19.04.2013

Wolfgang Koydl

Teutonischer Selbstversuch zu unserer Befindlichkeit

Was zeichnet die Schweiz aus? Wolfgang Koydl, seit zwei Jahren Schweizer Korrespondent der renommierten Süddeutschen Zeitung, versucht auf diese Frage eine Antwort zu finden. Für sein soeben erschienenes Buch "33 Dinge, die man in der Schweiz unbedingt getan haben sollte" (Orell-Füssli-Verlag) wagte er einen "teutonischen Selbstversuch".
Wolfgang Koydl: Teutonischer Selbstversuch zu unserer Befindlichkeit

Herr Koydl, warum sind es gerade 33 Dinge, die man in der Schweiz getan haben sollte? 
Der Grund ist eigentlich ganz banal. Produktions- und verkaufstechnisch hat so ein Buch um die 250 Seiten. Bei 100 Dingen, an die ich zuerst gedacht habe, hätte ich nur zwei, drei Seiten pro Experiment gehabt. Bei weniger als 20 wären die Leser wahrscheinlich eingeschlafen, bis sie sich durch jedes einzelne Abenteuer gelesen hätten. Ideal waren zwischen 25 und 40 Stücke, und weil sich Schnapszahlen leichter merken lassen, blieb nur die 33.

Nach welchen Kriterien haben Sie diese Tipps ausgewählt?
Bekanntes und Unbekanntes, Klischee und Überraschung, Politik, Kultur, Business, Sport, Brauchtum. Dazu sollte natürlich die regionale Mischung einigermassen stimmen, also Beiträge aus jeder Region, aus jedem Landesteil. Das Buch soll nicht nur Deutsche ansprechen, sondern vor allem auch Schweizer, die ihr Land natürlich tausendmal besser kennen als ich gerade mal eben reingeschmeckter Schwob. Also habe ich einen Dreh gesucht, der Altbekanntes in ein ungewohntes Licht getaucht hat. Jeder kennt zwar Kuhglocken, aber wenige einen Schellenschmied. Und alle Schweizer kennen Schwingen, wissen aber nicht, wie es sich anfühlt, gebodigt zu werden. Und oft sieht man sein eigenes Land schon dann anders, wenn man es durch fremde Augen betrachtet. Ich hoffe, das ist hier und da gelungen.

Welches war Ihr Lieblingsexperiment?
Schwer zu sagen. Jedes war auf seine Weise schön. Manche, die zunächst eher eine Verlegenheitslösung waren, wie der verregnete Sonntag in Genf, entpuppten sich am Ende als echte persönliche Highlights. Andere, wie die Mietkuh, waren dann doch nicht so sexy wie erwartet. Am liebsten hatte ich aber die Experimente, bei denen ich mit vollem Körpereinsatz dabei war: Velotour, Seilrutsche, Alphorn, Jodeln.

Sie verzichten auf Zynismus und Sarkasmus. Ist dies anerzogener Anstand oder wirkliche Bewunderung für hiesige Tugenden? 
Zynismus und Sarkasmus sind verletzend, sie sind letztlich Gegenpole zum Menscheln, zu Menschen und zur Menschlichkeit. Und mir ging es im Kern darum, den Lesern den Schweizer Menschen zu zeigen. Und alle Menschen, die ich im Laufe der Recherchen getroffen habe, waren grund- anständige, herzliche, hilfsbereite und liebenswürdige Männer und Frauen. Und, ja, Bewunderung hat sich auch eingeschlichen. Wie man aus einem Land, das im Rohzustand über weite Strecken ein ähnlich abweisender Steinhaufen ist wie der Kaukasus, ein solch funkelndes Schatzkästchen mit derart vielen Facetten machen kann, das verdient Respekt. 

