17.07.2013

NZZ

"Auch ich schwimme nicht ganz mit dem Mainstream"

32 Jahre lang war Markus Felber Bundesgerichtskorrespondent. 18 davon für die "Neue Zürcher Zeitung". Sein überraschendes Ausscheiden aus dem Dienst auf Ende Juni wird bei den vielen Juristen unter den "NZZ"-Abonnenten nicht unbemerkt bleiben: Nüchtern, sachlich und für alle verständlich kommentierte Felber die wichtigsten Entscheide des obersten Gerichts der Schweiz. Im Interview spricht der 62-Jährige über die Gründe seiner Frühpensionierung, Qualität im Journalismus, seine Zukunft und seine umstrittene Nachfolgerin.
NZZ: "Auch ich schwimme nicht ganz mit dem Mainstream"

Herr Felber, seit Ende Juni berichten Sie nicht mehr für die "NZZ" vom Bundesgericht in Lausanne. Jahrelang haben Sie dort Hochleistungssport betrieben. Deshalb frage ich in Sportler-Interview-Manier: Wie fühlen Sie sich jetzt?
Offen gestanden: Ich schüttle jedes Mal den Kopf, wenn ein Sportreporter diese Frage stellt. Nachdem sie nun mir selbst gestellt wird, kratze ich mich zusätzlich am geschüttelten Kopf. Denn im Gegensatz zu Sportlern fühlen sich Intellektuelle offenbar gar nicht...

Insgesamt waren Sie 32 Jahre am Bundesgericht. Über 18 für die "NZZ". Nun sind Sie im Alter von 62 Jahren frühpensioniert worden. Wie kam es dazu?
Im vergangenen Herbst wurde ich überraschend damit konfrontiert, dass ein Umbau der Berichterstattung aus dem Bundesgericht nicht nur geplant, sondern faktisch fest beschlossen war. Der Posten sollte in zwei Halbzeitstellen aufgeteilt und das Schwergewicht von der juristischen zur politischen Relevanz verlagert werden. Ich kam nach reiflicher Überlegung und zahllosen Gesprächen mit Juristen zum Schluss, dass meine Tätigkeit unter den veränderten Bedingungen nur noch beschränkt den Erwartungen jener spezifischen Leserschaft zu entsprechen vermöchte, welche die NZZ mit ihrer Bundesgerichtsberichterstattung seit 1913 erfolgreich an sich gebunden hat. Unter diesen Umständen willigte ich schliesslich in eine Frühpensionierung ein.

In Zukunft wird die ehemalige Bundeshauskorrespondentin Katharina Fontana mit einem 75-Prozent-Pensum aus Lausanne berichten. Etliche namhafte Staatsrechtler reagierten darauf höchst empört. Fontana missachte das Völkerrecht. Verstehen Sie die Aufregung?
Nein, ich verstehe diese Aufregung nicht. Der Vorwurf, Katharina Fontana missachte das Völkerrecht, ist absurd. Sie sieht das Verhältnis von Völkerrecht und Landesrecht vielleicht nicht gleich wie einige andere Juristen. Aber auch ich schwimme da nicht ganz mit dem Mainstream.

Bei der "NZZ"-Leserschaft mit juristischem Background geniessen Sie hohes Ansehen. Was geht der Zeitung aus Ihrer Sicht mit Ihrem Ausscheiden verloren?
Es ist denkbar, dass meine Nachfolgerin unter den ihr gesetzten Rahmenbedingungen nicht mehr in gleichem Ausmass wie ich das Augenmerk auf juristisch Relevantes in den tausenden von unspektakulären Urteilen richten kann. Ob aber überhaupt etwas verloren geht, bleibt  erst einmal abzuwarten. Und das dereinst zu beurteilen, stünde mir als Letztem zu.

Ist es nicht gefährlich politisch gefärbte Bundesgerichts-Berichterstattung zu machen?
Ich erwarte nicht, dass die "NZZ" ihren Lesern künftig eine politisch gefärbte Bundesgerichts-Berichterstattung bieten wird. Die geplante Fokussierung auf die politische Relevanz würde ich nicht als gefährlich bezeichnen, aber als sehr schade.

In letzter Zeit häufen sich die namhaften Abgänge an der Falkenstrasse. Wie beurteilen Sie die Qualität der Zeitung heute?
Vielleicht ist es ein Zeichen des Alters, aber ich sehe ganz generell eine sinkende Qualität der journalistischen Arbeit – zumindest im deutschsprachigen Raum. Davon bleibt auch die "NZZ" nicht verschont, doch ist es ihr bisher zum Glück gelungen, im Vergleich mit inländischer und ausländischer Konkurrenz einen Spitzenplatz zu behaupten.

