14.03.2024

K-Tipp

Gummistiefel, Giesskanne, Gratisartikel

Das Konsumentenmagazin stellt seine Beiträge zu AHV, Pensions- und Krankenkassen neu gratis online. Werbung dafür macht der Verlag auf TikTok und Instagram, wo er bereits mehrere virale Hits landen konnte.
K-Tipp: Gummistiefel, Giesskanne, Gratisartikel
Peter Salvisberg bei den Dreharbeiten für ein TikTok-Video. (Bild: Nick Lüthi)

Wenn Peter Salvisberg am Bahnhof Bern auf dem Perron steht und auf den Zug wartet, sieht er aus wie alle anderen Geschäftsreisenden. Doch in seinem Rollkoffer befinden sich keine frisch gebügelten Hemden oder Akten, sondern Gummistiefel und eine Giesskanne als Requisiten für einen anstehenden Videodreh. Dazu macht sich das Geschäftsleitungsmitglied des K-Tipp-Verlags an diesem kalten Märznachmittag auf den Weg nach Zürich. Ziel ist eine Dachterrasse im Kreis vier.

Chefredaktor, Marketingleiter, Cheflobbyist, Videostar

Die Location hat Dominik Müller bei einer befreundeten WG organisiert. Seit Herbst 2023 arbeitet der 27-Jährige als Audience Development Manager für den K-Tipp. Er macht also Marketing für das Medienunternehmen, wie zuvor schon für das Onlinemagazin Republik. Diese Aufgabe brachte Müller mit Salvisberg zusammen, der seit 2004 im Verlag des Konsumentenmagazins arbeitet, anfänglich als Chefredaktor des Radiomagazins (des heutigen Kulturtipp), später als Marketingleiter des K-Tipp und auch als Cheflobbyist und «Aussenminister». Schliesslich mischt sich der Verlag immer wieder in die politische Debatte ein, hat schon ein Referendum (erfolgreich) und eine Initiative (erfolglos) zur Abstimmung gebracht.

Und nun, im Jahr vor seinem 65. Geburtstag und der Pensionierung, avancierte er zum Gesicht des K-Tipp auf Social Media. Eigentlich hatte er nur den Auftrag erhalten, eine Strategie zu erarbeiten. «Ich habe ihn dann überzeugt, vor der Kamera zu stehen, weil ich in ihm als alten Radiohasen das Potenzial sah», sagt Dominik Müller im Gespräch mit persoenlich.com. Seit einem halben Jahr produziert das Duo Videos für Instagram und TikTok mit Salvisberg als Hauptdarsteller und Müller hinter der iPhone-Kamera. Zusammen haben sie seit Oktober 2023 rund ein Dutzend Clips produziert.

Quotenrenner «On»-Recherche

Zu einem Quotenrenner entwickelte sich ihr Video zur Recherche der K-Tipp-Redaktion zu den Produktionskosten der «On»-Turnschuhe. Salvisberg kleidete sich in Tennis-weiss und hantierte mit einem historischen Racket, während er die Eckpunkte der Recherche referierte. Im Hinter- und Vordergrund hat Müller Text-, Grafik-, Bild- und Videoelemente eingebaut, sodass das für TikTok und Instagram typische Multimediageflacker entsteht. Weit über 300’000 Mal wurde dieses Video angeschaut. Damit spielte der K-Tipp, zumindest in diesem einen Fall, in der Influencer-Liga. Auf Instagram bewegen sich die Zuschauerzahlen immer im fünfstelligen Bereich. Gut angekommen ist dort neben dem «On»-Beitrag auch eine Kritik an gesponserten Artikeln im Blick; Medienkritik zieht immer.

@ktipp_redaktion Hey #roger ♬ original sound - K-Tipp

Warum ein Verlag, der vor allem gedruckte Medien vertreibt, nun auch auf Social Media setzt, liegt auf der Hand. «Besonders jüngere Generationen sind videoaffin und damit gut zu erreichen», sagt Peter Salvisberg. Der K-Tipp verstärke damit seine Markenpräsenz bei der jungen Zielgruppe – nicht zuletzt mit dem Ziel, seine Dienstleistungen wie Abos, Rechtsberatung, Dossiers und Services besser zu verkaufen. Dafür braucht es manchmal den Umweg über ein kostenloses Anfix-Angebot.