Ist die Schweiz nicht ein bisschen langweilig für einen Auslandskorrespondenten?
Keinen Augenblick lang. Das mag daran liegen, dass ich die Schweiz überhaupt nicht kannte, bevor ich diesen Posten angetreten habe. Ich war nie hier, noch nicht einmal im Urlaub. Und gelesen und gehört habe ich auch nicht viel über das Land – ausser Gottfried Keller, Max Frisch, Friedrich Dürrenmatt und Emil Steinberger, mit denen ich wie jeder gute deutsche Bildungsbürger aufgewachsen bin. Das heisst, dass alles hier für mich neu war und nur darauf wartete, entdeckt zu werden. Das ist das Beste, was einem Korrespondenten passieren kann. Nichts ist schlimmer, als wenn er alles schon kennt und tausendmal gesehen und geschrieben hat. Was die Schweiz für mich – und hoffentlich auch für meine Redaktoren und Leser – besonders spannend macht: Sie hat im Prinzip dieselben Probleme wie all die anderen hoch entwickelten Staaten – ob das nun Energie, Gesundheit, Alterspyramide, Zuwanderung etc. ist. Aber Schweizer wählen häufig einen grundsätzlich anderen Lösungsansatz, von dem man sich einiges abschauen kann. 

Was interessiert die Redaktion an der Schweiz?
Redaktoren sind auch nur Menschen und die Schweiz ist auch nur ein Land. Das bedeutet, dass es Klischees über sie gibt und dass die Redaktion gerne diese Klischees bedient haben will. Mit anderen Worten: Alles, wo Schwarzgeld, Swatch oder Schokolade draufsteht, muss ich nicht lange der Redaktion andienen. Das sind Selbstläufer, die ich aber eher ungern mache. Man braucht keinen Korrespondenten, um Vorurteile zu zementieren. Grundsätzlich gilt, dass man sich in der Redaktion stark für Wirtschaftsthemen aus der Schweiz interessiert, dann Tourismus im weitesten Sinn. Schweizer Politik taucht auf dem Radar nur auf, wenn sie irgendwas mit Christoph Blocher und der SVP zu tun hat. Ich bemerke aber, dass es in der Redaktion gut ankommt, wenn ich ihr ein Aha-Erlebnis bescheren kann, nach dem Motto: Was, das machen die Schweizer? Das habe ich nicht gewusst, das hätte ich nicht gedacht. Und von diesen Aha-Erlebnissen gibt es überraschend viele. Generell bin ich aber entsetzt, wie wenig man in Deutschland über die Schweiz weiss. Es gibt ja genügend geografische, historische und kulturelle Berührungspunkte. 

Welches Vorurteil mussten Sie bei Ihrem Schweiz-Aufenthalt ablegen?
Ich hatte befürchtet, dass die Schweizer mufflig, wortkarg und humorlos wären. Ich war bass erstaunt – und erfreut – über die Freundlichkeit, Redseligkeit und den ausgeprägten Sinn für Humor, die ich fast überall antreffe. 

Was nervt Sie hierzulande am meisten?
Dass viele Schweizer mit diesem ungeheuer grossen Komplex gegenüber Deutschland herumlaufen. Der äussert sich dann in Kratzbürstigkeit, Mimosenhaftigkeit und einer tüchtigen Portion Ironie-Resistenz. Das jüngste Beispiel: Nach der Annahme der Minder-Initiative habe ich in der SZ geschrieben, dass nun auch Neid komme zu dem Staunen der Deutschen über dieses "merkwürdige Bergvolk", das sich auch schon selbst mal den Urlaub kürzt und die Steuern erhöht. Mein Gott, habe ich Prügel bezogen wegen dem "merkwürdigen Bergvolk". Einer hat mir sogar geschrieben, dass es in Basel beispielsweise überhaupt keine geologischen Erhebungen gebe. Dabei war die Bemerkung gar nicht despektierlich gemeint. Und die Schweizer haben nun überhaupt keinen Grund, ihr Licht unter den Scheffel zu stellen und einen Minderwertigkeitskomplex zu hegen. 

Interview: Matthias Ackeret / Das vollständige Interview lesen Sie in der aktuellen Ausgabe von "persönlich".



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