Um die Medienkompetenz der Menschen in der Schweiz steht es schlecht. Zu diesem Schluss kommt eine repräsentative Umfrage im Auftrag vom Bundesamt für Kommunikation (Bakom), die im Herbst 2022 veröffentlicht wurde. Und auch diesen Herbst wurden im Jahrbuch für Qualität der Medien vom Forschungszentrum Öffentlichkeit und Gesellschaft (Fög) der Universität Zürich interessante Zahlen dazu publiziert: 57 Prozent der 16- bis 29-Jährigen in der Schweiz informieren sich kaum noch. Sie lesen, hören oder schauen keine News. Ein möglicher Weg, dieser Entwicklung entgegenzutreten, sind für Mitautor und Medienforscher Mark Eisenegger «langfristig gedachte Initiativen zur Förderung von Medienkompetenz, gerade bei jungen Leuten», wie er im Interview mit persoenlich.com sagte.
Nur wenige Tage später fand mit Blick auf die Medienkompetenz von Jugendlichen in Winterthur die erste nationale Konferenz «Nachrichtenkompetenz auf Sekundarstufe II» statt. Für den Anlass haben die SRG, das Medieninstitut vom Verlegerverband Schweizer Medien (VSM) sowie das Institut für Angewandte Medienwissenschaften (IAM) der ZHAW zusammengespannt. Das Ziel der Tagung war es laut den Verantwortlichen, den Austausch zwischen Bildungsverantwortlichen und Medienschaffenden zu ermöglichen. Vor Ort waren nebst Journalistinnen und Journalisten rund 70 Lehrpersonen von Berufsfachschulen, Gymnasien und der Fachmittelschule (FMS).
Nach einer kurzen Einführung durch Guido Keel (IAM), Henriette Engbersen (SRG Public Value) und Marianne Läderach (Medieninstitut VSM) kamen zum Auftakt vier Jugendliche zu Wort. Von den vier Teilnehmerinnen und Teilnehmern war Jan Werder, der die vierte Klasse der Kantonsschule Baden besucht, der Einzige, der täglich «Zeitung liest», wie er sagte. Nebst der abonnierten Tageszeitung seiner Eltern informiert er sich auch online bei verschiedenen Medientiteln. Während Werder Social Media «nur sehr beiläufig verfolgt», spielt dieser Kanal bei den anderen drei Jugendlichen die Hauptrolle im Informationsverhalten.
Die Stimmen der Jugendlichen auf dem Podium zeigten einerseits, wie wichtig die Rolle der Eltern beim Thema Medienkompetenz sei, sagte Larissa Bieler, Mitglied der SRG-Geschäftsleitung und nationale Delegierte «Public Value». Andererseits seien sie eine Bestätigung dafür, dass die Top-Prioritäten der Medienhäuser zurzeit am richtigen Ort liegen würden – bei der digitalen Nutzung. Mit Blick auf die Plattformen Instagram oder TikTok sagte sie: «Wir müssen als Medien dort sein, wo die Jungen sich befinden. Und wir müssen die Kompetenzen haben, diese Kanäle richtig zu bedienen.» Es gelte, dort Anknüpfungspunkte zu schaffen, indem man auf die Lebensrealität der Jugendlichen eingehe und ihre Identifikationsfiguren einsetze. Andrea Masüger, Präsident Verlegerverband VSM, fügte hinzu: «Wir müssen die Schülerinnen und Schüler befähigen, mit Medien umzugehen». Sie müssten gerade im Umgang mit Social Media lernen, was eine vertrauenswürdige Quelle ist und was nicht.
Welche Rolle spielt hier das Schulsystem? Im Lehrplan 21 stellen «Medien» einen eigenen Kompetenzbereich. Der Lehrplan 21 legt Bildungsziele und Initiativen für Primar- und Sekundarstufe fest. Auf Stufe Sek II sind entsprechende Konzepte und Vorgaben weniger greifbar. Hier wollen die SRG, der VSM sowie das IAM mit der Tagung Abhilfe schaffen und vermitteln.
