16.08.2016

St. Galler Kapo

«Wir werden kritisiert, weil wir nur Wahrheiten verbreiten»

Zu spärliche Information, ein fehlender Twitter-Account und mangelnde Englischkenntnisse des Medienchefs: Nach dem Amoklauf in Salez wird die Kapo St. Gallen scharf kritisiert. Im Interview nimmt Hanspeter Krüsi Stellung und kontert die Vorwürfe.
St. Galler Kapo: «Wir werden kritisiert, weil wir nur Wahrheiten verbreiten»
von Michèle Widmer

Herr Krüsi, seit dem Gewaltdelikt in Salez arbeitet die Kapo St. Gallen im Ausnahmezustand. Wie erleben Sie und Ihr Team diese Tage?
Wir empfangen ein Videoteam nach dem anderen und geben Interview nach Interview.

Sie würden zu zurückhaltend kommunizieren, wird von vielen Seiten kritisiert.
Ich bin überzeugt, dass wir einen guten Job machen. Es sind Kleinigkeiten, die ich rückblickend anders gemacht hätte. Ich wollte Spekulationen bewusst vermeiden und keinen Hype auslösen. Wir dürfen nur kommunizieren, was stimmt und was ein mögliches laufendes Strafverfahren nicht beeinflusst. Bei der Formulierung der drei Medienmitteilungen in diesem Fall musste ich deshalb sehr vorsichtig sein.

Können Sie ein Beispiel nennen?
In der ersten Mitteilung am Samstagnachmittag titelte ich mit dem Begriff «Zwischenfall», wofür ich nachträglich von einigen Empfängern kritisiert wurde. Ich wollte bewusst nicht die Begriffe «Attacke» oder «Angriff» einbringen, weil uns zu diesem Zeitpunkt die nötigen Informationen fehlten.

Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass die Kapo St. Gallen nicht über Twitter kommuniziert.
Ich habe vor drei Jahren einen Twitter-Account reserviert, diesen aber noch nicht aktiviert. Hauptsächlich, weil die Betreuung des Dienstes sehr personalintensiv ist und für kompakte Inhalte nicht geeignet ist. Wir verbreiten unsere Mitteilungen aber über unser Facebook-Konto und alle anderen Kanäle und erreichen damit viele Leute.

Die Münchner Polizei hat nach dem Attentat auf ein Einkaufszentrum über Twitter sehr offensiv kommuniziert und dafür viel Lob eingeheimst. Hat Sie das nicht dazu bewegt, Ihre Strategie zu überdenken?
Die Müncher Polizei hat einen guten Job gemacht. Allerdings haben die deutschen Kollegen über Twitter auch falsche Informationen verbreitetet. Während sie für diese Fehlleistung gelobt werden, müssen wir Kritik einstecken, weil wir nur Wahrheiten verbreiten. Meiner Ansicht nach eine verkehrte Welt.

Auch ausländische Medien zeigten grosses Interesse an der Tat in Salez. Wie war die Zusammenarbeit mit ihnen?
Im Vergleich mit dem Schweizer Fernsehen oder Tele Ostschweiz herrscht eine andere Atmosphäre, wenn ein deutsches oder ein belgisches Medienteam sein Equipment auspackt. Die Fragen sind direkter und forscher.

Wer ist alles ins Rheintal gereist?
Das Schweizer Fernsehen sowie fast alle regionalen TV-Sender haben ihre Teams hergeschickt. Dazu kamen die Videoteams von «Blick» oder beispielsweise «20 Minuten». Von Deutschland waren die Sender RTL, Reuters und NDR hier, von Brüssel war ein Kamerateam angereist und der Korrespondent einer amerikanischen Zeitung kam aus Genf ins Rheintal. Die Aufzählung ist nicht vollständig. Bei dem Ansturm ist es schwierig den Überblick zu behalten.

Dazu kamen die vielen Telefonanfragen von Medien. Hätten sich der Ansturm mit einer Medienkonferenz nicht besser koordinieren lassen?
Basierend auf einen internen Katalog habe ich am Samstag entschieden, keine Medienkonferenz durchzuführen. Und zwar weil es zu diesem Zeitpunkt keine Toten gab und weil ich wegen der regionalen Herkunft von allen Beteiligten kein internationales Interesse sah. Wäre eine asiatische Reisegruppe im Zug gesessen, hätte ich anders entschieden.

Am Sonntag war klar, dass der Täter und ein Opfer gestorben sind. Warum haben Sie dann nicht zur Medienkonferenz geladen?
Weil ich nicht mehr hätte tun können, als die Informationen der Medienmitteilung wiederzugeben. Es wären verschwendete Ressourcen, in dieser Situation all die Teams ins Rheintal zu rufen. Da es ein Sonntag war, wäre zudem fraglich gewesen, ob der Ansturm gross gewesen wäre. Zudem zeigt die Erfahrung, dass die TV- und Radioredaktoren nach Medienkonferenzen meistens Einzelinterviews benötigen. Der Aufwand wäre für uns gleich gross gewesen.