In Ihrer E-Mail Signatur bezeichnen Sie sich als "Bundesgerichtskorrespondent im Unruhestand". Wie geht’s weiter für "fel."?
Fest steht, dass ich die regelmässige Berichterstattung für die Zeitung des Hauseigentümer-Verbands weiterführen und meine Aktivität in der Schweizerischen Juristenzeitung (SJZ) ausbauen werde. Ab September darf ich zudem für die "NZZ am Sonntag" eine wöchentliche Kolumne verfassen. Geplant ist weiter eine regelmässige Berichterstattung im Jusletter von Weblaw, wo derzeit bis Ende September ein Probelauf stattfindet. Ob das Projekt definitiv zustande kommt, bleibt abzuwarten. Darüber hinaus bin ich offen für andere interessante Herausforderungen im Bereich von Kommunikation und Recht.

Können Sie uns Ihren bisherigen Alltag in Lausanne kurz beschreiben?
Ich war ja nicht nur in Lausanne tätig, sondern auch in der Nähe von Luzern, dem zweiten Standort des Bundesgerichts. Der Alltag bestand gut zur Hälfte darin, aus der Fülle von vielen tausend Urteilen, herauszufiltern, was für die ganz spezifische Leserschaft der  NZZ von Interesse ist. Eher selten geworden sind mündliche Urteilsberatungen als Quelle der Information. Danach erst beginnt der kreative Teil des Jobs: Die gewonnenen Erkenntnisse werden im Gespräch mit fachkundigen Personen vertieft und schliesslich zeitungsgerecht verarbeitet.

Worin besteht die grösste Herausforderung als Bundesgerichtskorrespondent?
Bildhaft gesagt gilt es, einen gewissen Stallgeruch anzunehmen, ohne zur Herde zu gehören. Der Bundesgerichtskorrespondent muss dem Gericht so nahe sein, dass er auch vernimmt, was nicht öffentlich verkündet wird. Und er muss anderseits so viel Distanz wahren, dass er den Mahnfinger erheben kann, wo es geboten erscheint.

Wie würden Sie Ihren Stil beschreiben?
Ich hasse ausschweifende und langfädige Texte und bemühe mich darum stets um konzis-kompakte Formulierungen. Das ist vermutlich auch der Grund, warum ich mich auf Twitter mit seiner Beschränkung auf 140 Zeichen pro Text, so pudelwohl fühle. Das Bemühen um Kürze bei der journalistischen Arbeit ist allerdings durchaus nicht ganz uneigennützig: Ich bin überzeugt, dass ein auf das Wesentliche beschränkter Text, viel eher zu Ende gelesen wird als ein Artikel von epischer Länge.

Vielen in Erinnerung geblieben ist die Spuckattacke von Bundesrichter Schubarth. Was waren Ihre Highlights?
Es gibt heute vermutlich kein anderes Gericht in der Schweiz, das den Medien auch nur halbwegs so gute Rahmenbedingungen gewährt wie das Bundesgericht in Lausanne. Das ist für mich das grosse Highlight. Und jede einzelne Etappe auf dem Weg dahin, an denen ich teilweise aktiv beteiligt war, blieb mir als kleines Highlight in Erinnerung.

Pflegen Sie eigentlich noch Kontakt mit Martin Schubarth oder anderen Bundesrichtern?
Bundesrichter ziehen sich nach dem Rücktritt meist zurück. Mit einer einzigen Ausnahme kommt es daher nur noch zu zufälligen Begegnungen. Und alt Bundesrichter Schubarth ist mir nie mehr über den Weg gelaufen.

Sie führen zwei Twitter-Accounts, einen sachlichen (@fel_ch), einen sehr humorvollen (@frechgeist). Ihre Tweets wurden schon mehrfach von der Presse aufgegriffen. Ist an Ihnen ein Kabarettist verloren gegangen? Ist die Arbeit mit Urteilen auf Dauer zu trocken?
So trocken sind Gerichtsurteile gar nicht. Sogar Humor findet sich darin ab und zu, wenn auch unfreiwilliger, wie unlängst, als das Bundesgericht den Kanton Oberwallis "erfand". Und ganz humorlos bin ich selber auch nicht, was auf Twitter vermutlich durchaus kein Nachteil ist. Aber dass ein Kabarettist an mir verloren gegangen sein könnte, glaube ich nicht. Obwohl: Als Kind äusserte ich einmal allen Ernstes die Absicht, später einmal Hofnarr werden zu wollen.

Interview: Adrian Schräder



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