In mehreren sogenannten Breakout-Sessions wurde «Best Practice» ausgetauscht. Ein neues Mittel, um Medienwissen an Berufsschulen oder Gymnasien weiterzugeben, ist der kürzlich lancierte Newstest (persoenlich.com berichtete). Dieser dient der spielerischen Überprüfung und Förderung der Medienkompetenz von Jugendlichen und Erwachsenen. Er beinhaltet aus fünf Bereichen Fragen im Umgang mit Nachrichten im Internet. In Winterthur präsentierte der Journalist Marius Born sowie Nadja Burri-Büchner, Deutschlehrerin an der Gibb BMS, den digitalen Selbsttest den anwesenden Lehrpersonen. In anderen Veranstaltungen wurde über das Online-Lehrmittel «Was lese ich?», die Materialien von Inform oder die gemeinnützige Plattform Checknews gesprochen.
«Kurz und oberflächliche Informationshäppchen»
Avani Flück ist Lehrerin an der Kantonsschule Zug und unterrichtet dort seit mehreren Jahren Schülerinnen und Schüler im Fach «Medien». Das Modul umfasst zwei Lektionen während sechs Monaten. Zeitungsleserinnen oder Zeitungsleser, wie der oben erwähnte Jan Werder, trifft sie «nur sehr vereinzelt» in ihren Klassen an. Sie sagt gegenüber persoenlich.com: «Die Jugendlichen bewegen sich hinsichtlich Algorithmen und Influencer unreflektiert in den sozialen Medien.» Die meisten würden ihre Medien- und Nachrichtenkompetenz als ausreichend bezeichnen. Sie selbst merke aber immer wieder, dass die Schülerinnen und Schüler «kurze und oberflächliche Informationshäppchen perfekt finden». Flück bezeichnet ihre «Einordnungsleistung» als nahezu bei null. Die längere Auseinandersetzung mit einem Nachrichtenthema, Vertiefung und Auseinandersetzung mit Komplexität falle ihnen zunehmend schwer.
Von Medienkompetenz und Medienperformanz
Als Herausforderung im Vermitteln von Medienwissen bezeichnet es die Lehrerin, erst einmal zu verstehen, in welchen Kanälen sich die Jugendlichen gerade bewegen und wie sie ihren Medienkonsum gestalten. Sie sagt: «Wir müssen uns ihrer Medienwelt annähern, sie zum Beispiel bitten: ‹Erklärt mir TikTok!›». Sie habe das einmal gemacht und dabei die spannendste Lektion seit langem erlebt, ein Augenöffner. Wichtig scheint Flück: «Wir dürfen nicht mit erhobenem Zeigefinger herkommen und sagen: ‹Schaut, ihr konsumiert nur oberflächlichen und gefährlichen Blödsinn – wir zeigen euch jetzt, wie ihr es richtig macht und bringen euch die schöne Welt der Qualitätsmedien bei.›»
In der Arbeit mit den Jugendlichen spürt Flück klar: «Medienkompetenz und Medienperformanz sind zwei ganz unterschiedliche Paar Schuhe.» Sie könnten im Medienunterricht zwar das Repertoire der Jugendlichen erweitern, doch ob diese ihr Verhalten durch die gewonnenen Kenntnisse wirklich veränderten, sei fraglich.
Flück ist eine von 70 Lehrpersonen, die an der ersten Nachrichtenkompetenz-Tagung von SRG, VSM und IAM teilgenommen hat. «Bis vor wenigen Jahren waren Unterrichtsmaterialien nur sehr dürftig vorhanden. Das hat sich geändert», sagt sie. Flück ist «begeistert» von Checknews und will das Material sofort in den Unterricht integrieren.
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06.11.2023 08:36 Uhr