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30.10.2019

News-Deprivierte

Wie stark ist der Durst nach Good News?

Immer mehr Menschen lehnen negative Nachrichten in den Medien angeblich ab. Im «Medienclub» wurde nach Erklärungen gesucht.
von René Hildbrand

Die Studie sorgte für Aufsehen: Laut dem Jahrbuch «Qualität der Medien» steigt die Zahl der «News-Deprivierten» weiter an. Laut Umfrage verzichten über 36 Prozent der Schweizer auf News, bei den 16- bis 29-Jährigen sollen es gar mehr als 55 Prozent sein (persoenlich.com berichtete). Die Konsumenten geben an, die Berichterstattung sei ihnen zu negativ. Dies zuvor: Medien müssen sagen und berichten, was ist. Es ist nicht ihre Aufgabe, bei den Lesern und Zuschauern permanent für gute Laune zu sorgen. Versuche, Zeitungen und Kanäle mit ausschliesslich guten Nachrichten zu betreiben, sind in Amerika schon vor Jahrzehnten gescheitert. Auch die nächste Katastrophe wird in den Rubriken «Meistgeklickt» an der Spitze stehen.

Franz Fischlin hat diesmal eine junge, interessante Runde in sein kleines Medienseminar eingeladen. Die deutsche Neurowissenschaftlerin und «Perspective Daily»-Gründerin Maren Urner brachte es gleich zu Beginn der Sendung auf den Punkt: «Stimmt, es gibt viel mehr Negativ- als Positivberichte. Doch es ist ja die Aufgabe des Journalismus, darüber zu berichten, was auf der Welt schief läuft.» Und «Blick»-Politikchefin Sermîn Faki sagte: «Wir erreichen heute online mehr Leser als jemals in der 60-jährigen ‹Blick›-Geschichte.» Michael Furger, Leiter Hintergrund der «NZZ am Sonntag», bestätigte: «Die negativen News werden besser gelesen. Doch die einordnenden, konstruktiven Geschichten in der NZZ sind ebenso gut gefragt.» Furger weiter: «Noch nie war das Angebot von journalistisch guten Produkten so gross wie heute. Man muss sie nur finden.»

Kabarettistin Patti Basler begründete die News-Abstinenz so: «Viele Junge konsumieren keine News, weil diese nichts mit ihnen zu tun haben.» Nicoletta Cimmino vom «Echo der Zeit» findet: «All die vielen Medien, Kanäle und Push-Meldungen stressen und können für die Menschen eine Überforderung sein.» In einem eingespielten Interview kam Medienverweigerer Rolf Dobelli zu Wort, der sich einer radikalen News-Diät unterzogen hat. Der Bestsellerautor, der mit bürgerlichem Namen Döbeli heisst: «Ein durchschnittlicher Mensch konsumiert rund 100 Meldungen pro Tag. Meist hat er diese bereits vor dem Mittagessen aufgenommen. Gibt es eine Meldung aus den vergangenen zwölf Monaten, die mir geholfen hat, für mich, mein Umfeld oder meine Firma eine bessere Entscheidung zu treffen? Nein. Ich bin bei den Informationen gegen Kurzfutter. Ich schätze lange Beitrage, die in die Tiefe gehen.»

Was Positiv-Berichterstattung betrifft: Moderator Franz Fischlin griff gegen Schluss der Sendung die wunderschöne, hundertausendfach gelesene Geschichte auf, wie CVP-Ständerat Konrad Graber und SVP-Bundesrat Ueli Maurer dem SP-Parteichef und Ständerat Christian Levrat halfen, dass dieser die Maturafeier seiner Tochter nicht verpasste (persoenlich.com berichtete). «Eine Episode», so die NZZ über ihren Primeur, «welche eine Stärke des Schweizer Politbetriebs illustriert.» Staunen in der Medienrunde nach der Frage von «Echo der Zeit»-Redaktorin Nicoletta Cimmino, die lieber Beiträge aus den hintersten Ecken von Afrika Indien oder China anmoderiert: «Wo ist da die Relevanz?» Wen wundert es da noch, dass «ihre» antike, elitäre Sendung laufend Hörer verliert, nur noch vom Nimbus aus längst vergangenen Tagen lebt – und vom Grossteil der jungen Generation überhaupt nicht wahrgenommen wird?


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