«Textroboter begehen einen Fehler nie zweimal»

CH Media - Auf den Plattformen von CH Media wird neu lückenlos über regionale Fussballspiele berichtet. Diese Arbeit übernimmt ein Textroboter. Entwickelt wurde das Projekt «Footomat» von Stefan Trachsel, der schon mit Textroboterin Lena bei Keystone-SDA für Aufsehen sorgte.

von Christian Beck

Herr Trachsel*, nach der Textroboterin Lena sind Sie zum zweiten Mal «Vater» geworden. Wie heisst der jüngste Spross?
Der Roboter ist namenlos. Vielleicht ändert sich das noch, denn es kursieren ein paar Vorschläge. Bei mir heisst das Projekt bislang «Footomat».

Wie stolz sind Sie?
Es ist immer eine riesige Freude, wenn ein Projekt live geht, die ersten Resultate sichtbar werden und sich als gelungen erweisen. Die Vorbereitungsphase hat bei unserem Fussballroboter wegen der Corona-Pandemie besonders lange gedauert. Erste Versuche wären schon im März geplant gewesen, fielen aber wie die Saison im Amateurfussball ins Wasser. Nach der aufreibenden Entwicklungszeit geniesse ich es jetzt sehr, den Roboter endlich in Aktion zu sehen.

Sie haben ja mit Ihrem Team bei Keystone-SDA Lena programmiert, bevor Sie zu CH Media wechselten (persoenlich.com berichtete). Wie unterscheidet sich der CH-Media-Textroboter von Lena?
Lena kam testweise und punktuell für Abstimmungen und Wahlen zum Einsatz. Der CH-Media-Fussballroboter schreibt hingegen während der Saison fast täglich. Er hat deshalb eine ganz andere, viel professionellere Grundlage. Beispielsweise nutzen wir zur Generierung der Texte die Textengine «Arria NLG», die uns einen vollautomatischen Ablauf erlaubt.

«Es gab auch ein paar unvorhergesehene Situationen»

Die Feuertaufe hat der Roboter ja bereits bestanden. Was wurde bisher automatisch ausgespielt?
Unser Fussballroboter schreibt und publiziert seit Beginn der Amateur-Fussballsaison Mitte August Artikel zu den Fussballspielen der regionalen 2. und 3. Liga in unserem Einzugsgebiet. Also im Aargau, in den beiden Basel, in Solothurn, in der Ost- sowie der Zentralschweiz. Seither hat er über 300 Spielberichte und Rundenzusammenfassungen verfasst.

Und wie stark haben Sie die ersten publizierten Texte noch manuell überprüft?
Ich hielt in den ersten Wochen ein wachsames Auge auf die Texte, zumal der Roboter noch nie Live-Daten in dieser Masse verarbeitet hat. Es war auch der eine oder andere Eingriff nötig. Und es gab auch ein paar unvorhergesehene Situationen. Toll an Textrobotern ist aber, dass sie einen Fehler, den man bemerkt und korrigiert, nie zweimal begehen.

Wo liegen die Schwierigkeiten?
Als in der Ostschweiz ein gutes Dutzend Spiele wegen des Wetters abgesagt wurden, kam der Roboter kurz ins Schwitzen bei der Datenverarbeitung. Auch die Vorlagen für die Texte sind nie restlos fertiggestellt. Man findet immer wieder Situationen, die man ein bisschen besser hätte beschreiben können.

Und wie reagieren die fussballinteressierten Leserinnen und Leser auf die automatisierten Texte?
Die Leserzahlen zeigen uns, dass ein Interesse an solchen Texten besteht. Die Texte werden nie virale Hits werden, aber wir gehen davon aus, dass wir mit jedem Text ein kleines, aber ganz spezifisch interessiertes Publikum ansprechen. Und die Menge macht es aus. Wir gehen von 100 bis 120 Berichten pro Woche aus. Es ist jetzt unsere Aufgabe, das neue Angebot bei den Leserinnen und Lesern bekannt zu machen – und ihr Feedback aufzunehmen.

Wissen die Leserinnen und Leser, dass der Text nicht von einem Mensch stammt?
Ja. Wir kommunizieren unseren Leserinnen und Lesern mit einem Hinweis am Textende jeweils transparent, dass der Text mit Hilfe eines Algorithmus erstellt wurde.

