13.01.2015

Polarstern

Magazin bringt Hafenkran in Zusammenhang mit Nazi-Regime

Freier Journalist publiziert dunkle Geschichte des Zürcher Kunstobjektes.
Polarstern: Magazin bringt Hafenkran in Zusammenhang mit Nazi-Regime

Herr Thaler, Sie haben in Eigenregie das Magazin "Polarstern" herausgegeben, in welcher Sie die Geschichte des Zürcher Hafenkrans beschreiben. Was hat Sie dazu bewogen?
Ich fand es merkwürdig, dass Zürich den alten Kran in Deutschland beschaffte, einem Land, das zwei Weltkriege, zwei Diktaturen und einen Holocaust hinter sich hat. Hätten da die Künstler und die Verantwortlichen der Stadt sich nicht fragen müssen, ob der Kran und seine Erbauer vielleicht irgendwo und irgendwie eine direkte Verbindung mit dem deutschen Totalitarismus und dem Terror der beiden Diktaturen haben könnte? Doch es geschah nichts. Also begann ich nachzuforschen und siehe da...

Sie behaupten, dass die Firma, welche den Hafenkran herstellte, bereits im ersten Weltkrieg und im Nationalsozialismus eine wichtige Rolle spielte. Wie kamen Sie auf diese Geschichte?
Als ich Anfang Mai 2014 das erste Mal vor dem Hafenkran stand, bemerkte ich oben beim Kranhaus eine Inschrift, die durch eine zweite übermalt worden war. Gut lesbar war das aufgemalte DELFIN. Schliesslich konnte ich auch die übermalte Inschrift entziffern: TAKRAF. Wie ich von früheren Reportagereisen in der DDR wusste, war TAKRAF ein riesiges Machinenbaukombinat. Dann entdeckte ich, dass einer der grössten Einzelbetriebe des Kombinats der VEB Kranbau Eberswalde war, der wiederum eine Geschichte hatte, die bis 1902 zurückreichte. Nun wusste ich, wo ich hinzureisen hatte: nach Eberswalde. Von dort ins KZ Ravensbrück, dann weiter nach Rostock.

Was bezwecken Sie mit Ihrem Magazin, welches Sie dem Zürcher Stadt- und Gemeinderat zustellten?
Auf meiner historischen Spurensuche bin ich auf eine unvorstellbare Blutspur der Gewalt gestossen, an der die Kranbaufabrik Eberswalde hohen Anteil hatte. Denn sie war in beiden Weltkriegen eine Rüstungsfirma und hat dabei die Grenzen des Humanen mehrfach und wohl auch mit Vorsatz überschritten. Mit meiner Arbeit will ich an die Vergessenen dieser Unternehmensgeschichte erinnern: An die Opfer der insgesamt sechs Zwangsarbeiterlager und an das KZ-Aussenlager in Eberswalde, deren Insassen unter unvorstellbaren Bedingungen für die Kranbaufirma Zwangsarbeit leisten mussten. Und natürlich auch an die 205 Juden, die aus einem dieser Lager direkt in die Gaskammern von Auschwitz gebracht wurden.

Gab es bereits Reaktionen?
Ja, aus dem privaten Umfeld und einige Medienanfragen. Von offizieller Seite bislang nichts. Ich habe inzwischen bescheidene Erwartungen, da ja auch die erste Geschichte, in der ich die Rolle des Hafenkrans im geheimen Waffenhandel der DDR transparent machte, bei den Verantwortlichen nur beharrliches Schweigen auslöste.

Sie sind freier Journalist. Wieviel kostete Sie die ganze Lancierung?
Ich habe noch nicht abgerechnet. Meine Kosten für Reisen, Recherchen, Materialbeschaffung etc. liegen bis zur Stunde im fünfstelligen Bereich - allerdings deutlich unter jenem Betrag, den alt Stadtrat Martin Waser aus seinem privaten Portemonnaie für den Hafenkran aufgeworfen hat. Ich hoffe jetzt einfach auf einen guten Verkauf von "Polarstern".

Wo bekommt man den "Polarstern"?
In der Buchhandlung im Volkshaus an der Stauffacherstrasse 60 in Zürich. Oder mit Rechnung per Post bei mir: urs.thaler@bluewin.ch.

Sie bezeichnen Ihre Publikation als "Magazin für Vergessenes und Verborgenes". Ist bereits eine Fortsetzung geplant?
In meinem Notizbuch finden sich Ideen für etwa 20 weitere Geschichten. Aber ich warte jetzt mal ab, wie sich das Interesse am Hafenkran-"Polarstern" entwickelt und ob sich ein Weg findet, die Publikation kostendeckend und selbsttragend zu finanzieren.

Interview: Matthias Ackeret/Bild: Keystone


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