden und handelnden Menschen unterhalten kann. Der Zugang zu seiner Innenwelt bleibt weitgehend verschlossen.

Ist für Sie der Fall nun abgeschlossen?

Ja, und dasselbe gilt auch für die Eltern Steinmann.

Sie befassen sich immer wieder mit den dunklen Seiten des Menschen. Was eigentlich reizt Sie an diesen Abgründen?

Gegenfrage: Weshalb schauen sich Millionen Menschen TV-Krimis an, oder weshalb finden sie Horror- und Gangsterfilme in den Kinos faszinierend? Ich finde die Realität spannender; sie übertrifft die Fiktion oft bei weitem. Über diese Realität zu schreiben, gehört zu meinem Beruf, ist aber sicher nicht meine Berufung. Ich würde mich lieber den ganzen Tag mit klassischer Musik beschäftigen, Querflöte spielen und mich noch mehr für das Katzenheim engagieren, das meine Frau betreut.

Stimmt es, dass Sie nicht mehr bei der Weltwoche angestellt sind? Und wenn ja, weshalb?

Ich war nie bei der Weltwoche angestellt, doch ich hatte einen fixumbasierten Vertrag als regelmässiger Mitarbeiter. Dieser Vertrag wurde von Roger Köppel auf Ende Januar dieses Jahres gekündigt. Seine Begründung, er müsste sparen, weiss ich zu respektieren, aber ich bedaure natürlich, dass ein Magazin, das sich als Autorenzeitung versteht, ausgerechnet bei den Autoren spart.

Für welche Titel werden Sie künftig schreiben?

Roger Köppel hat mir angeboten, auch weiterhin für die Weltwoche schreiben zu können, was ich sicher auch tun werde. Für alles andere bin ich offen. Erste Priorität hat jetzt allerdings mein neues Buch, an dem ich arbeite: Die Geschichte der Guillotine in der Schweiz, inklusive der dokumentarischen Beschreibung aller 16 Kriminalfälle, deren Täter zwischen 1845 bis 1940 hingerichtet worden sind. Zu diesem Zweck erhielt ich von den sieben Kantonen, in denen die Exekutionen stattfanden, integrale Einsicht in die damaligen Polizei- und Gerichtsakten.



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