09.05.2013

Abt Werlen

"Twittern und Beten haben sehr vieles gemeinsam"

Seine Begeisterung für Twitter hat Abt Martin Werlen über die Kirche hinaus zu einem der berühmtesten Kirchenmänner der Schweiz gemacht. Nun tritt er per Ende Jahr zurück. Wird @AbtMartin trotzdem weiter twittern? Persoenlich.com hat den Würdenträger am Mittwoch im Kloster Einsiedeln getroffen, um mehr zu erfahren über sein Twitter-Erfolgsgeheimnis und die "Twitter-Predigt", die er an Auffahrt hielt. Im Interview spricht Abt Martin zudem über Auto-Stop, Twitter-Sünden und geeignete Kommunikationsinstrumente für Papst Franziskus.
Abt Werlen: "Twittern und Beten haben sehr vieles gemeinsam"

Wie spricht man einen Abt an? Mit "Hochwürden"?
(lacht)... Nein nein, einfach mit "Abt" und dem Vornamen.

Also, Abt Martin, auf Twitter werden Sie ja sogar geduzt. War das gewöhnungsbedürftig?
Nein. Das gehört zu Twitter und hilft mir, möglichst nahe bei den Menschen sein und hören, was diese zu sagen haben. Es ist eine wirklich tolle Erfahrung, wie man über Twitter miteinander kommunizieren kann und wie ich auf diese Art meine Erfahrungen teilen kann. Es ist schön zu sehen, dass diese Nähe auch geschätzt und gesucht wird. Das Echo ist enorm. Viele, denen ich auf Twitter begegne, sind Suchende wie ich und sie schätzen es, wenn ich auf sie zugehe und mit ihnen auf dem Weg bin.

Sie twittern nun schon seit vier Jahren, mittlerweile haben Sie über 7'900 Follower. Warum haben Sie eigentlich damit angefangen?
Das hatte verschiedene Gründe. Kommunikation war für mich immer schon etwas sehr Wesentliches. Ich habe mich mit diesem Thema seit jeher beschäftigt und möchte gut kommunizieren. Die verschiedenen neuen Möglichkeiten der Kommunikation interessieren mich.

Per ersten Januar 2009 erhielt ich dann von der Bischofskonferenz die Verantwortung für die Kommission für Kommunikation und Medien.

Kurz darauf kam eine Anfrage vom Schweizer Fernsehen, das für "10 vor 10" einen Beitrag über Twitter plante. Ich hatte damals noch keine Ahnung von Twitter. Jedoch wollte ich es lernen. Jemand, der das Tool neu entdecken wollte - das war genau, was die TV-Redaktoren suchten.

Kostete es Sie Überwindung, den ersten Tweet zu verschicken? Schliesslich exponiert man sich ja.
Nein. Wenn ich etwas zu sagen habe, bin ich daran interessiert, dass es auch wahrgenommen wird. Ich veranstalte ja auch keine Medienkonferenz in der Hoffnung, dass niemand kommt. Bei Twitter war dies ähnlich: Ich hoffte, dass ich so an Menschen gelange, die ich sonst eher weniger erreiche.

Was sind das für Menschen?
Vor allem 20- bis 40-Jährige. Das ist diejenige Gruppe, die in der Kirche am meisten fehlt. Es gibt viele suchende Menschen auf Twitter. Ich habe festgestellt, dass Twitterer meist Personen sind, die das Gespräch suchen. Sie sind bereit zuzuhören, haben Humor und besitzen die Fähigkeit, Dinge auf den Punkt zu bringen.  Das sind alles Eigenschaften, die mir sehr entgegenkommen und mir Freude bereiten.

Eine Predigt ist nicht unbedingt das, was die Leute als kurzweilig und humorvoll bezeichnen würden...
Wenn ich während einer Predigt merke, dass die Leute nicht mehr zuhören, schliesse ich sie ab. Eine Predigt muss leben. Man merkt gleich zu Beginn, ob man die Leute erreicht oder nicht.

