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Best-Note für die Schaffhauser Polizei

Marcus Knill

Es lag in der Luft: Der ungewöhnliche Kettensägeangriff eines Sonderlings, der wochenlang im Wald gelebt hatte und es auf Mitarbeiter einer Versicherung in der Altstadt in Schaffhausen abgesehen hatte, hatte alle Voraussetzungen für einen Medienhype. Diese ungewöhnliche Geschichte schaffte es denn auch auf die Frontseiten der internationalen Medien.

Mich interessierte bei diesem Fall vor allem die Krisenkommunikation der Schaffhauser Polizei. Nicht nur deshalb, weil der mutmassliche Täter unweit unseres Hauses wochenlang gewohnt hatte. Das Verhalten bei Überraschungen und Krisen vor Mikrofon und Kamera verfolge ich seit Jahren. Denn bei der Ausbildung von Führungspersönlichkeiten in Stresssituationen sind Beispiele aus der Praxis hilfreich, um bewusst zu machen, dass bei überraschenden Vorkommnissen immer wieder die gleichen Fehler gemacht werden: 

- die Krisenkommunikation findet nicht statt

- es wird nicht mit einer Stimme gesprochen

- Fakten werden unter den Teppich gekehrt

- es wird beschönigt

 Bildschirmfoto 2017-07-27 um 10.17.57

In Schaffhausen stand Mediensprecherin Cindy Beer im Fokus. Bei alle jenen Auftritten, die ich verfolgt habe, darf gesagt werden: Sie hat die Sache sehr gut gemacht. Ich zitiere als Beispiel ihre Antworten vom 25. Juli 2017: 

SRF: Sie suchen seit gestern nach dem mutmasslichen Täter der Kettensägen-Attacke. Wie sieht die aktuelle Lage aus?

Cindy Beer: Der Täter ist nach wie vor flüchtig. Wir suchen ihn mit einem Grossaufgebot, auch mit Unterstützung von anderen Kantonspolizeien und unseren deutschen Kollegen. Es sind uniformierte und zivile Polizisten sowie auch Diensthunde im Einsatz. Zudem haben wir eine Sonderkommission eingesetzt.

 

SRF: Warum gestaltet sich die Suche so schwierig?

Beer: Ein Problem ist, dass wir keine Hinweise haben, in welche Richtung der Mann das Bürogebäude gestern verlassen hat. Wir müssen nun einen einzelnen Mann in einem grösseren Gebiet suchen, ein Mann, der sich gut in den Wäldern auskennt.

 

SRF: Welche Empfehlungen geben Sie der Bevölkerung ab?

Beer: Wir gehen nach wie vor davon aus, dass der Täter bewaffnet ist. Es ist ein Mann, der mit einer Motorsäge auf Leute losgegangen ist. Wir stufen ihn als sehr gefährlich ein. Dementsprechend bitten wir die Bevölkerung, sich nicht in die Nähe dieser Person zu begeben, falls sie gesehen wird, sondern sofort die Polizei zu alarmieren.

 


Dazu kann ich folgendes sagen: Die junge Mediensprecherin spricht ruhig und bedacht. Bei allen Auftritten ist sie voll konzentriert. Cindy Beer versteht es zudem, die Schwierigkeit bei der Fahndung verständlich und adressatengerecht zu begründen.

Es ist nicht selbstverständlich, dass die Mediensprecherin in einer derart schwierigen Situation, ständig folgende wichtigen Grundregeln der Krisenkommunikation konsequent beachtet:

- Sie beschreibt jeweils nur die Fakten des jeweiligen Kenntnisstandes. 

- Sie lässt sich nie auf Hypothesen und Vermutungen ein.

- Die Antworten sind vorbildlich kurz. Es fehlen bei ihr die üblichen gestelzten Formulierungen von Beamten. 

- Suggestivfragen aufdringlicher Journalisten haben bei ihr keinen Erfolg.

 

Ich gehe davon aus, dass die Pressesprecherin prozessorientiert trainiert worden war. Aus meiner Erfahrung kann ein Medienmarathon dieser Art kaum jemand so gut bewältigen, wenn sie oder er dies nur theoretisch gelernt hat.

Bei allen Auftritten, die ich beobachtet habe und auch bei den Interviews am zweiten Tag, wirkte Cindy Beer sehr konzentriert, glaubwürdig, zwar etwas angespannt (aber dies entspricht der gegebenen Situation).

Jemand beanstandete zwar, die Pressesprecherin sei bei ihren Auftritten zu wenig locker. Ich gab dem Kritiker zu Bedenken: Wer in so einer Situation locker vom Hocker über ernsthafte Sachverhalte – wie bei einem Smalltalk – plaudert, wäre nicht glaubwürdig. 

Etwas ist mir noch aufgefallen: Am Anfang wurden die Einsätze der Polizei als etwas chaotisch bezeichnet. Ich zitiere eine Frau, die vor Ort interviewt wurde:

«Zuerst schrie ein Polizist, alle Personen raus auf die Strasse. Wenig später sollten dann alle wieder in die Gebäude hinein.»

Im Nachhinein ist jedoch dieses «Chaos» nachvollziehbar: Die Polizei musste sich zuerst einen Überblick verschaffen und eine Lagebeurteilung vornehmen. So mussten in angrenzenden Liegenschaften Leute angewiesen werden, das Gebäude unter Polizeischutz zu verlassen. In einer späteren Phase wurden dann Personen aufgefordert, zu ihrer Sicherheit im Gebäude zu bleiben.

Was bei allen Verlautbarungen der Polizei positiv aufgefallen ist:

Widersprüche oder Falschinformationen sind umgehend korrigiert worden. Zuerst hiess es, es gebe zwei Schwerverletzte. Später wurde dies sofort richtiggestellt. Nur ein Schwerverletzter sei im Spital eingeliefert worden. Auch die Meldung, der Täter habe eine Glatze, wurde rasch korrigiert. Die Präzisierung «Er trägt nur eine Stirnglatze» war nämlich für die Auffindung des mutmasslichen Täters wichtig.

Zum Schluss darf gesagt werden: Die Krisenkommunikation der Schaffhauser Polizei darf als vorbildlich bezeichnet werden.

Das zeigt sich auch darin, dass Fehler nicht vertuscht worden sind. Als nach der Arretierung eines möglichen Täters, dieser unschuldige Mann ins Spital gebracht werden musste, weil er über Schmerzen klagte, entschuldigte sich die Polizei bei diesem Mann und steht mit ihm noch weiterhin in Kontakt.

Das gehört auch zur Krisenkommunikation: Fehler müssen ohne Wenn und Aber zugegeben werden, ganz nach dem Grundsatz: Journalisten dürfen nie angelogen werden. Situationsgerecht zu kommunizieren – proaktiv, konstant aber angemessen – ist alles andere als einfach. 

Marcus Knill ist Experte für Medienrhetorik und Autor der virtuellen Navigationsplattform für Kommunikation und Medien www.rhetorik.ch.

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