Jan Knüsel, bereits im Dezember waren Sie in Japan für Ihren Dokumentarfilm, blieben aber beim Newsnet. Weshalb jetzt die Kündigung?
Der Dokumentarfilm hat ursprünglich als Hobby-Projekt neben meiner Arbeit bei Newsnet begonnen. Inzwischen hat sich die Sache so positiv entwickelt, dass ich beschlossen habe, meine gesamte Energie für die Produktion des Films aufzuwenden.
Fällt Ihnen der Abschied vom Newsnet schwer?
Ja, die Arbeit hat mir viel Spass gemacht. Die Redaktionskollegen werden mir auf jeden Fall fehlen. Gerade im Ressort News haben wir ein fantastisches Team. Auch meinen Chefredaktoren Peter Wälty und Michael Marti sowie meinen direkten Vorgesetzten Marc Brupbacher und Samuel Reber möchte ich für die stete Unterstützung und das Vertrauen danken.
Worin unterscheidet sich die Arbeit an dem Film von derjenigen beim Newsnet?
Die Arbeit ist grundverschieden. Bei Online-Nachrichten muss man schnell reagieren, die Lage innert kürzester Zeit richtig einschätzen können. Man wird zum Schnelldenker. Im Dokumentarfilm fokussiere ich mich auf eine Thematik. Es geht darum, einen längeren Zeitrahmen wiederzugeben. Filmen ist in technischer Hinsicht mit mehr Aufwand als Schreiben verbunden. Aber am Ende geht es wie bei den Nachrichten um den Inhalt, um die Geschichte. Da kommt alles wieder zusammen.
Wie kamen Sie auf die Idee, diesen Film zu drehen?
Als Journalist und Japanologe habe ich mich im letzten Jahr ausführlich mit den Folgen der Dreifachkatastrophe in Japan beschäftigt. Ich führe dazu in meiner Freizeit den Newsblog Asienspiegel.ch. Thomas Köhler rief mich ein paar Wochen nach dem Tsunami an und erzählte mir von seinem Projekt. Ich war sofort begeistert. Als seine Reise in den japanischen Medien und in der Bevölkerung einschlug, dachte ich mir: Jetzt muss ich einen Dokumentarfilm darüber machen. So etwas wird es kein zweites Mal geben.
Thomas Köhler in Yufuin auf der Insel Kyushu.
Was fasziniert Sie an Japan?
Japan unterscheidet sich kulturell, sprachlich und gesellschaftlich grundsätzlich vom Westen. Das Land hat wunderschöne und gleichzeitig verrückte Seiten. Mit Japan habe ich einen neuen Blickwinkel auf verschiedene Dinge des Lebens erhalten. Im Westen könnte man viel vom modernen Japan lernen. Doch leider überwiegen hier die Klischees. Ich hoffe, dass wir mit dem Dokumentarfilm auch eine andere, realitätsnahe Seite des Landes zeigen können, frei von Dolmetschern und Missverständnissen.
Der Film handelt von Thomas Köhler. Was wird sonst noch thematisiert?
Es geht primär um Thomas Köhlers 2900 Kilometer lange Reise zu Fuss durch Japan. Wir wollten mehr über den Schweizer Reisefachmann erfahren, der nach dem Tsunami seinen Job verlor und sich daraufhin entschloss dem Land, das ihm so viel gegeben hatte, etwas zurückzugeben. Über Thomas Köhler wurde in den japanischen Medien ausführlich berichtet. Die japanische Regierung hat ihn für seine Verdienste nach dem Tsunami ausgezeichnet. Es ist zur Abwechslung eine ermutigende Geschichte aus Japan. Natürlich geht es in unserem Film auch über das Japan nach Fukushima, über die Ängste, Probleme und die Hoffnungen der Menschen. Dafür sind wir auch bis nach Fukushima gereist.
Was zeigt Ihr Film von Fukushima, was man in den Medien noch nicht gesehen hat?
Der Film handelt primär von Thomas Köhlers inspirierender Reise und dem Wiederaufbau. In diesem Zusammenhang sind wir auch in die Präfektur Fukushima gereist, um Eindrücke aus der gleichnamigen Hauptstadt zu sammeln und den Tourismuschef der Präfektur, Herrn Kaoru Okawara, zu interviewen. Seine Ansichten zu Thomas Köhlers Leistung, zur Katastrophe und zur Zukunft von Fukushima hatten uns interessiert. Immerhin ist es seine Aufgabe, die Region zu vermarkten. Wir führten ein sehr offenes Gespräch.
Thomas Köhler in Beppu auf der Insel Kyushu.
Welche Eindrücke haben Sie von Fukushima mitgenommen?
Wir waren in Fukushima-Stadt und Umgebung. Hier geht das Leben für die Bewohner weiter. Man darf nicht vergessen, dass Fukushima flächenmässig die drittgrösste Präfektur des Landes ist. Fukushima ist mehr als nur die 20-Kilometer-Sperrzone. Dennoch ist es so, dass auch in einigen Gebieten ausserhalb dieser Evakuierungszone die Radioaktivität erhöht ist. Viele Familien mit Kindern sind aus der Region ausgezogen. Doch nicht alle wollen das. Bekannte von mir, die auch ein Kind haben, sind in der Präfektur Fukushima geblieben. Die Heimat verlässt man nicht so schnell.
