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Bern first

von Matthias Ackeret

Nathalie Wappler wird ihrem Ruf gerecht. Mit dem angekündigten Entscheid, das Radio in Bern zu lassen, hat sie eine Bombe gezündet, die erstens niemand so erwartete, und – zweitens – sogar die Hitzewoche für einen kurzen Moment in den Schatten stellte. Und dies will bei diesen mörderischen Temperaturen etwas heissen. Nathalie Wappler hat somit die Signale aus dem Bundeshaus erhört – und auch interpretiert. Das Votum von zwei Drittel aller Nationalräte aus allen Fraktionen, wonach prestigeträchtige Sendungen wie «Echo der Zeit» weiterhin im Bundeshausstudio produziert werden sollen, war für sie wohl ein unmissverständlicher Wink und löste den Griff zur Notbremse aus. Dieser massive – und unerwartete – Widerstand gegen die geplante Zügelaktion, der längst über Medienkreise hinaus ging, war für die neue Direktorin Zeichen genug, dass die Sympathien, die die SRG im Vorfeld der «No Billag»-Abstimmung bekommen hat, definitiv verbraucht sind.

«Verlierer» ist Wapplers Vorgänger Ruedi Matter, der die Konvergenzstrategie von Radio und Fernsehen ausarbeitete. Doch diesem kann der heutige Entscheid egal sein: er ist im Ruhestand. Verlierer ist auch der neue SRG-Generaldirektor Gilles Marchand, der eine unternehmerischere SRG und damit die Verschiebung der Radioredaktionen ins Leutschenbach wünschte. Hauptverlierer sind zweifelsohne aber die Konzessionszahler. Die SRG baut momentan im Leutschenbach einen hypermodernen Newsroom für 70 Millionen Franken. Die Frage bleibt: Macht diese Medienkathedrale beim Rückzug der Zügelaktion überhaupt noch Sinn? Die SRG betont gegenüber persoenlich.com, dass dieser Neubau damit nichts zu tun habe.

Trotzdem: Dass die Opposition gegen die SRG-Pläne eine solche Vehemenz annimmt, war beim besten Willen nicht zu erwarten. Für die Zürcher zeigt es auf erschreckende Weise, wie gross die Vorbehalte in der Restschweiz gegen Leutschenbach sind. Geht man davon aus, dass zwei Drittel aller Nationalräte gegen die SRG-Pläne waren, so befürwortete ausser den Zürcher Standesvertretern und den Grünliberalen praktisch niemand den geplanten Umzug. Im Ständerat, wo die SRG-nahe CVP immer noch sehr dominant ist, sah es ein bisschen anders aus. Wie dem auch sei: Nathalie Wapplers Vorpreschen ist auch ein Präjudiz für die Romandie, wo man bis heute einen Teil der SRG-Redaktionen von Genf nach Lausanne verlegen wollte.

Erleichterung dürfte vor allem bei den Radio-Mitarbeitern vorherrschen. Sie müssen nun ihre geliebte Bundesstadt nicht mehr verlassen, um ins morbide Zürich zu fahren. Dass gleichzeitig die Zürcher SRG-Kulturjournalisten täglich nach Basel pendeln, interessierte in der ganzen Diskussion niemand. Bei «privaten» Medienhäuser ist dies übrigens mittlerweile auch Usus: Journalisten von CH Media verschieben sich schon bald aus der ganzen Ost- und Innerschweiz in die Zentralredaktion nach Aarau. 

Zusammenfassend kann man sagen: Nathalie Wappler hat den Mut für unerwartete Entscheidungen. Höchstwahrscheinlich wurde ihr Sensorium, politische Signale richtig zu deuten, bei ihrer vorherigen Tätigkeit beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland geschärft. Für die SRG bedeutet es aber weitgehend der Abschied vom freien Unternehmertum. Nach dem heutigen Tag ist sie nun offiziell ein «Staatssender». Aber dies ist ja auch nicht so schlimm.



Matthias Ackeret ist Verleger von «persönlich» und persoenlich.com.


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