11.08.2014

SRF

"Wir haben fantastische Zahlen!"

"Das grosse Gähnen" titelte am Montag der "Blick" auf der Frontseite. Bei "Anno 1914", dem aufwendigen Sommerformat von "Schweiz aktuell", seien Dilettanten am Werk und SRF würde die Zuschauer für dumm verkaufen, wettert das Boulevardblatt gnadenlos. Die "NZZ am Sonntag" urteilte ähnlich: zu banal und wenig Infos, also "Schulfernsehen, nur braver". Schmerzt solch geballte Kritik? Daniel Pünter, Redaktionsleiter von "Schweiz aktuell", versteht die Aufregung nicht. Er ist hoch zufrieden mit den Zuschauerzahlen, wie er im Interview mit persoenlich.com erklärt. Für die weiteren Folgen verspricht er zwar keine Romanze oder Tellerwäscher-Story, aber zumindest etwas mehr Dramatik.
SRF: "Wir haben fantastische Zahlen!"

Herr Pünter, seit letzter Woche sendet "Schweiz aktuell" das Histotainment-Format "Anno 1914" aus dem Zürcher Tösstal. Die Sendungsreihe besticht vor allem durch aufwendige und sorgfältig ausgesuchte Requisiten und Kleider. Welches Möbel- oder Accessoire-Stück hätten Sie gerne in die heutige Zeit, in Ihren Alltag, gerettet?
Bestimmt keine Webmaschine (lacht). Aber den Kronleuchter hätte ich gerne! Mit seinem glamourösen Touch würde er gut in mein Wohnzimmer passen.

Und wie wär’s mit dem Karl-Marx-Bild aus dem Fabrikantenhaus, dessen Verwendung "Tages-Anzeiger" und "Blick" kritisiert haben (vgl. Abb. unten)?
Da muss ich die Zeitungen korrigieren. Das Bild, das der "Blick" am Montag abgedruckt hatte, stammt aus einem Vorschau-Beitrag etwa zwei Wochen vor Projektstart, worin die Fabrikantenvilla während des Umbaus zu sehen war. Während der regulären Produktion hing das Marx-Bild nicht in der Fabrikantenvilla, – wir haben es wie andere anachronistische Dinge aus der Villa entfernt.

Sie haben also nach den Vorschau-Filmen für die Hauptproduktion noch etliche Veränderungen vorgenommen?
Ja, wir haben Steckdosen und Leitungen abgedeckt, soweit dies möglich war. Auch Teppiche wurden entfernt. Gerne hätten wir auch den elektrischen Herd aus der Küche der Fabrikantenvilla verbannt, weil dieser 1914 dort noch nicht existierte. Doch dies war zu aufwändig.

Wie zufrieden sind Sie mit der Zuschauer-Resonanz? "Blick" schreibt von "minus 100'000 Zuschauer innert vier Folgen".
Hier verstehe ich den "Blick" nicht so ganz, denn wir haben fantastische Zahlen! Der Wochendurchschnitt liegt bei knapp 49 Prozent Marktanteil, d.h. jede zweite Person, die um 19 Uhr TV schaut, entscheidet sich für unsere Sendung. Das sind zehn Prozent mehr als "Schweiz aktuell" in normalen Wochen aufweist, wo wir 38 bis 39 Prozent erreichen. 49 Prozent sind für SRF, für das "Schweiz aktuell"-Team und für mich persönlich eine Traumquote. Dass es bei der Anzahl Zuschauer Schwankungen gibt, ist gerade im Sommer völlig normal. Schönes Wetter bedeutet automatisch, dass insgesamt weniger Leute TV schauen und den Sommerabend im Freien geniessen. So gab es auch bei vergangenen Sommerprojekten von "Schweiz aktuell" stets Schwankungen bei den Zuschauerzahlen.

Kritisiert wird aber auch der spärliche Informationsgehalt. Die Sendungen seien "zu banal", schreibt etwa die "NZZ am Sonntag".
Wenn ein Autor unser Format langweilig und zu simpel findet, dann muss ich dies stehen lassen. Wir finden unsere eigene Sendung natürlich nicht langweilig. Der Alltag, auf den wir uns bewusst fixiert haben, ist halt an und für sich nie sehr ereignisreich. In Sachen Action kann man einfach nicht so viel erwarten, wie wenn beispielsweise der Krieg zwischen Deutschland und Belgien dargestellt würde. Zur Kritik an den Schauspielern möchte ich sagen: Sie hatten eine schwierige Aufgabe und haben sie gut gelöst. Nur mit Text und Drehbuch ausgestattet, mussten Sie agieren, denn wir wollten ja filmisch festhalten, wie jemand spontan reagiert, wenn etwa den Arbeitern willkürlich ihr Lohn gekürzt wird.

