29.01.2018

TBWA\Worldwide

«Die Konsumenten sind bei Apple oder Netflix»

Troy Ruhanen führt TBWA\Worldwide, ein globales Agenturnetzwerk mit 11'300 Angestellten, seit 2014. Für das WEF war er in der Schweiz. Ein Gespräch über Diversity, die Auswirkungen der Politik unter Präsident Donald Trump und den Höhenflug des Video-Content.
TBWA\Worldwide: «Die Konsumenten sind bei Apple oder Netflix»
Interview und Frühstück in einem: Troy Ruhanen in einem Restaurant im Zürcher Seefeld. (Bilder: Edith Hollenstein)
von Edith Hollenstein

Herr Ruhanen, warum ist das WEF wichtig für Sie?
In Davos ist die Flughöhe anders. Man ist fast nur unter CEO’s, was sehr selten vorkommt. Die Gespräche sind viel informeller als bei anderen Anlässen. Man spricht lockerer über fundamentalere Themen – das macht den Event immer sehr produktiv. Für mich ist es das effektivste Speed-Dating, das man sich vorstellen kann (lacht).

Und wie war es dieses Jahr?
Es war ein sehr produktives Forum. Letztendlich ging es unter anderem darum, wie künstliche Intelligenz nicht zulasten der Menschheit weiter gefördert werden kann. Ermutigend ist, dass weiterhin viel in künstliche Intelligenz gesteckt wird, aber zugleich auch die Frage nach neu gebrauchten Fähigkeiten der Menschen bearbeitet wird. Es wurden zahlreiche Beispiele aufgeführt, wie bereits in früheren Revolutionen die Arbeitsweisen angepasst wurden, was nun auch wieder der Fall sein wird. Es wird viele neue Disziplinen geben, was für alle spannend ist, die zukunftsorientiert und in Transformation denken.

Was heisst das?
In allen Panels, in welchen ich sass, haben Industrieleaders die Zuhörer motiviert, ihre Unternehmen dahingehend zu pushen, zukunftsträchtige Technologien kreativ einzusetzen – insbesondere in Anbetracht der bestehenden Datenobsession. Zukünftige Generationen werden kreativer sein müssen und da wird Menschlichkeit wieder wichtiger werden.

Wie positiv ist es, dass Donald Trump mit dabei war?
Er ist der amerikanische Präsident und natürlich darf er hingehen, aber das bringt natürlich eine gewisse Unruhe.

Sie klingen nicht wahnsinnig begeistert.
Nun, es hat eh nicht viel Platz in Davos. Mit dem vielen Schnee und mit dem ganzen Sicherheitsaufwand. Donald Trump am WEF bedeutet eigentlich vor allem eins: Mehr Chaos.

TBWA\Worldwide will keine «Netzwerkagentur» mehr sein, sondern ein «global creative collective», wie sie sich selber nennen. Was ist da der Unterschied?
Die klassischen Agenturnetzwerke sind über Regionen organisiert. Wir glauben, dass die Welt nicht mehr so funktioniert.
Das heisst, dass wir uns viel offener in der Zusammenarbeit über unterschiedliche Disziplinen und Herkünfte bewegen. So haben wir zum Beispiel «open briefs» für unsere talentiertesten Leute, die basierend auf grundsätzlichen Fragen in Kultur und Gesellschaft, kreative Lösungen für Business-Probleme kreieren sollen. Manchmal bringen wir bis zu 18 Personen aus der ganzen Welt zusammen, um konkrete Probleme in Workshops oder Brainstormings zu lösen. Unser Ziel ist es, mit einer radikal offenen Kultur schnell und agil Lösungen zu finden. Silos sind von gestern. Anstelle, dass alles von New York aus gesteuert wird, holen wir nun die Welt nach New York.

Sie starteten 2014 als globaler CEO bei TBWA\. Was mussten Sie ändern?
Als einer der ersten Schritte habe ich die Regionenchefs aufgelöst. Es gibt keinen Head Europa mehr oder auch keinen mehr für Latein- oder Nordamerika. Zudem habe ich das sechsköpfige Managementteam aufgelöst in Absicht, eine breitere und multidisziplinäre Führungsstruktur zu schaffen. Denn es arbeitete zu isoliert, die Informationen flossen zu langsam. Nun rapportieren die wichtigen Märkte wie Deutschland, Frankreich oder Holland direkt an mich. Darüber hinaus arbeiten ähnlich tickende Märkte viel enger zusammen: Belgien und die Schweiz beispielsweise sind kulturell und unternehmerisch sehr ähnlich aufgestellt. Deshalb tauscht sich Schweiz-CEO Matthias Kiess mit den Kollegen aus Deutschland, der Türkei oder auch intensiv mit Brüssel aus.