Ein solches ist die neue Plattform giesskanne.ch. Das negativ behaftete Symbol für flächendeckende Subventionierung («Giesskannenprinzip») soll hier positiv umgedeutet werden. Unter der entsprechenden Webadresse bietet das Konsumentenmagazin seine Berichterstattung rund um AHV sowie Pensions- und Krankenkassen einzig gegen eine Registrierung via E-Mail an. Auf der Dachterrasse soll nun der Werbespot dafür entstehen.

Update 4.4.: ein paar Tage nach Start der Aktion  giesskanne.ch hat sie der Verleger des K-Tipp sistiert. Seither ist die Site nicht mehr online. Weitere Berichterstattung zu gegebener Zeit hier auf persoenlich.com.

Bisher gab es vom K-Tipp nichts gratis im Netz

Dass der K-Tipp aktiv ein Gratisangebot bewirbt, wäre vor noch nicht allzu langer Zeit nicht vorstellbar gewesen, galt doch die Devise: Wir verschenken nichts. Dass man jetzt, zumindest punktuell, davon abkommt, erklärt Salvisberg mit der Abstimmung über eine 13. AHV-Rente und der Berichterstattung im Vorfeld, die mehrheitlich vor diesem Ausbau der Altersvorsorge warnte. «Es stehen weitere wichtige Abstimmungen an, die Konsumentinnen und Konsumenten stark betreffen, etwa Initiativen im Gesundheitswesen, vor allem aber das Referendum zu den Pensionskassen», sagt Salvisberg. Deshalb wolle der K-Tipp mit den Gratisartikeln auf giesskanne.ch einem breiteren Publikum die Chance zu einer fairen Meinungsbildung geben. Auf ktipp.ch bleibe aber der Grossteil der Inhalte hinter der Bezahlschranke.

Auf der Dachterrasse nimmt der Videodreh seinen Lauf. Salvisberg trägt inzwischen die Gummistiefel, die er aus seinem Requisitenkoffer hervorgeholt hat. Das Gesicht ziert eine Plastikbrille mit Pappnase und Schnäuzchen. In der Hand hält er die Giesskanne und wässert das bunte Gewächs in einem eigens für den Dreh gekauften Blumenkistli. Am Revers seiner Jacke ist ein Mikrofon befestigt. Als sich Dominik Müller nähert und auf den giessenden Salvisberg draufhält, sagt dieser in die Kamera: «Kriegen Osterhasen eigentlich auch eine 13. AHV-Rente?» So geht das zigmal mit verschiedenen Kameraeinstellungen, bis es sitzt. Ohne die alberne Gesichtsverkleidung, aber immer noch mit Giesskanne spricht Salvisberg dann noch den Promotext für giesskanne.ch in die Kamera. Dann ist Schluss auf der Dachterrasse. Für die weiteren Schritte der Videoproduktion macht sich das Duo auf den Weg in die Redaktion.

Peter Salvisberg steht beim K-Tipp das erste Mal in seiner langen Karriere vor der Kamera. Beim «Kassensturz» des Schweizer Fernsehens, wo er als Produzent tätig war, hätte er zwar die Kamerazulassung gehabt, aber er bevorzugte es, im Hintergrund tätig zu bleiben. Dank Social Media und gegen Ende des Berufslebens ist er auf den Geschmack gekommen. Auch wenn er Ende September pensioniert wird, möchte er weitermachen. Kreativität kennt schliesslich keine Altersgrenze und seine K-Tipp-Videos sind die besten Bewerbungsunterlagen, wenn er «im Bereich der Radio- und TV- Werbung oder mit Hörbüchern noch etwas Kreatives machen» möchte, wie er sagt.

K-Tipp als «Freundin und Helfer» positionieren

Salvisberg geht, Müller bleibt und wird mit einem neuen Anchor Videos produzieren. Den Stoff dafür liefern die Themen, welche die Redaktion bearbeitet. Bei der Strategie gehe es darum, «unserer Rolle als Konsumentenschutzorganisation im digitalen Raum mit entsprechender Präsenz gerecht zu werden», formuliert es Müller. Auf lange Frist erhoffe man sich davon, «dass Leute, die im digitalen Raum unterwegs sind, den K-Tipp als Freundin und Helfer wahrnehmen und mit der Zeit mehr und mehr dazu bereit sind, für die exklusiven Bereiche unseres Services zu bezahlen.» Daran kann Müller nun die nächsten 38 Jahre arbeiten, wenn er auch bis zur Pensionierung beim K-Tipp bleibt.


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