«Hyperlokale News konnten wir bislang nur vereinzelt anbieten»

Was ist der Mehrwert? Warum übernimmt diese Arbeit überhaupt eine Maschine?
Die Maschine leistet mit der Analyse der Spieldaten und der Ligasituation eine Aufgabe, die sie effizienter erledigen kann als ein Journalist oder eine Journalistin. Hyperlokale News wie Berichte zu Fussballspielen der Regionalligen konnten wir auf unseren Plattformen zudem bislang nur vereinzelt und nicht lückenlos anbieten, da unsere Journalistinnen und Journalisten nicht überall gleichzeitig sein können. Hier erweitern die automatisch generierten Texte unser bestehendes Angebot und sind somit ein klarer Mehrwert für unsere Leserinnen und Leser.

Den Anfang machten regionale Fussballspiele. Was ist der nächste Schritt?
Eine Ausweitung der automatisierten Berichterstattung im Bereich Sport ist angedacht – beispielsweise auf weitere Ligen und den Frauenfussball, eventuell auch auf weitere Sportarten. Zuerst wollen wir jetzt aber Erfahrungen sammeln über die Qualität der Texte und den Anklang bei unseren Leserinnen und Lesern. Ob und wie wir den automatisierten Journalismus längerfristig einsetzen werden, entscheiden wir zu gegebener Zeit aufgrund dieser Erkenntnisse.

Momentan ist der Roboter quasi ein zusätzliches Redaktionsmitglied. Wann wird er Journalistinnen und Journalisten ersetzen?
Die automatisch generierten Texte ersetzen nicht die Arbeit unserer Journalistinnen und Journalisten, sondern erweitern unser Angebot. Wir wollen insbesondere auf lokaler Ebene Informationen veröffentlichen, die wir bislang aus Zeitgründen nicht abdecken konnten. Der automatisierte Journalismus soll unsere Journalistinnen und Journalisten zudem von Routinearbeiten entlasten.

«Ein Journalist kann die Emotionen des Spiels einfangen»

Wo liegen die Grenzen eines Textroboters?
Ein automatisch erstellter Bericht basiert auf Daten zur Torfolge, den Torschützen, den Verwarnungen und roten Karten, zur Tabellensituation und zur Saisonstatistik. Ein Algorithmus beschreibt aufgrund dieser Daten den Spielverlauf und weist auf Auffälligkeiten hin, beispielsweise, dass ein Team zum vierten Mal in Folge gewonnen hat oder dass der Tabellenletzte gerade den Tabellenersten besiegt hat. Das ergänzt das Matchtelegramm mit zusätzlichen Informationen in Textform, was für viele Leserinnen und Leser angenehmer zu lesen ist. Im Gegensatz dazu kann ein Journalist die Emotionen des Spiels einfangen, Stimmen von Trainern und Spielern einholen und über Ereignisse wie verpasste Chancen, taktische Finessen oder umstrittene Szenen schreiben. Das kann der automatisierte Text nicht. Deshalb werden unsere Journalistinnen und Journalisten auch weiterhin Fussballspiele der unteren Ligen besuchen und darüber sowie über das Geschehen abseits der Fussballplätze berichten.

Wenn dieser Roboter quasi aus dem Kleinkind-Alter entwachsen ist, wie auch Lena: Ziehen Sie dann wieder weiter zum nächsten Medienhaus?
Ich bin sehr glücklich bei CH Media und arbeite gerne mit meinen Kolleginnen und Kollegen zusammen. Das Unternehmen eignet sich mit seinen regionalen Newsportalen ausgezeichnet für automatisierte hyperlokale Berichterstattung. Deshalb bin ich überzeugt, dass auf den Fussballroboter noch viele weitere Projekte bei CH Media folgen werden.



* Stefan Trachsel arbeitete über zwölf Jahre lang bei Keystone-SDA, ab 2018 war er Head of Content Development. In dieser Funktion leitete er das Team, das den Textroboter Lena programmiert hat. 2019 wurde er von der Europäischen Allianz der Nachrichtenagenturen (EANA) für das Automatisierungsprojekt ausgezeichnet. Im Dezember 2019 wechselte Trachsel als Data & Automation Specialist zu CH Media.