Die Katastrophe jährt sich am Sonntag. Was hat sich in dieser Zeit verändert?
Die Menschen in Japan sind bewusster im Umgang mit Energie. Das gab es zuvor nicht. Stromsparen ist zu einem Schlagwort geworden. Die Atomenergie scheint sich zudem aus der Hintertür zu verabschieden. Inzwischen sind nur noch 2 von 54 Atomreaktoren aktiv. Im April könnte es kein einziger mehr sein. Die Lokalbehörden weigern sich die alle 13 Monate gesetzlich für Unterhaltsarbeiten abgeschalteten Reaktoren wieder hochzufahren. Auch wenn in Zukunft einige AKW wieder angeschaltet würden: Die Atomgläubigkeit der Japaner ist endgültig passé.
Woher nehmen die Japaner denn nun ihren Strom?
Viele konventionelle Reaktoren wurden wieder in Betrieb genommen. Das bedeutet, dass auch der Bedarf nach Öl und vor allem Gas in die Höhe geschnellt ist. Dies ist mit ein Grund weshalb die Handelsbilanz erstmals seit Jahrzehnten ins Minus gekippt ist.
Wie beurteilen Sie die zurückhaltende Informationspolitik von Japan zu der Katastrophe?
Vieles ist politisch schief gelaufen. Mir scheint es so, dass die Regierung erst dann reagiert, wenn der Skandal die Medien erreicht hat. So wird sie ab April den Grenzwert für Cäsium in Lebensmitteln massiv reduzieren. Dafür waren zuvor verschiedene Skandale um verseuchte Lebensmittel notwendig. Politik und Wirtschaft sind hier noch sehr eng verbandelt. Andererseits muss man sagen, dass wohl keine Regierung der Welt mit einer Dreifachkatastrophe in diesem Ausmass wirklich umgehen kann. Es gibt aber auch durchaus Bemühungen um Transparenz. Die radioaktiven Werte in den einzelnen Regionen können täglich in den Zeitungen, aber auch im Internet nachgeschlagen werden.
Die Brüder Jan (r.) und Stephan Knüsel in Tokyo.
Den Film drehen Sie gemeinsam mit Ihrem Bruder. Wie funktioniert Ihre Zusammenarbeit?
Mein Bruder Stephan Knüsel lebt seit 13 Jahren als Filmemacher in New York. Mit ihm kann ich auf eine geballte Ladung an Erfahrung zählen. Wir führen gemeinsam Regie. Für Kamera und Schnitt ist mein Bruder verantwortlich. Ich habe die Storyline entwickelt. Da ich Japanisch spreche und das Land sehr gut kenne, habe ich die Recherchen und die Interviews durchgeführt. Die Idee zum Dokumentarfilm über Thomas Köhler hatte ich meinem Bruder im November vorgelegt. Er war sofort begeistert. Im Dezember sassen wir bereits im Flieger nach Japan. Mein Bruder und ich ergänzen uns in diesem Sinne perfekt. Der Dokumentarfilm "Negativ: nichts - Schritt für Schritt für Japan" ist unsere erste gemeinsame Arbeit.
Wann soll der Film fertig sein und wo soll er ausgestrahlt werden?
Der Trailer ist bereits online (vgl. unten). Wir sind zurzeit an der Produktion des Films. Wir suchen noch zusätzliche Sponsoren, auch in der Schweiz. Es gibt sogar die Möglichkeit einer Mikrospende. Ab einem Unterstützungsbeitrag von 100 Franken, wird man seinen Namen im Abspann sehen. Ab Herbst wollen wir den Film an verschiedenen Festivals in der Schweiz, in Japan und den USA zeigen.
Führen Sie schon Gespräche mit dem SF?
Nein, mit dem SF haben wir noch keine Gespräche geführt. In Japan gab es jedoch Interessenten. Dort sind schon erste Sondierungsgespräche im Gange. Aber eben, wir müssen den Film noch fertig produzieren. Das wird noch ein paar Monate dauern.
In Japan stösst Ihre Arbeit also auf grosses Interesse. Wie gross ist das Interesse bisher in der Schweiz?
Tatsächlich haben Thomas Reise und der Trailer zu unserem Dokumentarfilm die Herzen der Japaner berührt. Sie sind begeistert, wie ein Schweizer auf fast schon poetische Weise zeigt, wie man mit Zuversicht und Willen nach vorne schaut. In der Schweiz erfahren die meisten Menschen erst gerade, welche gewaltige Leistung Thomas Köhler in Japan vollbracht hat. Wir sind überzeugt, dass damit das Interesse an unserem Dokumentarfilm auch hierzulande steigen wird.
Was sind Ihre Pläne für nach diesem Filmdreh?
Zurzeit konzentrieren wir uns auf die Produktion des Dokumentarfilms. Neue Ideen für weitere Filmprojekte sind vorhanden. Und natürlich möchte ich weiterhin als Journalist tätig bleiben. Es ist ein wunderschöner Beruf.
Interview: Sibylle Lagler