Die Medien werden für ihre zurückhaltende Berichterstattung gelobt. Stimmen Sie in das Loblied ein?
Soweit ich die Berichterstattung bisher verfolgen konnte, ja. Aber im Vergleich zu früher arbeiten die verschiedenen Onlineportale markant boulevardesker. Zum Teil hätte man das Gefühl bekommen können, die Medienvertreter bedauern, dass es keinen terroristischen Hintergrund gibt, und somit ihre Geschichte nicht aufgeht. Es wurde krampfhaft ein Motiv gesucht oder versucht, eines zu konstruieren.

Zum Thema wurden auch Ihre Englischkenntnisse. Anfragen von ausländischen Medien wurden strikt auf Deutsch beantwortet. Wie hätten Sie das an einer Medienkonferenz mit internationalem Interesse gelöst?
In einem solchen Fall würde ich mir einen Dolmetscher zur Seite nehmen, der laufend übersetzt. Es ist nicht so, dass ich kein Englisch kann. Bei der Behördenkommunikation geht es oftmals um Finessen, das traue ich mir schlichtweg nicht zu.

Sind die Englischkompetenzen in Ihrer Abteilung intern ein Thema?
Wir bilden unser Team sprachlich stetig weiter. Mein Stellvertreter Gian Andrea Rezzoli besucht in Kürze einen einmonatigen Sprachkurs in Italien. Und ich werde im Oktober zwei Monate eine Sprachschule in Australien besuchen, um mein Englisch aufzufrischen. Diese Kurse sind bereits seit Wochen gebucht.

Sie haben einen Medien-Marathon hinter sich. Haben Sie auch Anfragen abgelehnt?
Die Leistung der Polizei wird heutzutage gemessen am Ermittlungserfolg und an der medialen Betreuung. Als Verantwortlicher für Letzteres ist es mir ein Anliegen, dass unser Unternehmen nicht ins schiefe Licht gerückt wird. Aus diesem Grund habe ich jede einzelne Anfrage entgegengenommen.

Wenn etwas Ruhe eingekehrt ist: Wie werden Sie den Fall Salez intern beurteilen?
Ich werde mit unserem Team, das zurzeit Höchstleistungen liefert, ein Debriefing organisieren. Zudem werde ich zusammen mit meinem Vorgestzen, dem Polizeikommandanten, unsere Strategie überarbeiten. Da werden wir wohl unter anderem die Twitter-Frage oder auch die Anforderungen an unser Mitarbeiter in Bezug auf Fremdsprachen besprechen.



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Kommentare

  • Peter Meier, 19.08.2016 21:28 Uhr
    Herr Krüsi hat alles richtig gemacht. Ein Twitteraccount hätte den Vorteil, dass man man Falschmeldungen schnellstens widersprechen kann, wie z. B. als SVP-Nationalrat Claudio Zanetti ein falsches Täterbild verbreitete, das einen braunhäutigen Ausländer zeigte statt eines bleichen Schweizers. https://twitter.com/marcel_baur/status/764846281562947588
  • martina abächerli, 17.08.2016 12:49 Uhr
    er ist und bleibt ein pressesprecher, wie es in den 90er-jahren lobenswert gewesen ist. aber "twitter-account-reservieren" lassen und die doch sehr sehr spärliche information empfand ich als peinlich... auch deshalb, weil nicht klar komminiziert wurde und nur ganz wenig, wirde auf twitter viel unfug behauptet.... und sorry, ein presseverantwortlicher, der pressekonferenzen scheut, weil er danach noch face to face intis geben muss und damit arbeit hat -HALLO?
  • Thomas Binder, 17.08.2016 10:49 Uhr
    Wahrhaftig, authentisch und korrekt, eine Wohltat im Zeitalter der schweren (Ver)blender - chapeau und danke, Herr Krüsi! Meine Empathie gilt den Opfern und deren Angehörigen. Mein Dank gilt der KaPo St. Gallen, die der Welt vorgemacht hat, dass man (Massen)mord(versuch) nicht als Terrorismus bezeichnet und die Täter, wenn verantwortbar, lebend festnimmt und den Untersuchungs- und Strafbehörden zuführt. Meine Bitte an die Medien und an die Bevölkerung besteht darin, endlich zur Kenntnis zu nehmen, dass die meisten (Massen)mörder Psychopathen im weiteren Sinne sind, die kein Geschlecht, keine Ethnie, keine Nationalität, keine Ideologie und keine Religion haben. Sie haben nur sicht selbst. Deshalb ist es bestenfalls unsinnig, schlimmstenfalls bösartig, irgendein(e) Geschlecht, Ethnie, Nationalität, Ideologie oder Religion für ihre Verbrechen mitverantwortlich zu machen.
  • matthias hassler, 17.08.2016 08:23 Uhr
    Hr. Krüsi und sein Team haben in einer schwierigen Situation gute Arbeit geleistet. Die Kommunikation war stets bei den Fakten und hat sehr wohl vermieden, dass alle Medien "Terror" schreien. Sie für die sachdienliche Kommunikation und einen fehlenen Twitter-Account zu kritisieren, ist komplett daneben. Mit der Aussage "... die Medienvertreter bedauern, dass es keinen terroristischen Hintergrund gibt..." trifft Hr. Krüsi den Nagel auf den Kopf.
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