Lokale Agenturen jammern darüber, dass sie immer weniger Arbeiten über ihr Netzwerk erhalten.
Ja, deshalb müssen sie sich viel stärker selber um Neukunden bemühen. Und es macht Sinn, wenn sie dazu mit ähnlich aufgestellten Agenturen in Austausch sind. 

Warum ist das eigentlich so?
Die Kunden wollen nicht mehr in so vielen Märkten präsent sein. Früher waren globale Kunden zum Teil in über 80 Märkten aktiv. Die Agenturen haben diese Strukturen gespiegelt, um lokal den Kunden bedienen zu können. Dank der modernen Technologien und neuen Bedürfnissen, ist dies heute schlichtwegs nicht mehr gefragt. So sind heute vielleicht nur noch sieben Hubs vorhanden, aus welchen die Kunden ihr Geschäft steuern. Dies erfordert von den Netzwerken und der einzelnen Agentur ein agiles und unternehmerisches Denken, um sich von der Multimarktstruktur zu lösen und neue Wege zu finden, Kunden zu bedienen.

Neben der agileren Struktur, was ist sonst noch oben auf Ihrer Agenda?
Wir versuchen, die jüngsten und begabtesten Leute vorwärts zu bringen, so rasch wie möglich. Auch wenn das früher anders lief und eher ältere Mitarbeiter befördert wurden: Nur so passiert Innovation.

Es gibt etablierte Strukturen, langjährige Mitarbeiter - 11'300 Angestellte in 98 Ländern. Platzieren Sie diese alle um?
Nein, aber gewisse Veränderungen sind nötig. Wir sind heute dank mehr Diversität und eines breiteren Pools an Talenten gestärkt. Dank dieser Basis haben wir auch die Möglichkeit, besseren Output zu generieren. Dennoch braucht es eine Vision und Entscheidungswille. Wir wollen die wahren Leader identifizieren. Aber es ist schwierig, Talente bei uns zu halten. Wir verlieren sie nicht unbedingt an direkte Konkurrenten wie Publicis oder WPP, sondern an Technologiefirmen. Wir müssen hier attraktiv bleiben und sowohl Ausbildung als auch Perspektiven bieten, um diese Leute zu halten.

Sie sprechen Diversity an. Wie wichtig ist Ihnen Frauenförderung bei TBWA\?
Ein wichtiger Wert für uns ist auch unser Frauenanteil. Diesen messen wir regelmässig und setzen ihn in Bezug zu unseren Zielen. Vor zweieinhalb Jahren haben wir uns mit dem Programm «take the lead: Project 2020» zum Ziel gesetzt, 20 Prozent mehr Frauen in zentralen Rollen ernannt zu haben. Derzeit sind bereits 12 Prozent erreicht, wovon 15 Prozent Wachstum auf C-Level. Und dies ausgehend von einer Basis von 36 Prozent in 2015. In wichtigen grossen Märkten, bei TBWA\New York, Auckland,  Istanbul, Melbourne, Moskau, London, Toronto, Shanghai oder Los Angeles, sind bereits Frauen an der Spitze. Im digitalen und kreativen Umfeld braucht es aber weitere Anstrengungen.

Warum dieser Effort?
Ich bin sicher, dass man keine erfolgreiche Firma sein kann, wenn man die Welt nur aus einer Männer-Perspektive betrachtet. Weibliche Führungsbeteiligung ist ein sehr wichtiges Thema in allen grossen Firmen, das können Sie mir glauben. Ich kenne das nicht nur von uns, sondern auch von unseren Kunden.

Ein anderes grosses Thema ist hier in der Schweiz die digitale Transformation. Wie hoch ist der Digital-Anteil beim US-Werbekuchen?
Uff, das kann ich nicht sagen. Denn alles ist mittlerweile digital. Sie machen Video und schalten das programmatisch als Targeted TV Ad. Ist das nun TV? Nein, das ist digital. So ist es auch bei Outdoor oder Radio – bei allem. Ich war gerade in Las Vegas an der CES, einer grossen Tech-/Consumer-Konferenz. Da hiess es, der Videoanteil sei letztes Jahr 59 Prozent gestiegen. Das ist richtig viel! Das zeigt doch, wo sich der Konsument bewegt. Hier kommt die Nachfrage her - die Kunden wollen Bewegtbild-Content. Überhaupt machen wir heute extrem viel Content. Gleichzeitig müssen wir diesen Content viel günstiger herstellen als früher.

