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Februar 2023

von Inken Rohweder von Trotha

Anuschka Roshani zeichnet in ihrem Spiegel-Beitrag ein gruseliges Bild männlichen Dominanzgebarens, von dem die meisten Menschen bei aller Anteilnahme nicht vermuten, es beträfe auch sie. Leider ist das nur zum Teil wahr, denn obwohl man hoffentlich nicht Ziel krasser Schikanen ist, ist man doch Teil eines Systems, das es schafft, bis heute so einen Wahnsinn zu tolerieren, zu decken und mit einer «hohen Abfindung» zu belohnen.

Die Duldung von «weiter oben», die im Text durchschimmert, ist ein Skandal für sich. Wer sind diese Leute, die sich zwar nicht dabei erwischen lassen, unter anderem irgendwo Hakenkreuze hinzukritzeln, doch über die Macht verfügen, jahrelang so jemanden zu decken, ohne darüber zu stürzen? Wer sind diese Typen, die einem einigermassen fairen Miteinander in einer gesunden Gesellschaft noch abträglicher sind als ein sich ins Aus schiessender Einzelfall? Sie sind jedenfalls überall. Auch da, wo man sie nicht vermutet.

Doch sogar die sind nicht allein verantwortlich dafür, dass wir in unserer Gesamtheit weit davon entfernt sind, gleiche Bedingungen für jene mit und jene mit weniger Privilegien herzustellen.

Auch ein ansonsten harmloser Mann erklärt dir gern, dass er seine Kinder «babysittet», aber nun mal nicht schwanger werden könne, dass «über Jahrtausende gewachsene Ungerechtigkeit» nicht von heute auf morgen verschwindet und man da noch ein bisschen (oder ein paar Jahrhunderte) dranbleiben müsse, als Frau womöglich etwas weniger angestrengt, und natürlich ohne dabei «drängendere Probleme» ausser Acht zu lassen. Wir Frauen reagieren da meistens ganz entgegenkommend. Und ich meine die Männer, die das alles überhaupt nicht betrifft, nicht mit, aber die Frauen unter uns, die sich nicht fair verhalten, schon.

Anushka Roshani vergisst nicht zu erwähnen, dass sich «einiges getan hätte», «zwar nicht im Zeitraffer», aber eine junge Kollegin sei jetzt Ressortleiterin beim Spiegel, sie selbst wäre «keine Mimose» und «in einem Journalismus gross geworden, der von Männern geprägt war». Erst als ein Kollege «beiläufig bemerkt», sie würde gemobbt, kann sie aus sich heraustreten, stellt sie fest, dass ihre Geschichte auch eine Geschichte der «Ohnmacht» ist, eine, die sonst nur «verhuschten Gestalten, nicht aber jemandem wie ihr passieren würde».

Ich finde diese Aussage schrecklich – und schrecklich berührend, denn ich kenne keine Frau, der das in Varianten noch nicht widerfahren ist. Die etwas «verhuschteren», die kenne ich auch, die kommen allerdings nicht einmal in die Nähe einer höheren Position, die werden schon vorher aussortiert.

Wenn man wie ich 1,75 ist, von den Wikingern abstammt und Bier mag, dann hat man auch in Werbeagenturen, die entgegen allgemeiner Vermutung bis heute zumeist von Männern geprägt sind, bessere Überlebenschancen als viele andere Frauen. In der Schweiz kommt zwar noch das Deutschsein unvorteilhaft hinzu, doch statt dauerhaft daran zu verzweifeln, dass das Klappern meiner Stiefeletten «damals» irgendwen an den Stechschritt deutscher Soldaten erinnerte und ich trotz Gender Pay Gap (gabs noch nicht) meinen Lohn in echt gar nicht mit einem Nebenjob als Domina in SS-Uniform aufbessern konnte, freute ich mich darüber, keine Fischköpfe im Briefkasten vorzufinden und einen guten Job zu machen. Die meisten meiner Kollegen konnten ja auch nichts dafür.

Dass alles und die Karriere viel einfacher gewesen wäre, wäre ich keine Frau, kam mir wirklich nie in den Sinn, und manchmal frage ich mich, wieso. Es hätte mir doch auffallen können, dass ich recht allein war auf der Stufe unter der Chefetage. In der war dann keine Frau mehr. So ist es heute noch fast überall. Und es fällt immer noch nicht genügend auf.

Sexismus ist «ein Oberbegriff für eine breite Palette von Einzelphänomenen unbewusster oder bewusster Diskriminierung auf der Basis des Geschlechts» – es muss dir also niemand an den Hintern fassen, um als Sexist durchzugehen. Das wird des Öfteren vergessen, vor allem, wenn Sexismus sich mal wieder so nachdrücklich in einem einzelnen Bösewicht manifestiert.

«Ich habe zwar ein gewisses Verständnis dafür, dass viele genug haben von diesem leidigen Thema. Doch das ändert nichts daran, dass es weiter geschieht», schreibt Anuschka Roshani und hat den Mut, ihre Geschichte öffentlich zu machen.

Dafür können wir alle dankbar sein.



Inken Rohweder von Trotha arbeitet als Kreative bei wervt.com. Sie ist Vorstandsmitglied des ADC Switzerland. (Bild: Mirjam Kluka)

Unsere Kolumnistinnen und Kolumnisten vertreten ihre eigene Meinung. Sie deckt sich nicht in jedem Fall mit derjenigen der Redaktion.


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