Morgen beim Donnerstagsgebet halten Sie eine Predigt zum Thema Twitter. Können Sie uns schon vorab etwas aus dem Inhalt verraten?
Nein, ich verrate nichts (lacht). Aber ich gestalte meine Predigten immer nach einem ähnlichen Grundsatz: Ich will mit dem Ohr am Herzen Gottes und der Hand am Puls der Zeit sein. Diese Brücke möchte ich schlagen. Deshalb könnte ich auch keine Predigt für übernächsten Sonntag vorbereiten. Ich nehme immer aktuelle Geschehnisse auf. So wird auch die Twitter-Predigt von morgen aktuell sein, das macht es ja auch spannend. Die Leute bringen Themen mit, die sie beschäftigen, die sie in den Medien gelesen haben. Ich versuche so aus unserem Glauben heraus, Impulse zu Themen zu geben, mit denen sich die Leute befassen. Mir ist es wichtig, nicht an Ihnen vorbei zu reden.

Was hat Sie beim Twittern am meisten überrascht?
Der respektvolle Umgangston.

Gibt es einen Tweet, den Sie nie vergessen werden?
Viele. Ich werde morgen in der Predigt einige Beispiele präsentieren. Es ist unglaublich, wie ich beschenkt worden bin, dank Twitter. Indem ich selbst vielen Personen folge, entdecke ich viel Inspirierendes und sammle wertvolle Impulse.

Beim Durchlesen Ihrer Tweets fällt auf, dass Sie oft im Zug sitzen – fahren Sie gerne Zug?
Ich bin immer mit dem Zug unterwegs. Oder ich mache Autostop.

Was reizt Sie am Zugfahren... oder Autostoppen?
Die unerwartete und ungeplante Begegnung mit Menschen und Situationen. Eines meiner Bahngleichnisse auf Twitter heisst: "Wer im Auto unterwegs ist, bleibt in seinen eigenen vier Wänden; wer im Zug reist, begegnet der ganzen Welt."

Was ist eine Twitter-Sünde?
Das habe ich mir noch nie überlegt. Einfach alles, was auch sonst Sünde ist: Lieblosigkeit, Respektlosigkeit, Verlogenheit, usw.

Der "Tages-Anzeiger“ bezeichnete Sie als "modernen Kommunikator der Kirche“. Nimmt sich die Kirche ein Vorbild an Männern wie Ihnen und kommuniziert ebenfalls immer moderner?
Mit der Kirche ist es wie bei allen grossen Organisationen: Es braucht eine gewisse Zeit, bis eine neue Kultur wirklich angekommen ist. Ich denke, der Anfang ist gemacht. Wir werden zu einer Art von Kommunikation geführt, die unserem Wesen eigentlich sehr entspricht. Gott spricht nicht von oben herab zu den Menschen, sondern ist Mensch geworden, um mit ihnen auf dem Weg zu sein, mit ihnen zu sprechen und ihnen zuzuhören.

Die Kommunikation mit nur wenigen Worten ist uns ebenfalls nicht fremd. Bis zum Buchdruck funktionierte die Kirche genau so: Die Inschriften in unseren alten Kirchen zum Beispiel haben sehr gut Platz in einem Tweet – und ein Bild wird mitgeliefert…

Sie befürworten sicher, dass auch Papst Benedikt kurz vor seinem Rücktritt und nun auch Papst Franziskus einen Twitter-Account besitzen?
Als es damals in einer Sitzung in Rom um die Frage ging, ob der Papst twittern soll oder nicht, war ich eher ablehnend.

Ablehnend?
Twitter ist ein Social-Media-Tool. Das bedeutet, dass es ums Zuhören und Mitteilen geht. Bis jetzt nutzt der Papst Twitter nur in einer Richtung sprich als Einweg-Kommunikation. Er hat zwar sehr viele Follower, folgt gleichzeitig aber nur sich selbst. Er folgt sich selber auf Lateinisch, auf Italienisch, auf Spanisch und so weiter. Das ist nicht Social Media! Klar ist es schwierig für einen Papst auszuwählen, wem er nun folgen soll. Ich habe gerade letzte Woche mit einem Kommunikationsverantwortlichen im Vatikan über diese Frage diskutiert. Ich bin überzeugt, dass es einen Weg zu einer besseren Form gibt.