Günstige, schnell produzierte Videos also. Auch für Apple oder McDonald’s?
Ja, auch Brands, die sehr hohe Standards haben für ihre Werbemittel wollen das. Wir müssen inhouse Kompetenzen und Ressourcen aufbauen, um diese Leistung im Markt erbringen zu können. Wir vereinfachen Prozesse und machen einfach weniger Meetings und entscheiden schneller – so sparen wir Kosten. In Holland haben wir eine Einheit (Vidiboko) hochgefahren, die für zahlreiche Kunden, wie den Retailer Albert Heijn Bewegtbild-Inhalte produziert. So wurde für den besagten Retailer ein Unterhaltungskanal (Anm. d. Red. Appie today) kreiert, welcher unterschiedlichste Inhalte abbildet. Die Albert Heijn Shows sind in den Niederlanden inzwischen zum Kult geworden.

Aber auch hier gibt es Probleme, Stichworte sind Brand Safety oder Ad Fraud etwa.
Natürlich ist Brand Safety ein grosses Thema momentan. Gleichzeitig machen Facebook und Google grosse Fortschritte diesbezüglich. Ich bin einer, der an diese Plattformen glaubt. Diese Firmen sind seriös und wollen die Nutzer nicht manipulieren, auch nicht die Werbekunden. Mit den Verbesserungen geht es in die richtige Richtung, aber ich war nie wirklich beunruhigt deswegen.

Sie raten den Kunden nicht zur Vorsicht.
Natürlich ist Brand Safety nicht zu 100 Prozent gegeben und auch Bot-Traffic kann vorkommen. Doch das Ausmass ist derart gering, dass es sich nicht lohnt, deswegen ganz auf diese Werbeumfelder zu verzichten. Denn bei Apple, Netflix, Google, Facebook – hier sind die Konsumenten.

Aus Ihrer Perspektive als globaler CEO: Wie wichtig ist die Schweiz?
Die Schweiz ist immer noch ein wichtiger Markt für uns, denn viele multinationale Unternehmen haben ihren Sitz hier. TBWA\Zürich macht kaum Adaptionen, sondern kreiert vor allem eigene Arbeiten. Und gute Arbeiten können schliesslich von überall herkommen – nicht nur aus den USA oder anderen grossen Märkten. Die besten Innovationen kommen nicht aus unserem Hauptsitz in New York. Unser Ansatz «Disruption Live», welcher laufend gesellschaftliche Trends aufnimmt die in tagesaktuelle, kreative Umsetzungen einfliessen, startete mit einem verlorenen Pitch in Hongkong. Darum interessiert mich jeweils bei meinen Besuchen in den Ländern, welche Innovationen kleine Märkte vorantreiben, darunter eben auch in der Schweiz.

Nochmals zu Trump: Wie wirkt sich seine Präsidentschaft auf die amerikanische Werbeindustrie aus?
Überhaupt nicht. Wir sind nicht tangiert, nirgends. Alle schauen vorwärts. Amerika ist in einem wirtschaftlichen Aufschwung, wie er selten zuvor stattgefunden hat. Was alles an Innovation auf uns zu kommt, in Technologie, Medizin, Gesundheit und Energie – ist unglaublich. Das wird wirklich ganz gross. Wenn wir politische Probleme oder die potentielle Gefahr von Krieg bei Seite lassen: Amerika steht vor einer unglaublich erfolgreichen Zukunft – genauso wie China.

Ihr Optimismus erstaunt, denn Trump erlässt Einreisebeschränkungen und Handelsschranken. Sie redeten vorher von Diversity und globaler Zusammenarbeit.
Natürlich will ich möglichst produktive, offene Rahmenbedingungen. Aber man muss schon sehen: Amerika hatte einschneidende Sicherheitsprobleme. Dazu kommen riesige Herausforderungen mit Drogen. Amerika kann dem nicht tatenlos zusehen. Das finde ich richtig.

 

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Troy Ruhanen ist seit 2014 Präsident und CEO des Werbeagentur-Netzwerks TBWA\ Worldwide, das zur Omnicom Group gehört.

Ruhanen vorher bei Omnicom als Executive Vice President tätig und zuständig für die agenturübergreifende Kooperation mit den grössten Kunden des Agenturnetzwerks. Zuvor war der gebürtige Australier Chairman und CEO der Region Amerika bei der zur Omnicom gehörenden BBDO.

Zu den grössten aktuellen Kunden von TBWA\ gehören Apple, Hilton, McDonald’s, Nissan und Adidas.



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