26.06.2002

"Die Frequenz garantiert noch keinen Impact"

Macht's in der Werbung die Masse, bringt's die Qualität? Axel Beckmann von Mediacom (rechts) und AY&R-Creative-Coach Hansjörg Zürcher debattieren über die Wirkung von Werbedruck und guten Ideen. Erschienen ist das Streitgespräch im publisuisse-Magazin IMPACT.
"Die Frequenz garantiert noch keinen Impact"

Alex Beckmann "Mit Masse ist ja wohl mein Job gemeint. Masse bedeutet nicht automatisch, dass ich die Leute einfach mit Werbung totschütte. Ich berechne vorher die Wirkung und versuche, nur so viel einzusetzen, dass ich zwar eine bestimmte Menge von Kontakten erziele, aber sicher nicht, dass ich die Konsumenten damit plage."

Hansjörg Zürcher: "Es stimmt schon, je banaler der Spot ist, desto mehr Frequenz braucht er, um wahrgenommen zu werden. Es funktioniert nach der Methode 'Holzhammer und steter Tropfen'".

Beckmann: "Ich will ja, dass das Maximum an Wirkung aus dem Budget gezogen wird, das ich zur Verfügung habe. Das heisst: Der Erfolg einer Kampagne misst sich für den Kunden in der Regel daran, dass er mehr verkauft. Wenn er sein Image verbessern will, tut er auch das meist nur, um den Verkauf zu steigern."

Zürcher: "Im Endeffekt schon. Die Forderung, Werbung müsse verkaufen, ist aus dem Neandertal des Marketings. Werbung dient dazu, Marken begehrenswert zu machen. Das ist ein langfristigeres Ziel. Man muss das erreichen, was Nike und Levis geschafft haben: Die Leute lieben diese Marken."

Beckmann: "Da habe ich sicher nichts dagegen. Je interessanter und kreativer die Markenwerbung ist, desto höher und besser wird auch die Wirkung sein. Meine Aufgabe ist dann, dass die Werbebotschaft auch beim Verbraucher ankommt."

Zürcher: "Bei sehr kreativer Werbung kann dies dann auch zu einem Overkill führen. Man kann kreative Produkte nicht einsetzen wie Procter & Gamble. Es gibt einen zweiten Aspekt: Dieser Overkill schadet der Werbung. Er verführt zum Zappen, die Menschen hassen die Werbung sogar. Ich habe 15 Jahre lang für Procter gearbeitet, Dash und Ariel eingeführt und dabei viel gelernt. Sie haben in den sechziger Jahren mit 40-Sekunden-Spots begonnen, das Gleiche immer wiederholt, und mit der Zeit hat die Wirkung nachgelassen. Die Frequenz wurde erhöht und die Spots auf 30, und später auf 20 Sekunden gekürzt. Dadurch wurden die Spots noch banaler, weil gar kein Platz mehr war für eine Geschichte. Im Einführungsjahr hat Procter & Gamble den Spot für Always auf SF DRS 430 Mal geschaltet. Das ist Unsinn. Jetzt ändert sich das, vor allem in England und Holland. Jener Spot für Ariel mit der grünen Bluse, ohne dass das Produkt gezeigt wird: Mit diesem Storyboard wäre ich bei Procter hochkant rausgeflogen."

Beckmann: "Die Spots sind zeitgemässer geworden. Dennoch wird auch heute mit den Werbedrücken gearbeitet, die man für richtig hält. Meine Kunden setzen das hohe Werbedruck-Niveau immer noch ein. Ihr Anspruch ist nicht, einen schönen Spot zu machen, sondern einfach, ihre Produkte zu verkaufen. Bei Dingen des täglichen Bedarfs denke ich ja nicht gross darüber nach, wenn ich sie kaufe. Da funktioniert die Holzhammermethode nach wie vor."

Zürcher: "In gewissen Märkten eben nicht mehr. Ähnliche Anbieter wie Procter, etwa Effems, Jacobs Suchard, Henkel und Nestlé, stellen ihre Werbung drastisch um. Und ihre Spots gewinnen Awards in Cannes."