Wie entscheiden denn Sie, wem Sie auf Twitter folgen?
Meine Auswahl ist zugegebenermassen nicht sehr systematisch. Manchmal fällt mir ein interessanter Tweet einer meiner Follower auf, dann folge ich diesem. Ich folge aber ganz bewusst nicht nur Menschen einer bestimmten Richtung. Ich folge solchen, die mit der Kirche verbunden sind, anderen, die mit der Kirche nichts anfangen können und Menschen aus ganz verschiedenen Parteien. Es ist mir wichtig, dass ich mitten auf dem Marktplatz der heutigen Zeit bin.

Kommunizieren Sie auch mit anderen Geistlichen über Twitter?
Nur sehr vereinzelt.

Aber Sie folgen dem Papst?
Nein. Ich lese täglich seine Tweets, bin aber kein Follower. Ich finde es nicht gut, wenn man ein Instrument nicht in der Weise nutzt, wie es gedacht ist.

Praktisch wäre ja, wenn man direkt mit Gott twittern könnte.
Das kann man doch! Twittern bedeutet ja "zwitschern“, sprich einfach das auszudrücken, was man auf dem Herzen hat. Ein Gebet ist eigentlich nichts anderes. Eine Kurzform des Gebetes ist das Stossgebet, sozusagen ein Tweet an Gott. Beim Twittern sagt man etwas, vielleicht hat es jemand gesehen, vielleicht nicht, vielleicht antwortet jemand, vielleicht nicht, manchmal kommt sofort eine Rückmeldung, manchmal erst ein halbes Jahr später. Twittern und Beten haben sehr vieles gemeinsam.

Sie haben mittlerweile fast 8'000 Follower. Haben Sie denn überhaupt genug Zeit, Ihren Account und die Nachrichten persönlich zu pflegen?
Twitter macht keinen Druck. "Direct Messages“ beantworte ich wenn immer möglich. Bei anderen Tweets reagiere ich spontan. Für Twitter setze ich nicht viel Zeit ein, pro Tag vielleicht drei bis vier Minuten.

Sie haben seit zwölf Jahren eine persönliche Medienberaterin. Warum eigentlich?
Wenn ich etwas sagen will, ist es mir ein Anliegen, dass dies auch ankommt. Dabei brauche ich professionelle Beratung. Ich schreibe alle Referate und Artikel selbst. Aber ich bin angewiesen auf kritische Einwände und sogar Zurechtweisungen – eine Stimme von aussen.

Ihren Rücktritt nach 12 Amtsjahren per Ende Jahr haben Sie mit den Worten "Good News" per Twitter verkündet. Warum ist ihr Rücktritt eine gute Neuigkeit?
Für mich ist es ein sehr guter Moment. Ich freue mich, mein Amt zu einem Zeitpunkt abgeben zu dürfen, in dem es die meisten noch bedauern. Nun sind andere gefordert. Das bringt neue Impulse und Bewegung. Das war mir immer ein Anliegen.

Twittern Sie auch als "gewöhnlicher“ Bruder weiter?
Das weiss ich noch nicht.

Kurz nach Ihrem Rücktritt, ist auch Papst Benedikt zurückgetreten. Waren Sie überrascht?
Ja ich war sehr beeindruckt. Seine Begründung, dass er nicht mehr genügend Kraft habe, um all die Herausforderungen zu meistern, zeugt von wahrer Grösse.

Zum Schluss: Was ist Ihre Botschaft für unsere Leser, die vor allem in der Medien- und Kommunikationsbranche zuhause sind?
Was für Twitter gilt, käme eigentlich der ganzen schreibenden Zunft zugute: Die Sache auf den Punkt bringen, fair, respekt- und humorvoll sein und bei den Leserinnen und Lesern etwas zu bewegen. Ich selber versuche immer, alles was ich zu sagen habe, in einem Tweet zusammenzufassen. Denn was ich nicht in 140 Zeichen verständlich vermitteln kann, kann ich auch in einer Predigt oder einem Buch nicht gut erzählen.

Interview: Corinne Bauer


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