07.10.2016

Jean-Remy von Matt

Der Werber rechnet mit seiner Branche ab

Der 63-Jährige attestiert der Branche einen «gigantischen Selbstbetrug», kritisiert den grassierenden Jugendwahn und mahnt, man habe in den vergangenen Jahren die «Autorität verspielt».
Jean-Remy von Matt: Der Werber rechnet mit seiner Branche ab
Stellt sich seinen Abschied aus der eigenen Agentur «gar nicht» vor: Jean-Remy von Matt. (Bild: Ausschnitt Cover «Handelsblatt Magazin»)

Zum 25. Geburtstag seiner Agentur zieht Jean-Remy von Matt, Co-Gründer der Hamburger Agentur Jung von Matt, in der Freitags-Ausgabe des deutschen «Handelsblatt Magazins» Bilanz.

Seiner Branche stellt er kein gutes Zeugnis aus: Man habe in den vergangenen Jahren «Autorität verspielt», mahnt er. «Der Wettbewerbsdruck hat uns willfährig gemacht, so dass wir oft nicht mehr beraten, sondern nur noch liefern. Mein Idealbild war immer, dass wir Werber wie der Beifahrer eines Rallye-Piloten unseren Kunden ständig zurufen, wo es langgeht. Inzwischen sitzen wir oft nur noch quengelnd hinten im Kindersitz.» Das Fazit des 63-Jährigen: «Eigentlich sind wir genau dort gelandet, wo man uns schon vor 50 Jahren vermutet hat – als geheime Verführer.»

vonmatt


Zudem attestiert er seinen Kollegen «einen gigantischen Selbstbetrug», wenn es zum Beispiel um sogenannte virale Werbung geht, die sich nur noch durch die Konsumenten und die sozialen Netzwerke verbreiten soll: «Der Lockruf lautet: Reichweite ohne Mediakosten», höhnt von Matt. «Dafür werden massenhaft Virals produziert, die in Wirklichkeit keine sind, weil sie bei ein paar Tausend Abrufen liegen blieben, was natürlich in keinem Verhältnis zu den Produktionskosten steht.» Von Matt nennt es «die Gnade des Internets: Die Algorithmen machen Misserfolge unsichtbar.» Wir sähen immer nur die Handvoll Erfolge, aber nie das Massengrab der Flops.

30 Liegestützen

Auf die Frage des «Handelsblatt Magazins», ob er sich den Abschied aus der eigenen Agentur vorstelle, antwortet er: «Gar nicht.» Allerdings macht er sich schon Gedanken, ob er den Ausgang rechtzeitig findet. «Ich lese diese Der-Alte-konnte-nicht-loslassen-Storys mit grossem Respekt. Umso mehr bemühe ich mich, eine meinem Alter angemessene Rolle zu finden und der neuen Führung nicht im Weg zu stehen.» Und es nerve ihn, dass er sich dauernd für sein Alter rechtfertigen müsse: «Als mich zuletzt ein Branchenjournalist fragte, ob ich überhaupt noch fit genug bin für den Job, habe ich wortlos mit 30 Liegestützen geantwortet. Der Nächste, der fragt, kriegt 50.» (clm)


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KOMMENTARE

Peter Rettinghausen
10.10.2016 20:19 Uhr
Ich mache auch jeden Morgen 30 bis 50.
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