Beckmann: "Dass man sich bemüht, mit dem Spot allein eine höhere Wirkung zu erzielen, ist sicher gut. Unser Thema bleibt aber der Werbedruck. Also, wie oft muss ich einen Spot schalten, wie häufig muss ihn ein Kosument gesehen haben, bis ich vermuten kann, dass er eine Wirkung erzielt und dass die Botschaft ankommt?"

Zürcher: "Natürlich braucht es einen gewissen Werbedruck. Aber: Ist er der alleinige Faktor für den Erfolg? Einen banalen Spot möglichst häufig zu zeigen, das ist Geldverschwendung. Ich weiss nicht, wie lange sich die Leute noch acht bis zehn Minuten lange Werbeblöcke gefallen lassen. Zappen ist ein Problem."

Beckmann: "Das ist es schon. Da hat sich aber jedoch seit Jahren nichts daran geändert. Die Menge der Spots kann auch nicht mehr zunehmen, die gesetzlichen Möglichkeiten sind ausgeschöpft. Ich bin einverstanden: Wenn ein langweiliger Spot immer wieder gesendet wird, ist das kontraproduktiv, irgendwann hasse ich dieses Produkt. Man darf aber die Wirkung der Wiederholung nicht unterschätzen. Wir haben vor einigen Jahren, während des Box-Booms in Deutschland mit Henry Maske, in jeder Rundenpause der Matches denselben Zahnpasta-Spot gezeigt. Der hat echt genervt. Aber: Direkt nach den Kämpfen sind die Verkäufe nach oben geschossen. Wenn der Kunde im Supermarkt vor dem Riesenregal steht, nimmt er das, was ihm am geläufigsten ist. Aber: Jeder möchte doch erst mal einen guten Spot haben. Man macht nicht bewusst etwas ganz Banales mit einer simplen Botschaft."

Zürcher: "Doch, das Banale hat System. Grosse Firmen arbeiten im strategischen Bereich hoch professionell. Sie haben Systeme erarbeitet, die sich gleichen. Diese Systeme schreiben gewisse Dinge vor, welche den Spielraum für eine gute Geschichte extrem eng machen – die so genannten Key Visuals. Zum Beispiel: Es muss immer eine Demonstration des Produkts rein, das Produkt muss nach spätestens sechs Sekunden genannt werden. Bei Spots, die sich einen Anstrich von Natur geben wollen, darf kein Auto vorkommen; wird in den Bergen gedreht, sind Seilbahnen im Bild verboten. Es gibt ganze Checklisten mit wichtigen Dingen, die man aus Tests vermeintlich herausgelesen hat. Das summiert sich dann so, dass man nur noch das Bekannte runterleiern kann. Eine Geschichte zu erzählen wird unmöglich. Es geht auch anders. Beispiel Wander: Ovomaltine ist auch ein Massenprodukt. Die Kampagnenidee 'Du kannsts nicht besser, aber länger' kommt bei den Jungen fantastisch an. Die unterscheiden eben nicht zwischen Werbung, Kunst und Unterhaltung, alles ist eins."

Beckmann: "Die Messwerte sind dennoch wichtig. Wir wissen, wenn eine Kampagne so oder so lange läuft und eine bestimmte Menge GRPs erzeugt, wie das in der Fachsprache heisst, dann nehmen die Verkäufe um eine bestimmte Menge zu. Man investiert ja nicht einfach ins Blaue hinaus. Eine der wichtigsten Erkenntnisse ist die Ansprache der Zielgruppe. Wir schütten die Konsumenten nicht einfach zu, sondern steigern den Werbedruck auf den idealen Wert und halten den dann. Kontinuität ist ein entscheidender Faktor."

Zürcher: "Das ist das herkömmliche Denken. Es gibt eine Firma, die ein neues Produkt mit einem nur ein einziges Mal ausgestrahlten Spot zu einer Starmarke gemacht hat: Apple mit dem Film zur Einführung des Macintosh 1984, in der Pause der Super-Bowl-Übertragung. Das ist zwar die teuerste Werbezeit, die man in den USA buchen kann, aber die Botschaft ist hängen geblieben. Die Leute standen Schlange vor den Läden."