Und warum erlauben Sie den Laienschauspielern Abba-Hits zu summen und moderne Wörter wie "cool" zu gebrauchen?
Die gecasteten Leute hatten nie die Vorgabe, wie vor 100 Jahren zu sprechen. Sie spielen keine Rollen, sondern erleben als sie selber mit dem heutigen Wissen, was es bedeutete, 1914 zu leben und zu arbeiten. Dies entspricht auch der Perspektive der Zuschauer.

Alltag zeigen und gleichzeitig Spannung erzeugen, scheint schwierig. Haben Sie nicht trotzdem irgendeinen Storytelling-Kniff angewandt, also eine Romanze eingebaut oder vielleicht eine Tellerwäscherkarriere?
Logisch, haben wir (lacht)! Nein, im Ernst: Im Rahmen dessen, was historisch korrekt ist, haben wir versucht, Spannung zu erzeugen. In den ersten vier Folgen mussten wir die beiden Milieus einführen und erstmals ein Exposé machen. Die Gegensätze zwischen Fabrikanten und Arbeitern mit den entsprechenden Konflikten spitzen sich in der zweiten und dritten Woche zu.

Es wird also dramatischer in den nächsten Folgen.
Ja, Dramatik kommt dann noch – warten Sie nur. Der Arbeiterkampf, der im Landesstreik gipfelte, wird ein Thema sein. Dazu wird ein spannender Gast einen Auftritt haben: Cedric Wermut wird die Arbeiterschaft mobilisieren.

Zum finanziellen Aufwand werden Sie wohl keine Angaben machen, wie bei SRF üblich.
Genau, dazu kann ich nichts Konkretes sagen. Aufwand und Ertrag stehen meiner Meinung nach aber in einem ausgeglichenen Verhältnis.

Nun noch eine Frage zu Ihrer Person: Sie haben "Glanz und Gloria" erfunden und davor sozusagen die Miss-Schweiz-Wahl ins Fernsehen gebracht...
... Moment: Die Formulierung "ins Fernsehen gebracht" muss präzisiert werden. Ich war frisch bei Tele Züri, als vor bald zwanzig Jahren Stephanie Berger und ein Jahr darauf Melanie Winiger Miss Schweiz wurden. Weil ich immer wieder gute Storys liefern musste, schlug ich anlässlich einer Redaktionssitzung vor, über die Miss-Schweiz-Wahl, die damals noch ohne grosse Fernsehshow stattfand, zu berichten. Dieser Bericht und weitere kamen gut an und so wurde ich per Zufall immer mehr zum eigentlichen "Spezialisten" für Miss-Schweiz-Wahlen. Ich hatte mit den Wahlen an sich nichts zu tun, sondern einfach beim Privatfernsehen die Berichterstattung darüber forciert.

Seit 2009 sind Sie bei "Schweiz aktuell" – also schon fast fünf Jahre. Ist bald Zeit für etwas Neues?
Das ist eine fiese Frage. Nun, mir gefällt es ausserordentlich bei "Schweiz aktuell". Ich mache mir jetzt schon Gedanken darüber, was wir als nächstes Sommerprojekt machen und gleichzeitig beschäftige ich mich täglich damit, wie "Schweiz aktuell" abbilden kann, wie das Land im Kleinen, im Regionalen tickt. Doch ich muss auch sagen: Diesen Job macht man nicht 15 oder 20 Jahre. Daher ist meine Halbwertszeit überschritten, ich bin jedoch nicht auf Jobsuche. Sollten Sie in drei Jahren nochmals ein Interview mit mir machen und ich bin dann immer noch Redaktionsleiter von "Schweiz aktuell“, dann können Sie mich ja daran erinnern, dass ich mich nach einem neuen Job umsehen sollte.

Interview: Edith Hollenstein, Porträtbild: SRF/Oscar Alessio

 



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