Beckmann: "Da hatte Apple auf einen Schlag einen Werbedruck, den ich sonst nur mit einer ganzen Kampagne erreiche. Da würde ich auch aus Media-Sicht sagen: eine Super-Platzierung."

Zürcher: "Ein gewisser Werbedruck muss sein. Aber auch der Inhalt zählt: Das kann Spannung sein, Unterhaltung, Schönheit, die ganze Palette menschlicher Gefühle. Man muss Anteilnahme erzeugen, die Leute animieren. Dann ist die Chance sehr viel grösser, dass ich mit etwas weniger Frequenz viel erreiche."

Beckmann: "Das ist ja keine Frage der Kosten. Die Ausgaben für die Streuung sind ja immer wesentlich höher als jene für die Produktion. Wenn ich das spare, bringt mir das nicht viel mehr Werbedruck. Die grossen Werbetreibenden produzieren eh für grosse Märkte, zum Beispiel für ganz Europa. Da sind die Produktionskosten kein limitierender Faktor."

Zürcher: "Bei uns spielen diese Kosten schon eine Rolle. Sie betragen im Ausland vielleicht 10 oder 15 Prozent. Das reicht bei uns nirgends hin. Wenn wir insgesamt nur 350'000 Franken haben, können wir nicht 250'000 in die Produktion stecken. Dass die Schweiz heute noch immer ein Werbefilm-Entwicklungsland ist, hat aber auch damit zu tun, dass wir sehr viel weniger Fernsehen machen. Bei uns gehen nur 18 Prozent des Werbegeldes ins TV, in Deutschland ist dieser Anteil in kürzester Zeit auf 44 Prozent gestiegen. Dank der Menge, der höheren Budgets und der gestiegenen Erfahrung haben uns die Deutschen klar überholt – auch was die Qualität der Spots angeht. Denken Sie nur an die Autowerbung für BMW und Mercedes. Die grossen Kampagnen gehen auch an der Schweiz vorbei. Darüber wird dann in Deutschland nachgedacht, nicht bei uns."

Beckmann: "Stimmt. Bei meinen Kunden ist keiner dabei, der nur für die Schweiz Spots produziert. Die werden in ganz Europa oder weltweit eingesetzt. Da haben wir auch keinen Einfluss auf die Produktion."

Zürcher: "Bei diesen grossen Kampagnen wird dann auch zu kurzfristig analysiert, zum Teil bereits mit Pre-Tests. Denn was neben dem Verkaufserfolg zählt, sind immer die Imageveränderungen. Und dafür braucht es Jahre. Die Milch zum Beispiel hatte vor zehn Jahren ein miserables Image, null Aktualität, Kuhmist-an-den-Stiefeln-Image. Nun ist bei uns die Aktualität und die Akzeptanz, nach nur zwei Jahren, vor allem bei den Jungen enorm gestiegen."

Beckmann: "Auch da zählt die Frequenz."

Zürcher: "Schon. Aber ich behaupte, dass das Milch-Budget meist viel zu hoch eingeschätzt wird – weil die Kampagne Impact hat. Mangelnder Impact lässt sich manchmal mit hoher Frequenz ersetzen. Aber warum soll man das tun? Es kostet nur viel Geld. Impact ist, wenn die Leute am nächsten Tag sagen: 'Hast du diesen Spot gesehen?'"

Beckmann: "Wenn man sich eine Cannes-Rolle ansieht, ist das oft wirklich sehr gute Unterhaltung. Ich frage mich dann aber: Haben diese Spots auch Wirkung? Um welches Produkt gings denn?"

Zürcher: "Ich erzähle Ihnen zum Thema 'Impact vs. Frequenz' eine kleine Geschichte. Der berühmte Texter Howard Gossage hat einmal gesagt: Um ein Kind zu machen, muss man nicht neun Monate lang bumsen, sondern einmal richtig."


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